Alzchem-CFO Lösler: „Die Pandemie hat unsere Stärken sichtbar gemacht“
Alzchem besitzt in der Spezialchemie eine extrem breite Produktionskette. Im Gespräch erläutert CFO Andreas Lösler, warum der breite Fokus kein Nachteil ist, wie die Pläne in den USA aussehen und weshalb man sich dem Preiskampf mit China bewusst entzieht.

Hallo Herr Lösler, Alzchem ist breit aufgestellt – für viele Investoren klingt das erst einmal nach Komplexität. Ist das ein Nachteil?
Ganz im Gegenteil. Die Breite unseres Portfolios ist ein strategischer Vorteil: Unsere Endmärkte – von der Spezialchemie über Basischemikalien bis hin zur Landwirtschaft – sind kaum miteinander korreliert. Das macht uns widerstandsfähig gegen Krisen in einzelnen Branchen. Zudem setzen wir auf die integrierte Verbundproduktion. Viele Produkte bauen aufeinander auf, was eine effiziente Produktion ermöglicht.
Trotzdem setzen Wettbewerber zunehmend auf Entflechtung. Warum nicht auch Alzchem?
Bei uns wäre das kaum möglich – oder wirtschaftlich unsinnig. Unsere Wertschöpfungskette ist geschlossen. Ein Produkt ist oft der Rohstoff für den nächsten Prozessschritt. Deshalb verfolgen wir klar die Strategie, in allen Bereichen weiter zu wachsen – organisch, nicht durch Verkäufe oder Abspaltungen. Unsere vielen Bereiche machen uns schon auch alle sehr viel Spaß.
Was meinen Sie mit Spaß genau – die Margenstärke?
Ja, genau. Unsere Endprodukte im Bereich der Spezialchemie etwa erreichen EBITDA-Margen von durchschnittlich 25%, manche Produkte sogar noch mehr. Das motiviert uns, in diesen Bereichen gezielt weiter zu investieren.
Im ersten Quartal lief das Spezialchemiegeschäft auffallend gut. Was waren die Treiber?
Vor allem die Bereiche Human Nutrition – insbesondere Kreatin mit unserer 2024 eingeführten Marke „Creavitalis“ – sowie das Custom Manufacturing mit unseren Mehrzweckanlagen. Auch erfreulich: Nach einer Durststrecke zieht das Geschäft im Custom Manufacturing wieder spürbar an. Auch das Futtermittelgeschäft zeigt Wachstum, allerdings bei intensiverem Wettbewerb.
Wie steht es um das klassische Basischemikalien-Geschäft?
In der Landwirtschaft – etwa mit unserem Produkt „Perlka“ – entwickeln sich die Märkte stabil. Schwieriger ist die Lage im Stahlsektor. Da wir stark von der europäischen Stahlindustrie abhängig sind, spüren wir die konjunkturelle Schwäche dort deutlich.
Ihre Hauptkonkurrenz kommt aus China. Spüren Sie den Preiswettbewerb?
Wir machen bei Preisdumping nicht mit. Wir können mit den subventionierten chinesischen Preisen – gerade wegen der hohen europäischen Strom- und CO₂-Kosten – nicht mithalten. Deshalb setzen wir auf Qualität, Liefertreue und nachhaltige Produktion. Im Spezialchemiegeschäft haben wir eine starke Preisgestaltungsmacht – wir verkaufen keine Rohstoffe, sondern Lösungen.
Was hat sich durch Corona in Sachen Lieferketten verändert?
Die Pandemie hat unsere Stärken sichtbar gemacht. Viele unserer Kunden haben erlebt, was passiert, wenn chinesische Lieferketten ausfallen. Seither ist das Bewusstsein für lokale, stabile Lieferketten stark gewachsen – ein klarer Vorteil für uns. Manche Kunden suchen zwar weiterhin den günstigsten Preis, aber das ist nicht unsere Zielgruppe.
Gibt es regulatorische Hilfe gegen Dumping?
