Frankreich – Späte Rache

Die EZB, namentlich ihr belgischer Chefvolkswirt Peter Praet, der zugleich im Direktorium der Notenbank Sitz und Stimme hat, sorgt sich um Frankreich (s. PLATOW v. 28.11.18). Die Ereignisse seither, die die Volkswirtschaft des Nachbarlandes lähmenden Proteste der Gelbwesten, aber auch die Terrormorde von Straßburg, sind traurige Bestätigung für die warnenden Stimmen aus dem Frankfurter Tower. So verschieden die Frankreich unter Starkstrom setzenden beiden Ereignisse auf den ersten Blick anmuten, lässt sich doch ein gemeinsamer Ursprung erkennen: Frankreich hat die Integration von Millionen seit den 1960er-Jahren aus den ehemaligen Kolonien ins Land strömenden Menschen ebenso sträflich vernachlässigt wie das Wohlergehen und die Aufstiegschancen der unteren Mittelschicht. Beide Versäumnisse haben in diesen Bevölkerungsgruppen zur Radikalisierung beigetragen.

Im Fall des jetzt von der Polizei liquidierten Attentäters Chérif Chekatt hatte sich eine ganze Familie von ihrem Heimatland Frankreich abgewandt und es zu ihrem Feind erklärt. Beim Aufbegehren der die untere Mittelschicht repräsentierenden Gelbwesten geht es nicht um gesellschaftliche Akzeptanz. Obwohl nur ca. 200 000 Franzosen landesweit auf die Straße gehen, um z. T. gewaltsam zu protestieren, haben diese Kräfte bei etwa 70% der Bevölkerung enormen Rückhalt. Die Mitglieder der Gelbwesten-Bewegung sind zwar integriert. Sie quälen aber Abstiegssorgen, sie kämpfen um Chancengleichheit, die ihnen den ersehnten gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen soll. Die Verkrustungen in der französischen Gesellschaft gehen auf über viele Jahre angewachsene Defizite in allen gesellschaftlichen Bereichen zurück. Die Erziehung in den Familien ist autoritär, das Bildungssystem kaum durchlässig. Die Kräfte für Führungspositionen in der Politik wie in den Unternehmen rekrutieren sich aus einem kleinen Kreis von Absolventen der Eliteschulen und -universitäten. Auch der amtierende Präsident Emmanuel Macron, der als Modernisierer angetreten war, ist mit seiner Karriere ein Beleg dafür, dass die Elite in Frankreich gern unter sich bleibt. Sein ausgestreckter Arm in Richtung des kleinen Mannes wirkt aufgesetzt und wenig authentisch. Die Franzosen beneiden Deutschland um dessen Integrationsanstrengungen, um Angela Merkel und die nicht minder biedere Annegret Kramp-Karrenbauer. Es ist kein Zufall, dass Frankreich viel häufiger Zielscheibe arabischstämmiger Attentäter ist und der Zorn der unteren Mittelschicht kaum Grenzen kennt. Macron kann nur mit gefülltem Geldbeutel die Gemüter besänftigen. Alles andere nehmen ihm die einfachen Bürger nicht mehr ab. Das wird teuer und macht Frankreich auch für den Euro zur Gefahr.

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