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Westbalkan – Kein Big Bang für die EU

Seit der französische Präsident Emmanuel Macron seinen Widerstand gegen die EU-Beitritte der sechs Westbalkanstaaten aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine aufgegeben hat, ist ein genauerer Blick auf Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nord-Mazedonien und Serbien auch aus Investorensicht interessant geworden. Bislang hat jeder Beitrittsprozess für die EU-Staaten selbst einen Impuls ausgelöst, v. a. aber den Kandidatenländern kräftig Schwung gegeben.

Der Schub für die EU dürfte in diesem Fall aber überschaubar bleiben. Die Balkan-6 bringen mit ihren 17,1 Mio. Einwohnern zusammen ein BIP (2022) von etwa 110 Mrd. Euro auf die Waage, zwar mehr als Brandenburg (88 Mrd. Euro), aber weniger als Schleswig-Holstein (112 Mrd. Euro). Das ist kein Big Bang für die EU. Für die Kandidaten selbst sieht das allerdings ganz anders aus. Das durchschnittliche BIP pro Kopf liegt bei etwa 7 210 Euro und damit bei nur wenig mehr als der Hälfte Bulgariens, das als ärmstes EU-Land auf 13 772 Euro kommt – vom EU-Durchschnitt (37 194) Euro ganz zu schweigen.

Die Spannbreite zwischen den Kandidaten ist beträchtlich, im Kosovo wird mit 4 855 Euro nur wenig mehr als die Hälfte der für Serbien festgestellten 8 540 Euro erzielt. Positiv formuliert: Die Kandidaten haben einen Aufholprozess gestartet, der ihnen über viele Jahre überdurchschnittliche Wachstumsraten bescheren wird. Allerdings sorgt die Demografie mit Abwanderung und schwachen Geburtenraten für eine deutlich schrumpfende Bevölkerung. Es wird nicht reichen, wie gewohnt mittels Direktinvestitionen verlängerte Werkbänke zu errichten, die das Überangebot an Arbeit absorbieren können, und mit den zusätzlichen Einkommen weitere Impulse zu schaffen.

Eine Studie der Global Initiative against Transnational Organized Crime (GITOC), einem Netzwerk von Spezialisten aus akademischer Forschung, staatlichen und nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen sowie aus der Unternehmenspraxis, kam zum Ergebnis, dass der informelle Sektor der Balkan-Volkswirtschaften gleichmäßig etwa 31 bis 33% des BIP ausmacht. Hier werden ausschließlich Bargeschäfte oder reiner Tauschhandel betrieben, ohne Erfassung in den Büchern des Bankensystems oder des Fiskus.

Das ist natürlich ein riesiges Einfallstor für Korruption und verdeckte Finanzströme, mit denen illegal erworbene Einkommen oder Vermögen gewaschen und angelegt werden können. Damit eignen sich diese Staaten nicht nur für gewöhnliche organisierte Kriminalität als Schaltstellen, sondern auch für eine Spielart von Korruption, die lt. Transparency International von der Russischen Regierung zu einem Instrument der Außenpolitik entwickelt wurde: Korruption mit dem Ziel politischer Einflussnahme. Die kann vom Balkan bis in die EU-Kernstaaten reichen. Angesichts der geschätzten Volumina der illegalen Finanzströme (ein- und ausgehende aggregiert) von 5 bis 12% vom BIP ist das kein kleines Risiko. Dieser Beitrittsprozess wird neue Investment-Chancen schaffen, dient in erster Linie aber der Sicherheit in Europa. mk

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