Virtuelles Verhandeln mit dem Betriebsrat

Der Betriebsrat ist das analogste Gremium, das man sich vorstellen kann. Gemäß § 33 BetrVG fasst der Betriebsrat seine Beschlüsse mit der Mehrheit der Anwesenden. Daraus abgeleitet finden Betriebsratssitzungen in aller Regel persönlich statt. Weiterhin finden auch alle Sitzungen mit dem Arbeitgeber oder anderen Personen oder Gremien stets als persönliche Veranstaltungen unter Anwesenden statt. Das gilt insbesondere auch für unternehmens- oder konzernweit agierende Gremien wie Gesamtbetriebsräte, Konzernbetriebsräte, Europäische Betriebsräte, Wirtschaftsausschüsse etc. Anders ist es allerdings bei Aufsichtsräten, die nach § 108 AktG bzw. entsprechend Satzung immer per Umlaufverfahren aber auch seit geraumer Zeit nun per Video- oder Funkkonferenz tagen und beschließen können.
Zunächst stellt sich die Frage, was § 33 BetrVG genau meint:
Die erste wesentliche Frage ist, ob mit „Anwesenden“ gemeint ist, dass die Personen alle in einem Raum sitzen müssen und dass dieser Raum nicht virtuell, d.h. via Webex, Skype oder Ähnlichem gebildet werden kann.
In der Literatur wird in neuster Zeit vertreten, dass „anwesend“ insoweit im weiteren Sinne zu verstehen ist und nicht nur persönliche Anwesenheit in einem gegenständlichen Raum meint. Da das Gesetz in aktueller Fassung von 1976 ist und es auch keine Rechtsprechung hierzu gibt, dass es anders gemeint sein kann, muss aus Sicht eines konservativ beratenden und nachdenkenden Menschen immer noch davon ausgegangen werden, dass das Gesetz tatsächlich die analoge Form von einer Sitzung unter Anwesenden in einem analogen Raum meint. Das aber heißt nicht, dass nicht viele Teile der Mitbestimmung virtuell, d.h. per Telefonkonferenz, Videokonferenz oder Skype ausgeübt werden können. Das Gesetz enthält nicht, dass Informationsrechte, Anhörungsrechte, Beratungsrechte und auch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber bzw. untereinander nicht virtuell wahrgenommen werden können.
Hierzu kann auch die Empfehlung des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil vom 23. März 2020 nichts ändern. Die Empfehlung virtuell zu verhandeln und zu beschließen an Betriebsräte und Arbeitgeber ist zwar gut gemeint. Aber auch kann die Empfehlung eines Bundesministers kein formelles Gesetz, das Betriebsverfassungsgesetz, ändern. Daher bleibt der § 33 BetrVG unverändert entsprechend dem Vorstehenden gültig.
Ganz im Gegenteil, der Betriebsrat, seine Ausschüsse und seine Gremien wie Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat, Wirtschaftsausschuss, etc. können unproblematisch sich informieren, beraten, diskutieren und auch konkrete Papiere, Unterlagen, Verträge, Betriebsvereinbarungen etc. virtuell oder gar per Telefonkonferenz bearbeiten.
Auch Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind rechtlich zulässig.
Es steht nirgendwo im Gesetz, dass dies nicht zulässig ist. Wir haben daher in den letzten Tagen die positive Erfahrung gemacht, dass man z.B. mit Webex oder vorher verschickten Power Point- Präsentationen bzw. entsprechenden Texten den Betriebsrat und seine Gremien durch den Arbeitgeber informieren und mit ihm beraten, ihn anhören und mit ihm verhandeln kann.
Wichtig für virtuelle Verhandlung ist, dass man eine Hauptleitung bzw. Videokonferenz etc. eingerichtet hat, über die die gemeinsamen Gespräche bzw. Verhandlungen stattfinden und daneben eine Reihe von Nebenkanälen. Wichtig ist weiterhin, dass jede Seite für sich einen virtuellen Verhandlungsraum zur Verfügung hat, den jeder jederzeit wechseln kann, um Zwischenberatungen ungestört zu führen. Daher braucht es mindestens drei Kanäle, nämlich den virtuellen Hauptraum, in dem man sich gemeinsam trifft sowie jeweils einen virtuellen Raum für die Arbeitgeber und für die Arbeitnehmerseite. Die Erfahrung zeigt, dass alle drei Kanäle gleichzeitig genutzt werden können/müssen und parallel zur Verfügung stehen müssen. Vielfach bedarf es der beider Nebenräume sogar vorher und hinterher, um Vor- und Nachbesprechungen zu ermöglichen.
