Sektorüberblick

Was Koalitionsvertrag und Zölle für die Chemie bedeuten

Donald Trumps Zoll-Chaos droht die Weltwirtschaft erneut in eine Krise zu stürzen. Mittendrin: der angeschlagene deutsche Chemie-Sektor. Mit dem Koalitionspapier von CDU und SPD keimt in der Branche nun etwas Hoffnung auf.

Dominik Görg,
Chemie, Biotechnologie & Pharma
Chemie, Biotechnologie & Pharma © AdobeStock: m.mphoto

„Deutschland ist zurück“ feiert der VCI dieser Tage das Koalitionspapier der zukünftigen Bundesregierung. Mit hohem Tempo und Pragmatismus hätten CDU und SPD einen gemeinsamen Nenner gefunden. Für Deutschlands drittgrößten Industriezweig steht im Papier: „Wir werden Deutschland zum weltweit innovativsten Chemie-, Pharma- und Biotechnologiestandort machen. Gemeinsam mit Ländern, Unternehmen und Gewerkschaften werden wir eine Chemieagenda 2045 erarbeiten.“ Wie von VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup gefordert, verliert sich die Koalition nicht im Klein-Klein. Das heißt aber auch: Konkretes muss noch gemeinsam erarbeitet werden.

Bürokratieabbau und niedrige Energiekosten

Ein Konsens hingegen besteht bereits sowohl bei der Senkung der Energiepreise als auch bei grundlegender Deregulierung wie der CSRD – beides Hauptforderungen der Chemie. Als gemeinsamer Regulierungsrahmen soll die EU-Chemikalienverordnung REACH dienen.

Auch sollen immissionschutzrechtliche Genehmigungsverfahren vereinfacht und das chemische Recycling von Kunststoffen unterstützt werden. Zudem sollen Netzentgelte dauerhaft gedeckelt, die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß (0,05 ct/kWh) gesenkt und die Gasspeicherumlage abgeschafft werden. Für energieintensive Unternehmen soll zudem ein Industriestrompreis Entlastung bringen. Im ganz speziellen Fall befürwortet Verbio die Erhöhung der THG-Quote sowie eine stärkere Betrugsprävention im Biokraftstoffmarkt.

Unterschiede im US- und Europa-Geschäft

Dank des Koalitionspapiers dürften Unternehmen wieder mehr in Deutschland investieren. Doch gleichzeitig behindern weiterhin die US-Zölle die zukünftige Entwicklung des Sektors. Wer in die USA exportiert und keine Produktion vor Ort hat, wird sich auf direkte Gewinneinbußen einstellen müssen. Unter den großen Chemikern der DAX-Familie betrifft das aber kaum jemanden. Laut Bundesbank gibt es 128 Tochterunternehmen deutscher Chemieunternehmen in den USA, die einen Umsatz von 65 Mrd. Euro direkt vor Ort erwirtschaften.

Kleinere Unternehmen ohne US-Standort treffen die US-Zölle hingegen unmittelbar, sofern sie in die USA exportieren. Während 2024 der Umsatzanteil in den USA bei Alzchem, Fuchs, Wacker Chemie und Evonik mit rund 20% am geringsten und bei Brenntag und Lanxess mit rund 40 bzw. 30% am größten ist, wissen wir aus Branchenkreisen, dass deutsche Chemiker wie BASF gut 80% des Umsatzes lokal ohne direkte Zollbelastung erzielen.

Schwache Konjunktur trifft Chemie zuerst

Wichtiger werden jedoch indirekte Effekte wie z.B. Nachfragerückgänge aus typischen Abnehmerindustrien wie dem Autosektor sein. Die US-Zölle stellen in diesem Kontext eine Blackbox dar, deren Auswirkungen sich erst noch zeigen werden. Schließlich sind die USA der wichtigste Handelspartner der EU. Im Länderranking stehen sie gleich nach den Niederlanden und Frankreich auf Platz drei. 2024 exportierte der deutsche Chemiesektor Waren im Wert von 10,2 Mrd. Euro in die USA, Pharma gar das Dreifache. Vor allem könnte die Produktion in den USA teurer werden, wo Abhängigkeiten vom Ausland bestehen.

Zu nennen sind hier: 1. Seltene Erden für Hightech-Elektronik, Licht-und Medizintechnik sowie Dauermagnete, 2. Lithium, Kobalt und Nickel für Lithium-Ionen-Batterien und Energiespeicher, 3. pharmazeutische Grundstoffe, 4. industrielle Chemierohstoffe und ihre komplexen Zwischenprodukte, 5. Fluorit für Halbleiter, Teflon, Pharma und Spezialklebstoffe, 6. Grafit für Elektroden, Batterien (Anodenmaterial) und Schmierstoffe. Oder um es mit den Worten von Wolfgang Große Entrup zu sagen: „Die Chemie steht am Anfang aller hochwertigen Wertschöpfungsketten.“

Rückkehr steigender Inflationsraten

Ein großes Problem: Nicht nur drohen die USA in eine Rezession zu rutschen, sondern auch die Inflation dürfte unter Trump kräftig zulegen und so die Nachfrage dämpfen. Branchenvertreter erwarten in den USA einen Kampf um Marktanteile. Indes hat China unlängst die eigenen Lager gefüllt und kann bei Bedarf die Produktion hochfahren und so die Angebotsseite fluten. Hersteller von Basischemikalien wie Ammoniak werden in diesem Zuge eine Konsolidierung erfahren, die nur größere Player übrig lässt.

Vom fallenden Ölpreis profitiert aktuell vor allem die Petrochemie, die geringere Rohstoffkosten eins zu eins in höhere Margen umwandeln kann. Auch Branchenvertreter, die wie Alzchem Vorprodukte wie Nitroguanidin in der Verteidigungstechnik herstellen, oder wie Lanxess anorganische Pigmente für den Bau produzieren, könnten in Zukunft profitieren.

 

In der Serie Sektorüberblick erschienene Artikel:

Pharmabranche hat die Anti-Trump-Zoll-Pille

Bau- und Infrastruktur – Welche Rolle spielt der Zollkonflikt?

Wie US-Zölle dem Konsum schaden

Hensoldt, Rheinmetall, Renk – Gewappnet für den Handelskrieg?

Airbus, MTU Aero – In der Luftfahrt gibt es nur Verlierer

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