CFO-Interview

Talanx CFO Jan Wicke – „Wir sind bereit, in Wachstum zu investieren“

Bei Talanx ist der Rekordlauf der Aktie ins Stocken geraten. Finanzvorstand Jan Wicke kontert in unserem Interview Zweifel, verrät seine M&A-Pläne, setzt auf Dividendenstärke und Kostendisziplin. Und er erklärt, warum der DAX zwar kein primäres Ziel ist, aber trotzdem eine Rolle spielt.

Klaus Brune,
Talanx-Finanzvorstand Jan Wicke stand uns im Interview Rede und Antwort.
Talanx-Finanzvorstand Jan Wicke stand uns im Interview Rede und Antwort. © Talanx

Herr Wicke, die kombinierte Schaden/Kostenquote von Talanx lag im Q2 bei 90,7% — nach Ihrer Aussage die beste in der Talanx-Geschichte. Wie haben Sie die deutliche Verbesserung seit 2022, als die Quote noch bei rund 95% lag, erreicht?

Die Combined Ratio für das Jahr 2022 ist aufgrund des 2023 neu eingeführten Bilanzierungsstandard IFRS 17 nicht uneingeschränkt mit der aktuellen Combined Ratio vergleichbar. Jedoch haben wir auch unter dem alten Bilanzierungsstandard nie eine bessere Combined Ratio als im laufenden Jahr erreicht. Wir profitieren von unserer konsequenten Portfoliosteuerung, von günstigen Markzyklen, und auch davon, dass wir in den richtigen Märkten und Segmenten unterwegs sind.

Und natürlich vom richtigen Risikomodell, oder?

Natürlich. Das Risikomodell basiert auf verschiedenen Underwriting-Modellen und ist entscheidend für die Combined Ratio. Aber es ist nie fertig und perfekt. Es muss ständig an neue technologische Entwicklungen, an neue Umweltbedingungen angepasst werden. Letzteres ist insbesondere wegen des Klimawandels sehr wichtig. Und insofern macht in der Versicherungswirtschaft den Unterschied aus, wer es schneller und besser anpasst. Das ist auch immer eine Entscheidung in Ungewissheit, weil wir Risiken in der Zukunft bewerten.

Aber ist das nicht paradox? Warum sinkt die Combined Ratio, wenn die Häufigkeit von Naturkatastrophen doch steigt?

Das Entscheidende ist, dass wir risikoadäquate Preise für unsere Leistungen erzielen können. Natürlich sehen wir einen Anstieg der Großschäden. Und dass sich dieser Trend durch den Klimawandel induziert verstärken wird, davon gehen wir aus. Die entscheidende Frage ist, bezahlen unsere Kunden angemessene Preise dafür? Sind sie bereit, bei einer höheren Frequenz von diesen Ereignissen mehr Geld für den Versicherungsschutz auszugeben?

Und … Zahlen die Kunden dafür? Oder kommen wir in einen „weichen“ Markt mit rückläufigen Preisen?

Insgesamt sind wir mit den Preisen derzeit zufrieden. Sie reflektieren die Risiken angemessen und selbst wenn aktuell eine gewisse Stagnation bei den Preissteigerungen zu beobachten ist, liegen die Prämien nach wie vor auf auskömmlichem Niveau.

Sind Sie zufrieden mit dem Erreichten?

Wir sind zufrieden mit der technischen Qualität unserer Ergebnisse. Wir erzielen in allen Geschäftsbereichen sehr gute Ergebnisse und unsere Bilanz ist stark.

Ich sehe in der Talanx Gruppe allgemein eine sehr gute Kostendisziplin, die wir als Wettbewerbsvorteil nutzen können. Diese geringeren Kosten tragen zu der Qualität unserer Combined Ratio bei, denn in dieser sind neben den Schadenaufwendungen die Kosten für die Verwaltung abgebildet. Hier kommt uns zugute, dass wir in 93 Prozent unserer Segmente die Kostenführerschaft haben. Das ist ein kontinuierlicher Prozess, genauso wie das Underwriting, weil wir an der Kostenführerschaft tagtäglich unternehmerisch arbeiten müssen.

Sie gehen mit einem Puffer im Großschadenbudget von knapp 140 Mio. Euro in das Hurrikan-Quartal. Wie vergleicht sich das historisch? 

Der erwartete Großschadenaufwand ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich und hängt auch von den gezeichneten Risiken ab, deshalb vergleichen wir mit der budgetierten Größe. Und es ist immer gut, einen Puffer zu haben. 140 Millionen Euro waren eine gute Grundlage für das dritte Quartal und in den Monaten Juli und August haben wir nicht viele Großschäden erlebt. Der Puffer ist aktuell also höher.

