Auf Gandhis Spuren – Indien investiert in die Umwelt
Indien ist ein wirtschaftliches Boomland und eilt gegenwärtig von Rekord zu Rekord. Und trotzdem assoziieren viele mit dem Subkontinent als erstes die Abfallprobleme in den Innenstädten und die Verschmutzung der (heiligen) Flüsse. Denn Indiens gegenwärtige Strukturen reichen nicht aus, um Umweltverschmutzung und Abfallmenge in den Griff zu bekommen. Da die Regierung das Problem jedoch erkannt hat und jetzt handelt, bieten sich aktuell große Chancen für internationale Investoren. Dabei sind allerdings eine ganze Reihe praktischer und rechtlicher Hürden zu bewältigen, wie Benjamin Parameswaran und Johann-Friedrich Fleisch, Rechtsanwälte bei DLA Piper und Mitglieder der India Group der Sozietät, erläutern.
Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und sich ändernde Lebensgewohnheiten sorgen dafür, dass sich die indische Abfallmenge bis 2030 verdoppeln wird. Dies birgt vielfältige Probleme, aber auch zahlreiche Möglichkeiten. Gerade die indische Abfallwirtschaft ist ein gigantischer Markt und die deutsche Industrie kann vieles anbieten, was in Indien dringend gebraucht wird. Allerdings erfordert der Eintritt in den indischen Markt eine sorgfältige Vorbereitung, denn sowohl rechtliche als auch praktische Hürden müssen überwunden werden. In rechtlicher Hinsicht haben sich zwar die Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren stetig verbessert. Im Bereich Umwelttechnologie und Abfallwirtschaft sind in der Regel ausländische Beteiligungen zu 100% möglich. Auch die früher erforderlichen Genehmigungen für ausländische Investoren sind größtenteils nicht mehr nötig (so genannte „automatic route“).
Nichtsdestotrotz stellen die indische Bürokratie und das indische Devisenrecht auch geduldige westliche Gemüter ziemlich auf die Probe. Viele der zu erfüllenden Regelungen lassen viel Raum für Interpretation. Insoweit wird interessierten Unternehmen dringend empfohlen, rechtzeitig den Kontakt zu den zuständigen Behörden und lokal kundigen Beratern zu suchen, um Missverständnisse auszuräumen. Auch in technischer Hinsicht sollte man sich im Vorhinein mit den lokalen Gegebenheiten auseinandersetzen. So betont Dirk Weichgrebe, Forscher am Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik in Hannover, dass der Abfall in den indischen Städten eine ganz andere Zusammensetzung habe als der Abfall in deutschen Städten. Der sehr hohe Anteil organischer und langfaseriger Stoffe überfordere deutsche Anlagen oft – wenn sie nicht von vorneherein auf die besonderen Gegebenheiten ausgelegt sind.
Clean India Mission und Smart Cities
Für Unternehmen, die diese Hürden überwinden, bieten sich erhebliche Marktchancen, zumal die indische Regierung angefangen hat zu handeln: Staatliche Milliardenprogramme und eine Vielzahl neuer Regelungen sollen das Verschmutzungsproblem beherrschbar machen. Prominente Beispiele für die neuen Programme der Regierung sind die Clean India Mission und das Smart-Cities-Projekt. Die Clean India Mission soll die sanitäre Infrastruktur modernisieren, 100 Millionen Toiletten bauen und den Zugang zu sauberem Trinkwasser verbessern. Auf diese Weise soll bis zum 150. Geburtstag des Pazifisten und indischen Nationalhelden Mahatma Gandhi im Jahr 2019 Indiens gesamte Bevölkerung Zugang zu Toiletten haben. Was in europäischen Ohren wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist in Indien ein reelles Problem – und ein riesiger Markt.
Noch umfassender als der Ansatz der Clean India Mission ist das Smart-Cities-Projekt. Die indische Regierung hat 100 Städte identifiziert, die mithilfe modernster Technologie fit für die Zukunft gemacht werden sollen. Abbau der Luftverschmutzung, sanitäre Verbesserungen und eine neu aufgestellte Abfallbeseitigung spielen hierbei eine zentrale Rolle.
Einheitliche Abfallregelungen fehlen noch
Wie so oft geht es jedoch auch in Indien bei der Umsetzung der ehrgeizigen Ziele teilweise langsamer voran als geplant. Dies lässt sich gerade auf Regulierungsebene beobachten. Grundsätzlich ist in Indien auch das Umweltrecht stark modernisiert worden. Auf Grundlage des Environment Protection Act hat die indische Bundesregierung im vergangenen Jahr neue Regelungen für Feststoffabfälle, Elektroschrott, Plastikabfälle, biomedizinische Abfälle, Bauabfälle und Sonderabfälle erlassen. Die Regelungen sehen dezentrale Entsorgungs- und Verwertungsstrukturen vor. Produkthersteller werden bei der Produktentsorgung künftig sehr viel stärker als bisher in die Pflicht genommen. Die neuen Regelungen sind jedoch sehr grobmaschig gehalten und müssen durch die Parlamente und die Behörden der Bundesstaaten und der Kommunen konkretisiert werden. Hieran hapert es vielerorts. Selbst die Stadtverwaltung der indischen Hauptstadt Delhi arbeitet gegenwärtig noch mit den Regelungen von 2009. Für Investoren ist im Rahmen ihrer Projekte daher stets eine sorgfältige Analyse notwendig, welches Recht aktuell in welchem Sektor und in welcher indischen Region gilt.
Trotz alledem herrscht in Indiens Umweltsektor Aufbruchstimmung. Auch wenn es wohl nicht gelingen wird, bis zu Gandhis 150. Geburtstag die Probleme vollständig in den Griff zu bekommen, ist ein guter Anfang gemacht – und über nachträgliche Geburtstagsgeschenke freut man sich ja auch.
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