Brasilien – Interessante Aussichten
Das BIP-Wachstum Brasiliens schwächt sich lt. Artikel-IV-Bericht des IWF ab, dürfte sich aber mittelfristig der von den Experten geschätzten Potenzialrate annähern.
Die BIP-Zuwächse schrumpfen der Projektion zufolge nach den 2021/22 erzielten 5,0% und 2,9% auf 2,1% und 1,2% für 2023/24, um sich in den Folgejahren („mittelfristiger Trend“) bei 1,7% bis 2% einzupendeln. Diese Perspektive ergibt sich den Zahlen des Tableaus zufolge, in dem für die Jahre 2025 bis 2030 Wachstumsraten zu konstanten Preisen zwischen 1,7% und 2% angegeben werden. Im Text heißt es dagegen, das Wachstum werde sich bis Mitte 2025 dem Potenzial von 3% annähern. Die Regierung in Brasilia rechnet wiederum mit einem Potenzial von 2,5%, was der Bericht als etwas zu optimistisch kritisiert.
Ein Trendwachstum von 2% ist für ein Land mit einem Pro-Kopf-Einkommen von knapp unter 10 000 US-Dollar nicht eben beeindruckend. Immerhin reichen diese Zuwächse angesichts der Bevölkerungsentwicklung rechnerisch für eine fortlaufende Verbesserung des Lebensstandards. Brasilien steht rechnerisch bereits an der Grenze zum Bevölkerungsrückgang. Auch dieser IWF-Report legt besonderes Gewicht auf den Konsolidierungsbedarf bei den Staatsfinanzen. Das Basisszenario geht von einem Primärdefizit von 1,3% des BIP im Jahr 2023 aus, was mit einem fiskalischen Impuls von etwa 0,75% des BIP vereinbar ist. Der Primärsaldo soll sich der Projektion zufolge auf einen Überschuss von etwa 1,25% vom BIP verbessern. Voraussetzung dafür ist die Umsetzung von Einnahmemaßnahmen in Höhe von 2% des BIP. Dann dürfte sich die Bruttoverschuldung bei etwa 97% vom BIP stabilisieren. Das Leistungsbilanzdefizit wird sich in diesem Jahr voraussichtlich auf etwa 2,3% des BIP verringern und soll sich auf diesem Niveau mittelfristig stabilisieren. Die Abwärtsrisiken werden durch starke Puffer gemildert, darunter ein solides Finanzsystem, angemessene Devisenreserven, große Liquiditätspuffer des öffentlichen Sektors und ein flexibles Wechselkurssystem.
Beachtliche Chancen stecken v. a. in Ölfunden vor der Küste. Die Produktion stieg von 41 000 Barrel pro Tag im Jahr 2010 auf 2,2 Mio. pro Tag im vergangenen Jahr, womit Brasilen zum achtgrößten Ölproduzenten der Welt aufgestiegen ist. Besonders ist die Qualität des geförderten Öls: Es ist vergleichsweise sauber. Die Menge des pro Barrel emittierten CO2-Äquivalents beträgt 10 kg, verglichen mit einem weltweiten Durchschnitt von 26 kg, berichtete kürzlich der „Economist“. Damit dürfte Brasilien im durch die Energiewende längerfristig schrumpfenden Markt zu einem bevorzugten Lieferanten werden, etwa zulasten Russlands oder Venezuelas mit ihren stark schwefelhaltigen Produkten. Die sog. Pre-Salt-Vorkommen liegen zwar sehr tief, können aber dank moderner Fördertechnik und entsprechender Investitionen zu einem Preis von 35 Dollar pro Barrel gefördert werden, weit günstiger als die meisten Konkurrenten und weit unter aktuellen Preisen. Der mittelfristige Trend könnte also weit besser ausfallen als vom IWF skizziert. mk