Eine große Herausforderung bei derartigen Verhandlungen stellt der Umstand dar, dass so genannte „Kopierergespräche“ oder Zigarettenpausen, etc. bei denen man zwanglos Brücken bauen bzw. Absprachen treffen und zwischen beiden Lagern vermitteln kann, weitaus schwieriger stattfinden können. Dafür ist es wichtig, dass man sich im Vorwege abspricht bzw. die Möglichkeit hat, dass bestimmte Vertreter beider Seiten über weitere separate Kanäle wie z.B. Mobiltelefone, SMS oder Ähnliches Zwischengespräche führen.
Eine weitere Erfahrung ist es, dass ganztägige Verhandlungen nur schwer für die beteiligten Umzusetzen sind, daher empfehlen wir, lieber häufiger in kurzen Sequenzen zu verhandeln. Wenn man bedenkt, dass z.B. eine zweistündige Verhandlung zwischen beiden Seiten, die noch einmal durch 30 bis 60 Minuten Vor- und Nachbesprechung beider Seiten vor- und nachbereitet werden muss, bereits schon zu 4 Stunden Telefonieren oder Videokonferenz führen kann, sind viele Beteiligten damit häufig stark belastet. Daher ist es besser, alle paar Tage zu den kürzeren Verhandlungssequenzen von 2 Stunden (mit Vor- und Nacharbeitung) zusammenzukommen, als ganze Tage von morgens bis abends virtuell zu verhandeln.
Eine weitere Frage, die sich für die Beteiligten stellt, ist diejenige, ob jeder bereit und willens ist, per Skype, Zoom oder Webex ein Bild von sich zu teilen. Das würde voraussetzen, dass man ähnlich wie bei analogen Verhandlungen sich so präsentiert, dass es eine gewisse Wertschätzung für die anderen Teilnehmer der Verhandlungen zeigt. Man muss sich genauso wie für Verhandlungen unter Anwesenden ordentlich rasieren, frisieren und zumindest, soweit die Kamera eine Person erfasst, auch anziehen. Weiterhin stellen sich Fragen nach dem Hintergrund, Kameraeinstellung, Raum, etc. Verhandelt man von Zuhause aus, sollte man sich überlegen, was man von seinem Zuhause zeigt und auch ob der Ausschnitt, den die Kamera zusätzlich zu der jeweiligen Person zeigt, z.B. zu unruhig ist oder durch eine schwierige Tapete oder Ähnliches zu sehr vom Wesentlichen ablenkt. Andererseits ist dabei gerade das Teilen des aktuellen persönlichen Bildes z.B. via Webex oder Skype von großem Vorteil: Es ersetzt zumindest ein bisschen die andernfalls fehlende Möglichkeit, die Mimik und Gestik der Gesprächsteilnehmer zu erkennen und damit die Wirkung der eigenen Worte besser nachvollziehen zu können.
Dies stellt eine besondere Herausforderung dar: Bei Verhandlungen unter Anwesenden sind die nonverbalen Reaktionen durch Mimik und Gestik von großer Hilfe, beurteilen zu können und sich selber einen Eindruck davon zu verschaffen, ob man verstanden wurde. Gerade bei Telefonkonferenzen besteht die große Gefahr, dass man missverstanden wird bzw. die eigenen gut gemeinten Worte gar nicht erst gut gemeint verstanden, der Sprecher bei jemandem anderen falsch ankommt. Daher ist jedem zu raten, dass bei derartigen virtuellen Telefonkonferenzen und Gesprächen das eigene Bild, übermittelt durch Video oder Skype, geteilt wird.