Der „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM) soll CO₂-intensive Importe künftig belasten – das würde chinesische Wettbewerber treffen. Aber die Umsetzung wird wohl noch einige Jahre dauern.
Wie wollen Sie künftig weiter wachsen?
Unsere Jahresprognose sieht ein Umsatzwachstum von etwa 5% und ein EBITDA-Wachstum von 7% vor – angetrieben vor allem durch Spezialchemie. Wir investieren aktuell gezielt in Kreatinprodukte und in die Treibladungsproduktion für Nitroguanidin. Wenn wir Chancen am Markt sehen, könnten wir uns auch weitere Investitionen in den Bereich Custom Synthesis und Tierfutteranwendungen vorstellen.
Wie stark beeinflussen Energiepreise Ihre Kalkulation?
Erdgas spielt bei uns eine geringe Rolle, wir nutzen überwiegend Strom – teilweise inzwischen auch Wasserstoff. Durch Preisgleitklauseln geben wir Strompreisschwankungen an Kunden weiter. Ein staatlich geförderter Industriestrompreis würde uns helfen – allerdings gäben wir auch hier Vorteile teilweise weiter.
Sie planen einen Einstieg in den US-Markt. Warum?
Wir haben mit dem US-Verteidigungsministerium eine Absichtserklärung zum Bau einer Nitroguanidin-Anlage getroffen – gefördert mit bis zu 150 Millionen US-Dollar. Die Standortsuche läuft, der Bau soll spätestens 2029 abgeschlossen sein. Nitroguanidin ist eine Treibladung für Artilleriemunition – hier sind wir außerhalb Chinas der einzige Hersteller weltweit.
Ein großer Schritt. Was macht Nitroguanidin so besonders?
Es ist ein hochspezialisiertes Produkt, das sowohl in der Verteidigungs- als auch in der Automobilindustrie – etwa für Airbags – eingesetzt wird. Unsere gesamte Spezialchemie basiert auf dem Rohstoff Calcium Carbid, den wir in einem energieintensiven Prozess aus Kohle und Kalk herstellen. Diese vollständige Wertschöpfung ist ein Alleinstellungsmerkmal.
Wächst das Verteidigungsgeschäft spürbar seit dem Ukrainekrieg?
Ja. Die Nachfrage ist stark gestiegen. Deshalb investieren wir aktuell rund 140 Millionen Euro in Deutschland, um unsere Kapazitäten zu verdoppeln. Auch die EU unterstützt das Projekt mit 35 Millionen Euro. Unsere Kunden – überwiegend Munitionshersteller – haben sich vertraglich zu Beiträgen zur Finanzierung der Anlage und langfristigen Lieferverträgen verpflichtet. Das gibt uns Planungssicherheit.
Ist ein Börsengang einzelner Sparten denkbar, etwa zur Kapitalbeschaffung?
Nein. Unsere Produktion ist zu stark verflochten. Eine Abspaltung würde unsere Effizienz zerstören. Außerdem wären viele Einzelbereiche sicherlich zu klein für den Kapitalmarkt.
Wie realistisch sind Ihre mittelfristigen Ziele?
Wir streben mittelfristig eine Milliarde Euro Umsatz bei 20% EBITDA-Marge an. Für das laufende Jahr erwarten wir rund 580 Millionen Euro Umsatz und ca. 113 Millionen Euro EBITDA. Unsere Investitionen liegen 2025 bei etwa 100 Millionen Euro, der Großteil fließt in die Spezialchemie. Wir werden am 30.Juli mit der Q2-Veröffentlichung wieder über die Guidance berichten.
Einige Analysten sehen im US-Geschäft ein unterschätztes Asset. Stimmen Sie zu?
Absolut. Sechs Analystenhäuser begleiten uns, und fast alle sagen, dass das Potenzial des US-Projekts bislang noch nicht in den Prognosen eingepreist ist. Hier könnte also ein erheblicher Bewertungshebel liegen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Analyse zu Alzchem basierend auf unserem Interview finden Sie hier.