Insiderinformation light – EU-Kommission sucht gemeinsamen Nenner im Kapitalmarktrecht
"Acht Jahre nach Inkrafttreten der Marktmissbrauchsrichtlinie hat die EU-Kommission mit dem von ihr am 20.10.11 vorgelegten Vorschlag für eine Marktmissbrauchsverordnung nicht nur den Grundstein für weitreichende Reformen im Kampf gegen Marktmissbrauch gelegt, sondern zugleich einen großen Schritt hin zu einer europaweiten Vereinheitlichung des Kapitalmarktrechts getan. Welche Auswirkungen das auf die deutsche Rechtspraxis hat, erläutern Andreas Merkner und Marco Sustmann, Partner bei Glade Michel Wirtz."
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Realität wird die Rechtsvereinheitlichung frühestens Ende 2014, nach Abschluss des üblichen EU-Gesetzgebungsverfahrens und einer großzügig bemessenen Übergangsfrist von 24 Monaten. Sollte es dann tatsächlich zu der angedachten Harmonisierung kommen, wären die Auswirkungen auf das deutsche Kapitalmarktrecht durchaus einschneidend. Denn mit Anwendbarkeit der Marktmissbrauchsverordnung wären die derzeit für die Bekämpfung von Insidergeschäften und Marktmanipulation maßgeblichen Regelungen des WpHG im Wesentlichen obsolet. Mit Blick auf das Ziel einer Verbesserung der Marktintegrität und des Anlegerschutzes werden die geplanten Änderungen signifikante Auswirkungen insbesondere auf den gesamten Bereich der Insiderüberwachung einschließlich der thematisch verwandten Bereiche der Ad-hoc-Publizität und der Directors’ Dealings haben.
Verschärfung des Insiderrechts
Vor allem die angedachte Erweiterung des Begriffs der Insiderinformation in Artikel 6 Absatz 1 lit. e) des Verordnungsvorschlags durch einen neuen Tatbestand hat bereits jetzt eine lebhafte Diskussion ausgelöst und ist mit dem Schlagwort der „Insiderinformation light“ belegt worden.
Der wesentliche Unterschied zur bisherigen Definition der Insiderinformation besteht darin, dass die neue Kategorie sowohl auf das Merkmal der „präzisen“ Information als auch auf das Kursbeeinflussungspotenzial verzichtet. Verglichen mit dem derzeit erforderlichen Kursbeeinflussungspotenzial verlangt der neue Tatbestand lediglich, dass die Information von „einem verständigen Investor“ bei der Entscheidung über die Bedingungen des Geschäftsabschlusses als „relevant“ betrachtet würde. Im Ergebnis würde dies eine spürbare Verschärfung des Insiderrechts bedeuten.
Entkopplung von der Ad-hoc-Publizität
Aber worin liegt die Verschärfung genau? Hilfreich für das Verständnis der sehr abstrakt gefassten Neuregelung ist Erwägungsgrund 14 des Verordnungsvorschlags. Danach soll die Insiderinformation light beispielsweise den „Stand von Vertragsverhandlungen“, „vorläufig in Vertragsverhandlungen vereinbarte Bedingungen“, die „Möglichkeit der Platzierung von Finanzinstrumenten“ und die „Umstände, unter denen Finanzinstrumente vermarktet werden“ erfassen. Die genannten Beispielsfälle sind bemerkenswert, denn es handelt sich dabei – so Erwägungsgrund 14 weiter – zwar um möglicherweise für Investoren relevante Informationen, die jedoch mitunter nicht ausreichend präzise sind, um für den Emittenten eine Pflicht zur Offenlegung zu begründen. Daher sieht der Verordnungsvorschlag bei der neuen Kategorie der Insiderinformation light auch keine Pflicht für den Emittenten zur Ad-hoc-Publizität vor.
Konsequenz der angedachten Neuregelung wäre zukünftig eine – dem deutschen Recht vor Inkrafttreten des Anlegerschutzverbesserungsgesetztes im Jahre 2004 nicht unbekannte und damit erneute – Entkopplung des Insiderrechts von der Ad-hoc-Publizität. Dies ist zu begrüßen, denn die derzeit durch die Marktmissbrauchsrichtlinie vorgegebene einheitliche Anknüpfung an den Begriff der Insiderinformation für Zwecke sowohl des Insiderverbots als auch der Ad-hoc-Publizität hat zu strukturellen Problemen geführt. Je nachdem, ob die Verhinderung von Insidergeschäften oder der Kapitalmarktinformationscharakter der Ad-hoc-Publizität in den Vordergrund gerückt wird, liegt es nahe, den Begriff der Insiderinformation weiter oder enger auszulegen.
Die Einführung einer neuen Kategorie der Insiderinformation light bietet demgegenüber den Vorteil, dass eine sachgerechte Auslegung der Publizitätspflicht nach der Neuregelung unabhängig von der Frage erfolgen kann, ob zugleich auch die Ziele der Insiderprävention erreicht werden. Insbesondere einer gegebenenfalls später einsetzenden Ad-hoc-Publizitätspflicht lässt sich dann nicht mehr das Argument entgegenhalten, durch die einheitliche Anknüpfung entstünden (vermeintliche) Schutzlücken in Bezug auf die Insiderverbote. Dass sich mit der Insiderinformation light neue Abgrenzungsfragen stellen werden, liegt zwar auf der Hand. Da an den Verstoß gegen insiderrechtliche Bestimmungen nach einem separaten Richtlinienvorschlag der EU-Kommission strafrechtliche Sanktionen geknüpft werden sollen, wird sich die erforderliche Abgrenzung zudem auch am Maßstab des Bestimmtheitsgrundsatzes messen lassen müssen. Auch wenn die Bestimmung klarer Grenzlinien keine leichte Aufgabe sein wird, ist der vorgeschlagene Regelungsansatz jedoch im gedanklichen Ansatz zu begrüßen.
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