Die Digitalisierung im Wettbewerbsrecht

"Den „kartellrechtlichen Ordnungsrahmen für die digitale Welt"" zu verbessern, lautete die Vorgabe von Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries für die Anpassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) an die fortschreitende Digitalisierung. Neben der Einführung einer neuen Aufgreifschwelle für Startups sollen in Zukunft auch digitale Märkte im Fokus des Wettbewerbsrechts stehen. Marc Besen, Partner im Düsseldorfer und Brüsseler Büro von Clifford Chance, fasst die entsprechenden Regelungen der 9. GWB-Novelle zusammen und bewertet sie."

 Bislang fielen Übernahmen von Unternehmen mit fehlendem oder geringem Umsatz, deren Marktpotenzial sich allerdings in einem auffällig hohen Kaufpreis widerspiegelt, nicht unter die Fusionskontrolle des GWB. Die Prüfung solcher Fusionen soll künftig durch eine neue transaktionswertbasierte Aufgreifschwelle ermöglicht werden. 

Durch die zusätzliche Aufgreifschwelle können nun auch Transaktionen unter die Fusionskontrolle fallen, bei denen die Parteien weltweit insgesamt mehr als 500 Mio. Euro Umsatz generiert haben, eine Partei zudem 25 Mio. Euro in Deutschland erzielt hat, aber weder ein weiteres noch das Zielunternehmen 5 Mio. Euro im Inland erreicht haben. Dies setzt jedoch voraus, dass der Wert der „Gegenleistung““ 400 Mio. Euro überschreitet. Weitere Voraussetzung ist zudem eine erhebliche Inlandstätigkeit des Zielunternehmens.

Eine der wesentlichen Herausforderungen wird für Unternehmen in Zukunft darin bestehen, den Wert der Gegenleistung zu ermitteln. Der Begriff der Gegenleistung soll dabei weit zu verstehen sein. Es sollen alle Vermögensgegenstände und sonstigen geldwerten Leistungen, wie auch der Wert übernommener Verbindlichkeiten berücksichtigt werden. Die Wertbestimmung, einschließlich der Berechnungsgrundlagen, ist von den Unternehmen selbst durchzuführen und im Rahmen der Anmeldung offenzulegen. Ob es in Einzelfällen zusätzlicher Gutachten durch Wirtschaftsprüfer bedarf, ist offen.

Die Voraussetzung einer erheblichen Inlandstätigkeit des Zielunternehmens dient dazu, nur Fusionen mit ausreichendem Inlandsbezug zu erfassen und marginale Tätigkeiten auszuschließen. Da Umsatzzahlen als Bezugsgröße für den Nachweis erheblicher Inlandstätigkeit meist nicht in Betracht kommen, soll z. B. berücksichtigt werden, ob im Inland Nutzer die Angebote des Unternehmens annehmen oder Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten durchgeführt werden. Unklar bleibt aber, wann solche Tätigkeiten als erheblich gelten. Die hierzu in der Gesetzesbegründung enthaltenen Beispiele (Maßzahlen wie „monthly active user““, etc.) sind auf digitale Märkte zugeschnitten. Was dies für die Bewertung in anderen Branchen, wie etwa der Pharmaindustrie, bedeutet, ist unklar. Insofern verbleibt auch hier Rechtsunsicherheit.

Der Gesetzentwurf geht auf Basis von Schätzungen von drei nach der neuen Aufgreifschwelle anmeldepflichtigen Transaktionen pro Jahr aus. Dies scheint angesichts der beträchtlichen Unsicherheit, wann der Transaktionswert wirklich erreicht ist und eine erhebliche Tätigkeit vorliegt, zu kurz gegriffen. Unternehmen werden zukünftig häufiger vorsorglich anmelden oder das Bundeskartellamt kontaktieren, um die mit einer nicht erfolgten Anmeldung verbundenen erheblichen Risiken zu vermeiden.

Gerade bei internetbasierten Geschäftsmodellen profitiert oft eine Nutzergruppe von unentgeltlichen Leistungen. In der kartellbehördlichen und gerichtlichen Praxis wurde die Marktqualität der unentgeltlichen Seite teilweise verneint. Das Gesetz stellt nun klar, dass auch bei unentgeltlichen Leistungsbeziehungen ein Markt vorliegen kann.

Auch die Bewertung von Marktmacht und Wettbewerbsverhältnissen bereitet mit herkömmlichen Methoden bei zwei- oder mehrseitigen Märkten, wie etwa bei E-Commerce-Plattformen, in der Praxis Schwierigkeiten. Häufig führt eine umsatzbasierte Betrachtung in Bezug auf die unentgeltliche Seite digitaler Märkte nicht weiter. Daher soll nun ein Kriterienkatalog die Analyse von Kräfteverhältnissen gerade auf digitalen Märkten erleichtern. So sind Merkmale wie Netzwerkeffekte und damit verbundene Größenvorteile für Unternehmen, die Möglichkeit der parallelen Nutzung von Diensten für Nutzer und deren Wechselaufwand, der Zugang von Unternehmen zu Daten und mögliches Innovationspotenzial bei der Analyse zu berücksichtigen. Zwar sind diese Kriterien speziell auf digitale Märkte zugeschnitten, aber nicht auf sie beschränkt. Sie dürften auch für traditionelle Märkte relevant werden, da etwa der Aspekt des Innovationswettbewerbs auch hier von erheblicher Bedeutung sein kann.

Die 9. GWB-Novelle sieht ferner eine Vielzahl weiterer Änderungen vor. Diese beinhalten u. a. Beweiserleichterungen für Kartellgeschädigte entsprechend der EU-Schadensersatzrichtlinie. Zudem wurden Lücken in der Bußgeldhaftung geschlossen und das Verfahren der Ministererlaubnis gestrafft.

Fazit: Es bleibt abzuwarten, wie sich die neuen Regelungen in der Praxis bewähren werden. Was die neue Transaktionsschwelle betrifft, ist zu hoffen, dass die Rechtsunsicherheiten nicht erst im Rahmen der vorgesehenen Evaluierung nach drei Jahren aufgegriffen und beseitigt werden. Unternehmen sollten jedenfalls prüfen, ob laufende Erwerbsvorgänge von der neuen Aufgreifschwelle erfasst sein könnten. Zwar wird diese voraussichtlich erst Ende April 2017 in Kraft treten. Sie gilt dann aber grundsätzlich auch für solche Fusionen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollzogen wurden.

 

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