Digitalisierung – Nie ohne Blick für das große Ganze

Obwohl die Digitalisierung seit Jahren das Wirtschaftsleben bestimmt, sorgt kaum ein Thema in den Unternehmen derzeit für ähnliche Aufbruchstimmung und zugleich Verunsicherung. Um nicht den Eindruck zu erwecken, man verschlafe aktuelle Trends, bekennen sich immer mehr Unternehmen öffentlichkeitswirksam zur digitalen Transformation. Ein Blick hinter die Kulissen verrät jedoch, dass es sich häufig eher um Marketingkonzepte als um nachhaltig geplante Strategien handelt, meint Gunnar Sachs, Partner bei Clifford Chance. 

Verbände, Seminaranbieter und Beratungsunternehmen feuern die allgemeine Hysterie weiter an und überschwemmen den Markt mit Publikationen und Veranstaltungen zu digitalen Themen. Die Bandbreite an Angeboten spiegelt dabei den internen Umgang vieler Unternehmen mit den Herausforderungen der digitalen Transformation wider: Häufig fehlt der Blick für das große Ganze. Digitalisierungsstrategien werden nicht zentral koordiniert, geschweige denn die damit verbundenen wirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen unternehmensübergreifend in sinnvollen Prozessen abgebildet.

Um im digitalen Wettbewerb bestehen zu können, investieren Unternehmen vorrangig in die Entwicklung neuer digitaler Produkte sowie in die Ablösung vormals analoger durch digitalisierte Betriebsabläufe. Da viele Marktteilnehmer nicht oder allenfalls nur unzureichend über das für die Einführung solcher neuen Produkte und Prozesse erforderliche Personal und Know-how verfügen, werden digitale Expertise und Entwicklungen samt aller damit verbundenen Risiken häufig von außen zugekauft oder ganze Projekte an externe Anbieter vergeben. Im Wettlauf um die digitale Marktführerschaft richten viele Unternehmen ihren Fokus dabei ausschließlich auf die technischen Neuentwicklungen und lassen außer Acht, dass ihre digitale Transformation zugleich eine Vielzahl neuer Risiken und Verantwortungen mit sich bringt, deren Nichtbeachtung nicht allein die jeweils neuen Produkte und Prozesse, sondern sie selbst im Bestand gefährden kann. So verpassen sie etwa den Schutz neuen Know-hows, bieten Angriffspunkte für Cyberangriffe und Datenlecks, verletzen datenschutz-, arbeits- und kartellrechtliche Vorgaben oder übersehen Sanktionen und Exportkontrollen. Wer sein Unternehmen nicht dagegen schützt, setzt nicht nur sich selbst, sondern auch das Unternehmen erheblichen Haftungs- und Bußgeldrisiken aus.

Rechtsrisiken werden oft übersehen
Um die mit der Digitalisierung im eigenen Unternehmen verbundenen Risiken zu identifizieren und zu reduzieren, empfiehlt sich die Einführung einer Digital-Governance-Organisation. Digital Governance bezeichnet den Ordnungsrahmen für die Durchführung und Überwachung der digitalen Transformation von Unternehmen. Sie fußt auf der jeweiligen digitalen Unternehmensstrategie, umfasst die Gesamtheit der bei deren Umsetzung zu beachtenden rechtlichen und wirtschaftlichen Anforderungen und bedient sich neben einem personellen Netzwerk qualifizierter Mitarbeiter zugleich passgenauer Unternehmensprozesse, die neben der erfolgreichen Umsetzung der jeweiligen Digitalisierungsstrategie zugleich einen angemessenen Umgang mit den damit verbundenen Risiken ermöglichen. Digital Governance ermöglicht es Unternehmen so, ihre digitale Transformation ganzheitlich koordiniert, systematisch und verantwortungsvoll anzugehen. Sie dient der Ermittlung der mit der jeweiligen digitalen Transformation verbundenen Risiken, misst diese Risiken an den jeweils maßgeblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Vorgaben und führt im Ergebnis zur Implementierung der erforderlichen personellen Netzwerke sowie Prozesse im Unternehmen, um diesen Risiken angemessen zu begegnen.

An Digital Governance führt kein Weg vorbei
Eine gute Digital Governance ermöglicht einen rechtssicheren und risikoarmen Umgang mit digitalen Themen in allen für das jeweilige Unternehmen maßgeblichen Ausprägungen, etwa bei Investitionen in Technologien Dritter, beim Outsourcing von Entwicklungsprojekten und bei der Beschaffung von externem Know-how, bei der Generierung monopolartiger Datenbestände, bei IT-Sicherheitsfragen im zunehmend vernetzten Internet der Dinge, bei neuen Finanztechnologien und digitalen Währungen, bei programmierten Verträgen und elektronischem Vertragsmanagement, bei der Digitalisierung von Lieferketten und Warenwirtschaftssystemen, bei Exportkontrollen für digitale Produkte oder bei besonderen Anforderungen an stark regulierte Bereiche wie etwa Digital Health. Digital Governance ähnelt vom Grundgedanken insoweit den in den meisten Unternehmen bereits implementierten Strukturen von Corporate Governance und Compliance und zielt neben der Einhaltung der für die jeweilige digitale Transformation einschlägigen rechtlichen Anforderungen auf die Beachtung anerkannter technischer und ethischer Standards. Umgesetzt wird Digital Governance in materieller Hinsicht durch die Entwicklung und Implementierung passender Unternehmensleitlinien sowie in personeller Hinsicht durch die Einführung von mit geeigneten Spezialisten besetzten Führungs- und Kontrollstrukturen. So gewährleistet Digital Governance eine verantwortungsvolle, fachlich qualifizierte, rechtlich angemessene und auf einen nachhaltigen Unternehmenserfolg angelegte digitale Transformation. Sie dient damit nicht allein dem Schutz des Unternehmens selbst, sondern auch der Unternehmensführung sowie den Inhabern, Anteils-eignern, Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern.

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