Die Hurrikan-Saison beginnt aber gerade erst. Normalerweise konzentriert sich die höchste Großschadenslast auf das dritte Quartal. Daher müssen wir abwarten, bis man das genauer einschätzen kann – so ein Puffer ist durch starke Hurrikans auch schnell aufgebraucht.

Heißt es, wenn die Schadensaison jetzt oder die Hurrikan Saison jetzt gut verläuft, dann könnten wir noch einmal mit einer Prognoseanhebung rechnen?

Wir überprüfen nach jedem Quartal unsere Guidance. Der große Überprüfungstermin für die Guidance ist jedoch immer erst nach dem dritten Quartal, weil dann die Hurrikan-Saison zwar noch nicht komplett vorüber, aber weitestgehend abgeschlossen ist. Wir werden die große Überprüfung natürlich wie immer durchführen, waren aber schon nach der ersten Jahreshälfte sehr, sehr zuversichtlich. Deshalb haben wir unsere Gewinnerwartung für 2025 von mehr als 2,1 Mrd. Euro auf ungefähr 2,3 Mrd. Euro angehoben.

Die Erstversicherung hat in den vergangenen Jahren einen stetig steigenden Anteil zum Gewinn beigetragen. Werden sich die Kräfteverhältnisse bei Talanx weiter in Richtung Erstversicherung verschieben? 

Derzeit machen Erst-und Rückversicherung jeweils rund 50 Prozent des Gewinns der Talanx Gruppe aus. Dieser Mix ermöglicht uns eine gute Diversifikation. Wir nutzen die Wachstumspotenziale aber dort aus, wo sie sich ergeben und werden keinem Segment verbieten, profitabel zu wachsen.

Und wir allokieren das Kapital dahin, wo sich profitable Wachstumsmöglichkeiten ergeben. Die hälftige Aufteilung zwischen Erst- und Rückversicherung ist ein schöner Beleg dafür, wie gut wir diversifiziert sind. Aber aus einer Risikoperspektive lässt sich sagen: Alle Verhältnisse zwischen 70:30 oder 60:40 in beide Richtungen sind gut, weil beide Bereiche global aufgestellt sind. Wir sind da nicht festgelegt.

Bei der Erstversicherung in Lateinamerika haben sie ausgesiebt. In Argentinien, Uruguay, Ecuador wurden Geschäfte verkauft. Ist der Prozess damit abgeschlossen?

Zunächst einmal haben wir mit Zukäufen von Liberty unsere Marktposition in Lateinamerika kräftig ausgebaut. Im Nichtlebengeschäft sind wir dort die Nummer Zwei. Nun haben wir uns auf die größeren Märkte fokussiert, die wirklich den Unterschied machen, wie Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko. Dieser Prozess der Konzentration ist abgeschlossen. Wir sind übrigens immer bereit, in unseren Kernmärkten zuzukaufen oder weitere Kooperationspartner zu gewinnen.

Es wird gerade viel darüber gesprochen, dass die Versicherungsmärkte „weicher“ werden. Wie beurteilen Sie die Situation?

Wir operieren nicht in einem Markt und nicht in einem Versicherungszyklus. Der Kfz-Markt in Deutschland etwa ist ein Markt, der härter wird. In Südamerika dagegen haben wir Märkte, die weicher werden. Wir haben sehr viele unterschiedliche Zyklusstadien und deshalb ist es schwierig, ein Gesamtbild zu kreieren. Das Gute an Talanx ist: Wir haben eine Diversifikation über die Zyklen, Marktsegmente und Länder hinweg und bewegen uns in vielen Mikrozyklen und sind nicht von einem Makrotrend oder -zyklus abhängig. Auch in der Rückversicherung sind nicht alle Märkte derzeit „weich“.  Die Preise gehen leicht zurück, aber in manchen Haftpflichtmärkten gehen die Preise nach oben und insgesamt bewegen sie sich auf risikoadäquatem Niveau.

Marktanteile ausbauen oder lieber Margen erhalten. Was machen sie? 

Die Prioritäten der Talanx sind sehr einfach.

Wir streben erstens eine stetig steigende Dividende an und zweitens ein Gewinnwachstum an, bei einer etwas niedrigeren Volatilität als die Wettbewerber. Wichtig ist, dass unsere Geschäftsbereiche die Entwicklungen ständig im Blick behalten. Und wenn die erwarteten Margen negativ werden, dann müssen konsequente Maßnahmen getroffen werden – Risikoreduktion, Preiserhöhungen, Selbstbehalterhöhungen. Für uns ist ein Rückzug aus einem Risiko immer nur die allerletzte Konsequenz. Langfristig wollen wir wachsen, weil das die Grundlage für unser Gewinn- und Dividendenwachstum ist.

