Visegrad – Faustdicke Überraschung in Osteuropa
Das erschreckend starke Abschneiden rechtspopulistischer und nationalistischer Parteien bei den Wahlen zum EU-Parlament, insbesondere in den Kernstaaten Deutschland und Frankreich, verdeckt ein wenig eine andere überraschende Entwicklung: In drei der vier Visegrad-Staaten, die als Hochburgen der EU-Skepsis gelten, mussten diese Populisten und Nationalisten deutliche Niederlagen einstecken.
Tschechien unverhoffter Fels in der Brandung
Am deutlichsten fiel die Ohrfeige für den ungarischen Putin-Freund und Demokratieverächter Viktor Orbán aus, dessen Fidesz-Partei mit 44,8% zwar stärkste Partei blieb, aber im Vergleich zur letzten Wahl (52,7%) die absolute Mehrheit verlor. Der Verlust von 8 Prozentpunkten trotz einer weitgehend regierungskontrollierten Medienlandschaft ist ein deutliches Signal der Unzufriedenheit. Ebenso deutlich fiel die Abfuhr für Orbáns engen Verbündeten Robert Fico in der Slowakei aus: Seine Partei Smer rutschte mit 24,8% auf den zweiten Platz hinter die linksliberale Opposition der PS (27,8%). Gemessen an den aktuellen Ergebnissen wackelt seine Regierungsmehrheit.
Ähnlich erging es der polnischen PiS-Partei, die sich trotz der Differenzen in Sachen Russland als ideologischer Verbündeter von Orbán und Fico auf deren Anti-EU-Kurs versteht. Sie wurde bereits im vergangenen Jahr aus der Regierung abgewählt, konnte aber ihre Position als stärkste Partei noch knapp verteidigen. Jetzt schaffte es die pro-europäische Partei von Ministerpräsident Donald Tusk, die Bürgerplattform (PO), mit 37,1% der Stimmen die PiS (36,2%) zu überholen.
Eine Ausnahme bildet Tschechien, wo die Ano-Partei des ehemaligen Regierungschefs Andrej Babiš fünf Prozentpunkte zulegen konnte und mit 26,1% die liberal-konservative Spolu (22,3%), die derzeit die Regierung stellt, deutlich überholte. Allerdings ist die Ano-Partei auch politisch eine Ausnahmeerscheinung. Ex-Premier Babiš hat während der Amtszeit der Ano-geführten Regierung der Versuchung widerstanden, den Rechtsstaat zu seinen Gunsten zu verbiegen. Stattdessen erweist sich die von der Ano nach Brüssel entsandte ehemalige Justizkommissarin und jetzige Vizepräsidentin der Kommission, Vêra Jourová, als kämpferische Verteidigerin des Rechtsstaats gegen die Orbáns, Kaczynskis und Ficos.
Die Wähler in den Visegrad-Staaten honorieren es offenbar nicht mehr, wenn die Grundlagen der EU durch antiwestliche Rhetorik in Frage gestellt werden. Dies kann als grundsätzliche Zustimmung zur bisher erreichten Integration in der EU interpretiert werden. mk