Unternehmensbewertung bei Strukturmaßnahmen
Bei Strukturmaßnahmen wie Squeeze-outs oder Verschmelzungen ermitteln Gerichte Abfindung oder Tauschverhältnis fast durchgängig anhand von Ertragswerten. Der Börsenbewertung kommt danach allenfalls eine ergänzende Rolle zu. Sich allein am Aktienkurs zu orientieren, wird dagegen abgelehnt. Doch insbesondere bei Verschmelzungsfällen ist Bewegung in die Diskussion gekommen, erläutert Alexander Kiefner, Local Partner und Spezialist für Aktienrecht bei der internationalen Anwaltssozietät White & Case.
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Bis in die 1990er-Jahre spielte der Börsenkurs bei aktienbezogenen Transaktionen kaum eine Rolle. Zum Schutz der (Minderheits-) Aktionäre schaute man bei der Ermittlung der Abfindung oder des Umtauschverhältnisses ausschließlich auf den „wahren“ oder „inneren“ Wert der Aktien, der anhand einer ertragswertbasierten Unternehmensbewertung ermittelt wurde. Erste Bewegung kam im Jahr 1994 ins Spiel, als der Gesetzgeber die Regeln zum Bezugsrechtsausschluss im Fall einer auf 10% begrenzten Barkapitalerhöhung reformierte. Seitdem ist es für den Bezugsrechtsausschluss ausreichend, wenn die neuen Aktien zu einem Ausgabepreis nahe dem aktuellen Börsenkurs platziert werden. Auch bei Sachkapitalerhöhungen ist es üblich, bei der Bewertung der neuen Aktien den aktuellen Börsenkurs zu berücksichtigen. Eine weitere Wegmarke war 1999 die „DAT/Altana“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Für Fälle, in denen eine Abfindung gewährt werden muss, etwa Squeeze-outs, Beherrschungsverträge oder Delistings, hat das BVerfG mit Blick auf die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes festgehalten, dass für die Bewertung der Tochter-Anteile der Börsenkurs berücksichtigt werden muss. Seitdem stellt in Abfindungsfällen der Börsenkurs die Preisuntergrenze für Tochter-Anteile dar.
Neues vom Verfassungsgericht
Damit ist noch nicht gesagt, ob es bei Abfindungsfällen oder einem Aktientausch (Verschmelzung) ausreichen kann, den Börsenkurs als alleinige Bewertungsmethode zu nutzen und von einer zusätzlichen Ertragswertbewertung abzusehen. Die Gerichtspraxis spricht hier bislang eine eindeutige Sprache: Auf breiter Front hält man an der Notwendigkeit einer Ertragswertbewertung fest. Doch diese Front bröckelt. Das BVerfG hat im Fall „Telekom/T-Online“ im April klargestellt, dass die Ertragswertmethode von der Verfassung nicht zwingend vorgeschrieben ist. Mit anderen Worten: Das Grundgesetz ist methodenoffen, solange die Methode zu aussagekräftigen Ergebnissen führt. Es liegt nun an den Instanzgerichten, sich der Methodenvielfalt stärker zu öffnen. Was also spricht dagegen?
Pro & Contra Ertragswert und Börsenkurs
Wie immer gibt es auch hier Argumente für beide Methoden. Für die Ertragswertbewertung wird häufig ins Feld geführt, sie schütze die (Minderheits-) Aktionäre am besten, da auf die Planungen des Unternehmens als zusätzliche Informationsquelle zurückgegriffen werde. Doch jeder Praktiker weiß um die weiten Bewertungsspielräume und die Streitfragen, die mit einer Ertragswertbewertung verbunden sind. Das Ergebnis: Oft entsteht eine „Scheingenauigkeit“, um die dann viele Jahre lang in einer gerichtlichen Überprüfung durch ein sog. Spruchverfahren gestritten wird. Dem gegenüber weist der Börsenkurs als „echter Marktpreis“ Vorteile auf: Die Berechnung eines gewichteten Durchschnittskurses für einen Referenzzeitraum ist einfach. Langwierige Rechtsstreitigkeiten lassen sich vermeiden. Auf eine andere Bewertungsmethode müsste nur dann zurückgegriffen werden, wenn der Börsenkurs ausnahmsweise nicht als „echter Verkehrswert“ taugt. Abgesehen von solchen Ausnahmen sollte gefragt werden: Ist der faire Wert einer Aktie nicht letztlich jener, der sich durch Angebot und Nachfrage an der Börse ergibt?‘
Anwendungsfälle
Von der neuen Freiheit zur Methodenvielfalt machen die Gerichte bislang nur vereinzelt Gebrauch. Bei der Ermittlung von Barabfindungen führt bei den Gerichten bisher kaum ein Weg an einer Ertragswertbewertung vorbei. Einen Vorstoß in Richtung Marktbewertung tat allerdings 2010 das Landgericht Köln in einem Delisting-Fall. Es lässt zwar nicht den Börsenkurs als alleinigen Wertmaßstab genügen. Sofern aber ein Verkehrswert aus anderen zeitnahen Markttransaktionen abgeleitet werden kann, insbesondere aus Paketverkäufen mit Kontroll-erwerb, bedarf es danach keiner Ertragswertbewertung. Am stärksten in Bewegung gekommen ist die Gerichtspraxis in „Tauschfällen“, bei denen die Aktien des einen Unternehmens in Papiere des anderen Unternehmens umgetauscht werden. Im Verschmelzungs-Fall „Telekom/T-Online“ ermittelten die Frankfurter Gerichte mit Rückendeckung des BVerfG das Umtauschverhältnis anhand der beiden Börsenkurse. Gerade Tauschfälle eignen sich für eine Orientierung am Börsenkurs. Schließlich kommt es nicht auf die absoluten Unternehmens-
werte an, sondern auf deren Verhältnis zueinander.
Die neuen Gerichtsentscheidungen geben Anlass zu Optimismus, dass die Dominanz der aufwendigen Ertragswertbewertung zurückgehen wird. Diese suggeriert Scheingenauigkeiten und zieht regelmäßig jahrelange rechtliche Auseinandersetzungen nach sich. Die Gerichte sind allein schon im Interesse der Rechtssicherheit und der Verfahrensbeschleunigung aufgerufen, stärker marktorientierte Bewertungsverfahren heranzuziehen. Am einfachsten geht dies, wenn man den Börsenkurs in den Vordergrund stellt.
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