Wie priorisieren Sie Kapital — Dividende, Aktienrückkäufe, Schuldenabbau, M&A oder organisches Wachstum?

Die erste Priorität ist: Wir wollen unseren Aktionären und Investoren eine stetig steigende Dividende ausschütten. Gleichzeitig wollen wir unsere Ergebnisse mit geringerer Volatilität steigern.

Darüber hinaus schauen wir immer Wachstumschancen an. Und wir sind bereit, in Wachstum zu investieren. Da haben wir in den vergangenen Jahren einen sehr guten Track Record erzielt. Und wir haben den Luxus, dass wir auch die Unterstützung unseres Großaktionärs haben, eine langfristig angelegte Wachstumsstrategie umzusetzen.

Wir glauben, wenn wir überproportional am globalen Wachstum teilhaben, werden wir dauerhaft eine ausgezeichnete Diversifikation von Risiken erreichen. Das wirkt sich positiv auf die Kosten für Versicherungsschutz aus. Da wir darüber hinaus sehr niedrige Verwaltungskosten haben, können wir so unseren Kunden gute Preise bieten. Und deshalb ist Wachstum auch etwas, was langfristig für gute Preise sorgt.

Kommt das Wachstum in erster Linie aus Lateinamerika?

Nein, wir wachsen global. Wir wachsen nicht nur in Lateinamerika, wir wachsen zum Beispiel gerade auch in Polen sehr stark und in vielen Corporate & Specialty-Märkten. Ich würde Wachstum auch nicht von Quartal zu Quartal beurteilen, sondern auf die langfristigen Trends achten wollen: In Ländern, die über eine gesunde demographische Entwicklung verfügen, über ein ordentliches Wirtschaftswachstum mit stabilen politischen Rahmenbedingungen, dort erleben wir Wachstum.

Gibt es konkrete M&A-Bereiche, die für Sie interessant sind? 

Wir sind bereit, im Bereich Retail International weiter zu wachsen. Bevorzugte Märkte sind perspektivisch Mexiko oder Kolumbien. Und in Europa ist Italien auch interessant.

Unseren Corporate & Specialty-Versicherer HDI Global würden wir auch gerne durch Akquisitionen stärken. Aber es muss Sinn machen, EPS-erhöhend sein und wir müssen sehr auf die Portfolien achten. Ich denke da zum Beispiel an die Erfahrungen mancher Wettbewerber mit US-amerikanischen Haftpflicht-Versicherern. Da muss man schon sehr genau prüfen, obwohl der US-Markt natürlich sehr interessant ist für uns.

Und auch im Privatkundengeschäft in Deutschland sind wir ganz grundsätzlich offen: Derzeit sehen wir aber kein lohnendes Objekt. Und es gibt Bereiche, in denen M&A generell unwahrscheinlicher ist, etwa in der Rückversicherung. Die Hannover Rück hat bereits eine herausragende globale Wettbewerbsstellung. Da wäre das Risiko einer Akquisition für Kultur und Kostenquote hoch.

Die Dividende soll bis 2027 auf 4,00 Euro je Aktie steigen. Das wären vom Ausgangsniveau 2022 aus gesehen etwa 15% pro Jahr. Bislang liegen Sie auf Kurs. Bleibt das so?

Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir hier auf Kurs sind und bleiben. Uns ist es wichtig, dass wir unsere Versprechen erfüllen. Heißt: Wir werden die 4,00 Euro erreichen.

Talanx segelt immer ein wenig unter dem Radar großer internationaler Investoren. Seit November 2021 ist der Versicherer wieder im MDAX notiert und gehört mittlerweile zu den größten Unternehmen unter den Mid-Caps. Schielen Sie schon ein wenig in Richtung DAX?

Natürlich spielt das für uns eine Rolle, weil sich bei einer DAX-Mitgliedschaft zusätzliche Investorennachfrage ergibt.

Aber der DAX ist kein primäres Ziel der Gruppe. Wir fühlen uns auch im MDAX wohl.  Dort werden wir unser Geschäft weiterentwickeln und unsere ambitionierten Ziele erfüllen. Dieser Erfolg wird sich auch in den Bewertungen widerspiegeln. In erster Linie wollen wir ein guter Versicherer sein. Und dafür achten wir auf Kostenführerschaft und gutes Underwriting.

Herr Wicke, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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