Wie Ölpreis-Schocks Schwellenländerbörsen bewegen
Kriegsängste lassen den Ölpreis steigen – doch wie reagieren EM-Börsen historisch auf solche Schocks? Eine Einordnung mit Blick auf Chancen und Risiken.

Die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten haben die Märkte aufgeschreckt: Nachdem die USA unter Präsident Donald Trump in den Krieg zwischen dem Iran und Israel aktiv eingegriffen und unterirdische Atomanlagen bombardiert haben, sprang der Ölpreis in einer ersten Reaktion um weitere 2 US-Dollar nach oben. Die jüngste Waffenruhe steht indes nur auf wackeligen Beinen. Goldman Sachs sieht nun einen geopolitischen Risikoaufschlag von rund 12 Dollar im Brent Crude-Preis und warnt: Bei einer Störung der Straße von Hormus könnte der Preis vorübergehend bis auf 110 Dollar je Barrel steigen.
Das ist eine These, die auch Schwellenländer wieder stärker in den Fokus der Anlegerüberlegungen rückt. Denn der Ölpreis gilt traditionell als ein Seismograph für die wirtschaftliche Gesundheit und Stabilität vieler Schwellenländer und seine Bewegungen zwingen Anleger zu einer vertiefenden und oft regional differenzierten Analyse.
Doch wie reagieren Emerging Markets eigentlich genau auf steigende Ölpreise? Sind sie Opfer oder Profiteure? Die Antwort fällt differenziert aus – und hängt von mehreren Faktoren ab.
Kein Automatismus zwischen Ölpreisen und EM-Aktienkursen
Anders als häufig angenommen, profitieren Schwellenländerbörsen nicht automatisch von steigenden Ölpreisen. Im Gegenteil: Eine Untersuchung von Goldman Sachs zeigt, dass die Korrelation zwischen Ölpreis und EM-Aktienkursen bei Brent-Notierungen über 80 Dollar häufig ins Negative dreht. In solchen Phasen belasten hohe Energiepreise das globale Wachstum – und damit auch exportorientierte EM-Volkswirtschaften.
Das heißt gemäß historischer Analysen: Wenn das globale Wachstum gleichzeitig schwächelt, geraten EM-Aktienmärkte unter Druck – trotz höherer Rohstoffpreise. Besonders dann, wenn der Ölpreisanstieg mit geopolitischen Risiken verbunden ist, wie aktuell im Nahen Osten, reagieren viele EM-Börsen empfindlich. Die Kapitalmärkte preisen dann nicht nur höhere Inflationsrisiken, sondern auch ein schwächeres Wachstum ein. Zyklische Märkte wie Südkorea oder Osteuropa reagieren in solchen Fällen häufig unterdurchschnittlich.
Beispielhaft zeigte sich dieses Muster im Jahr 2011: Trotz eines Ölpreisanstiegs auf über 120 Dollar fiel der MSCI Emerging Markets Index deutlich, da die Wachstumssorgen rund um Europa und China zunahmen. Die Kombination aus teurer Energie und schwächelnder Konjunktur wirkte sich damals klar negativ auf EM-Aktien aus.
Entscheidend für Anleger ist deshalb: Ein Ölpreisanstieg allein reicht nicht aus, um positiv auf Schwellenländer zu wirken. Erst das Zusammenspiel mit einer stabilen oder dynamischen Weltwirtschaft sorgt für Rückenwind an den EM-Börsen.
Welche Länder gewinnen, welche verlieren?
Der entscheidende Faktor: Ist das Land Nettoexporteur oder -importeur von Öl? Länder wie Kolumbien, Brasilien oder Mexiko profitieren tendenziell, da Öl ein wichtiger Bestandteil ihrer Exportwirtschaft ist. In Kolumbien etwa macht Rohöl rund 40% aller Exporte aus. Im Gegensatz dazu wird Chile durch steigende Ölpreise aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Terms of Trade (Importpreise steigen schneller als die Exportpreise (oder die Exportpreise fallen schneller) geschädigt.
Anders sieht es in Asien aus: Länder wie Thailand oder die Philippinen, die auf Ölimporte angewiesen sind, leiden doppelt – steigende Ölpreise verschlechtern nicht nur die Handelsbilanz, sondern schwächen auch die lokale Währung. Das wiederum erschwert die geldpolitische Steuerung und begrenzt den Spielraum für Zinssenkungen. Die Bank Julius Bär verweist in diesem Zusammenhang explizit auf die negativen Effekte für importabhängige Länder in Asien.
Was passiert mit EM-Währungen und lokalen Anleihemärkten?
Auch die Wechselkurse reagieren unterschiedlich. Während der brasilianische Real, mexikanische Peso und kolumbianische Peso historisch eher positiv mit dem Ölpreis korrelieren, zeigen viele asiatische Währungen – darunter der südkoreanische Won und der taiwanesische Dollar – eine negative Sensitivität. Diese Muster werden in Phasen geopolitischer Unsicherheit oft noch verstärkt, da der US-Dollar als sicherer Hafen gefragt ist.
Auf den lokalen Anleihemärkten hingegen sieht das Bild derzeit robuster aus. Zwar könnten anhaltend hohe Ölpreise den disinflationären Trend in EM konterkarieren, doch starke EM-Währungen und Kapitalzuflüsse in lokale Märkte haben bislang stabilisierend gewirkt. Laut Goldman Sachs sind die meisten Kursreaktionen an den Rentenmärkten bislang sogar milder ausgefallen als die historischen Sensitivitäten vermuten lassen.
Differenzieren lohnt sich
Die historische Erfahrung zeigt: Die Wirkung steigender Ölpreise auf Schwellenländerbörsen ist weder einheitlich noch linear. Anleger sollten unterscheiden, ob sie in rohstoffreiche oder -arme Regionen investieren und ob ein Ölpreisanstieg angebots- oder nachfrageseitig getrieben ist. Kommt – wie derzeit – eine geopolitische Eskalation hinzu, steigen die Risiken für zyklisch geprägte Märkte, während defensivere Sektoren und Ölproduzenten tendenziell stabiler bleiben.
Auch wenn der Ölpreis kurzfristig volatil bleiben dürfte, lohnt sich ein Blick auf die strukturellen Merkmale der einzelnen Märkte. Wer gezielt differenziert, kann Schwankungen besser einordnen – und Chancen dort erkennen, wo andere nur Risiken sehen.