Digitalisierung – Von Smart Contracts zu Smart Law?
Smart Contracts sind in aller Munde. Einen deutschen Begriff gibt es bislang noch nicht. Ein schlauer Vertrag – was soll das sein? Das Gleiche gilt für die so genannte distributed ledger technology, kurz DLT, ein weiterer Begriff, der zumeist in diesem Zusammenhang verwendet wird. Kein Zweifel, die Digitalisierung hält Einzug in die rechtliche Beratungspraxis. Dabei haben die neuen Technologien auch das Potenzial, die Anwendung von Recht zu revolutionieren, meint Christian Storck, Partner und Co-Head of Innovation bei Linklaters.
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Ein Smart Contract ist ein Vertrag, der automatisiert und rechtswirksam bestimmte vordefinierte Handlungen vornimmt. Diese Handlung kann beispielsweise eine Zahlung bei Eintritt eines Ereignisses oder eines bestimmten Datums sein. Oder es wird mit Empfang einer Zahlung automatisch ein Produkt geliefert oder ein Wertpapier in das Depot gebucht. Die automatisierte Handlung erfolgt durch den Computer, d. h. ohne menschliches Zutun. Allerdings gibt es hierbei auch hybride Modelle, die vereinzelt menschliche Eingaben erfordern, so z. B. die Bestätigung, bestimmte Dokumente als Auszahlungsvoraussetzung eines Darlehens erhalten zu haben. Soweit zur automatisierten Abwicklung von Verträgen. Allerdings müssen diese Handlungen auch rechtswirksam erfolgen, d. h. Parteien müssen darauf vertrauen können, dass sie im Zweifel ihre Ansprüche gerichtlich durchsetzen können.
Der Code ist der Vertrag
Die Rechtswirksamkeit wird dabei durch entsprechend formulierte Rechte und Pflichten im Vertrag gewährleistet. Dies ist jedem Juristen vertraut. Es bedarf einer Einigung und Formulierung des entsprechenden Vertragsinhalts. Allerdings kann mit Blick auf die Technologie auf diese klassische Vertragsgestaltung verzichtet werden. Durch entsprechende Programmierung wird die Software unmittelbar zum Vertrag, ohne dass es eines herkömmlichen Vertragstextes bedarf. Der Code ist der Vertrag. Ein IT-Spezialist braucht keine Rechtswirksamkeit, um eine entsprechende Handlung in die Software zu programmieren und deren Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Die Software ist dann der Vertrag. Die Parteien haben sich auf die Software geeinigt. Allerdings braucht der Richter einen lesbaren Vertrag, um dessen Wirksamkeit zu überprüfen und durchsetzbare Ansprüche zu identifizieren. Noch interpretieren Richter keine Software.
Sicherheit und Transparenz im Vertragsrecht
Vielfach werden diese automatisierten Verträge mit der distributed ledger technology (DLT) verknüpft, d. h. der Inhalt des Vertrags ist nicht nur bei den Vertragsparteien selbst gespeichert, sondern über das gesamte Netzwerk von Nutzern. Eine Änderung des Vertrags braucht dabei die Zustimmung aller Nutzer. Der Inhalt und auch die Ausführung des Vertrags sind allen Nutzern offengelegt. Jede Übertragung von Ansprüchen aus dem Vertrag ist über die DLT dokumentiert (solche Transaktionen werden meist über die so genannte Blockchain abgebildet) und sind unwiderruflich. Durch DLT wird damit Sicherheit, Transparenz und Endgültigkeit im Vertragsrecht geschaffen. Stellt dies nun die rechtliche Revolution dar?
Ja und Nein. Die Technologie wird die Anwendung von Recht revolutionieren. Bestimmte Handlungen werden automatisiert ablaufen. Gerade in der Finanzindustrie lassen sich damit Zahlungsströme effizient gestalten und geräuschlos abbilden. Clearinghäuser, Settlementstellen, Zentralverwahrer und mitunter Banken werden nicht zwingend mehr als Vermittler und Intermediäre gebraucht. DLT ist das Gegenteil von zentralisierter Abwicklung. Das Backoffice wird dezentral über das Netzwerk der Nutzer abgebildet und abgesichert. Das klingt nach Revolution.
Auch Smart Contracts stoßen an Grenzen
Auf der anderen Seite lässt sich mit Blick auf die Möglichkeiten von Smart Contracts auch feststellen, dass viele Lebenssachverhalte gerade nicht digital ablaufen. Das Leben ist mehr als 0 und 1. Vertragsparteien wünschen gerade Flexibilität und die Möglichkeit, über Generalklauseln zu einer sachgerechten Lösung im Einzelfall zu finden. So möchte ein Darlehensnehmer sicher nicht, wenn er eine finanzielle Kennzahl nicht erfüllt, dass sein Darlehen unmittelbar gekündigt und von seinem Konto direkt die Darlehenssumme eingezogen wird. Mit einem Smart Contract wäre eine sachgerechte Alternativlösung nicht möglich bzw. nur mit der Zustimmung aller Nutzer des Netzwerks. Transparenz hat ihren Preis.
Sicher gibt es viele Rechtshandlungen, die standardisiert und automatisiert ablaufen. Und dennoch ist festzuhalten, wie schwer sich teilweise Vertragsparteien und Marktteilnehmer mit der Standardisierung von Vertragswerken tun. Denn nur wenn rechtliche Klauseln standardisiert sind, lassen sich daran anknüpfende Handlungen automatisieren und für dieselben Sachverhalte nutzen. Erst dann wird ein Vertrag smart.
Fazit
Zusammenfassend kann man sagen: Die rechtliche Revolution kommt. Verträge werden smart. Allerdings wird es zunächst eines Standardisierungsschubs bedürfen, um die Stärken der Technologie voll und ganz auszuspielen. Sobald es Smart Contracts gibt, wird es interessant sein zu sehen, wie lange es dauert, bis es auch Smart Law gibt. Denn erst wenn Rechtsvorschriften direkt und automatisiert in bestehende Verträge umgesetzt werden, erleben wir eine echte Revolution.
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