Eine Frage stellt sich vorab: Kann der Betriebsrat virtuelle Verhandlungen und Gespräche mit dem Vorwand blockieren, dass er zunächst einmal über die Aufnahme von Gesprächen einen Beschluss fassen muss, er so einen – ggf. unbeabsichtigten – Beschluss aber nur unter Anwesenden wirksam fassen kann? Wir meinen nicht. Es lässt sich gut vertreten und ist wohl auch richtig, dass Betriebsräte über ihre Zustimmung oder die Ablehnung von Zustimmung wirksam nur durch einen Beschluss unter Anwesenden beschließen können. Daraus aber eine derartige Formelei zu machen, dass alle Beschlüsse über irgendein Tun des Betriebsrates immer eines formellen Betriebsratsbeschlusses bedürfen, halten wir für übertrieben und auch nicht im Sinne der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Daher sollten Betriebsräte grundsätzlich handeln und sich informieren lassen, Anhörungsrechte, Beratungsrechte und auch Verhandlungsrechte mit dem Arbeitgeber wahrnehmen, ohne dass sie einen Beschluss unter Anwesenden hier verfassen. Es liegt beim Arbeitgeber, ob er auf einen final wirksamen Beschluss z.B. über die Beiziehung von Beratern oder fachkundigen Personen, etc. verzichtet bzw. dem Betriebsrat gegenüber erklärt, dass er derartige Beschlüsse auch als virtuell gefasste Beschlüsse anerkennt.
Im Übrigen lassen sich diese Beschlüsse alle, unseres Erachtens nach, virtuell fassen, sei es durch E-Mail oder Telefonkonferenz oder Videokonferenz und dann sicherheitshalber aber später noch bei einem treffen unter Anwesenden bestätigen. Richtig wird wohl sein, dass ein Treffen unter Anwesenden Beschlüsse im Nachhinein nur ex nunc und nicht ex tunc sicher und zuverlässig rechtswirksam machen kann. Andererseits sollte die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat so funktionieren, dass man grundsätzlich Absprachen, die auch virtuell oder eben im Umlaufverfahren per E-Mail getroffen und hinterher bestätigt werden, anerkennt.
Zusammengefasst lässt sich abschließend daher Folgendes feststellen: Beschlüsse des Betriebsrates können final sicher wirksam nur unter Anwesenden gefasst werden. Alle Informations-, Anhörungs-, Beratungs- und Verhandlungsrechte lassen sich jedoch virtuell per Webex, Videokonferenz etc. wahrnehmen. Eine Verweigerung des Betriebsrates oder Arbeitgebers mit dem Hinweis darauf, dass der Betriebsrat zunächst aber einen formell wirksamen Beschluss fassen müsse, um überhaupt in Gespräche eintreten zu können, entspricht nicht dem Gebot einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. Virtuelle Verhandlungen, Treffen, etc. stellen neue Herausforderungen dar, die insbesondere die fehlende oder zumindest stark eingeschränkte Wahrnehmung hinsichtlich der Mimik und Gestik des anderen schwierig macht. Hier müssen alle dazu lernen.
Am Ende gilt aber eins:
Der Betriebsrat und seine Arbeit müssen dringend digitalisiert werden. Die Coronakrise zeigt, dass eine Forderung, die vor uns seit Monaten im Raum steht noch viel mehr Bedeutung erhält:
Die Mitbestimmung in Deutschland bedarf einer dringenden Durchsicht und Aktualisierung hinsichtlich der Verwaltung moderner Kommunikationsmittel. Es gibt keinen Grund, warum nicht Betriebsratswahlen per Mausklick erfolgen, Beschlüsse des Betriebsrates z.B. im Umlaufverfahren gefasst werden und Betriebsversammlungen in Form von Onlineplattformen erfolgen können. Natürlich, und dies ist möglich, müssen Vertraulichkeit, Ausschluss von Öffentlichkeit und andere wichtige Grundsätze der Betriebsratsarbeit und der Mitbestimmung gewahrt bleiben. Es kann nicht sein, dass Betriebsratsmitglieder an Gesamtsbetriebsratssitzungen bei Starbucks oder im Großraumwagen des ICEs teilnehmen. Das ist aber weder nötig noch erforderlich. Genauso wenig kann es sein, dass die ständig notwendigen Updates mit der Keule des § 87 Ziff. 6 BetrVG teilweise jahrelang angehalten werden können. Wir sind überzeugt, dass sich hier eine interessengerechte Lösung für viele notwendige Änderungen finden lässt.
Kommunikation meint Verständigung und Austausch von Menschen miteinander in Form von Sprache und Zeichen. Der Sender steht innerhalb der Kommunikation immer mindestens einem Empfänger gegenüber. Für Social Media ist typisch, dass es in der Regel eine Vielzahl an Adressaten gibt. Mittlerweile gibt es eine große Anzahl von Medien und Kanälen, über welche kommuniziert werden kann. Die größere Bandbreite an Möglichkeiten zur Kommunikation vermehrt allerdings auch die kommunikationsspezifischen Gefahren.
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