Steuergestaltung ist keine Steuerhinterziehung
"In der öffentlichen Diskussion wird die Steuerplanung von internationalen Unternehmen in der Regel undifferenziert als illegitim beurteilt und in die Nähe der Steuerhinterziehung gerückt. Diese populäre Einschätzung geht jedoch am Kern der Problematik vorbei, wie Martin Bünning, Partner bei Jones Day, erläutert."
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Die Steuerplanung von großen Unternehmen richtet sich in aller Regel an den rechtlichen Vorgaben derjenigen Länder aus, in denen die Unternehmen tätig sind. Die Besteuerung der Tätigkeiten erfolgt stets nach den vor Ort geltenden Regeln, daher handelt es sich bei Steuerplanung auch nicht um strafbare Steuerhinterziehung: Lässt ein Land beispielsweise den Abzug von Zinsen zu, wird die Unternehmensgruppe diese Möglichkeit wahrnehmen. Bietet ein anderes Land die Möglichkeit, Zinserträge günstig (oder auch gar nicht) zu versteuern, wird die Unternehmensgruppe die Möglichkeit prüfen, in diesem Land eine konzerninterne Finanzierungsgesellschaft zu errichten. Im Ergebnis kann sich aus der Kombination beider Umstände eine günstige Konstellation für die Unternehmensgruppe ergeben. Auslöser von steuerlichen Gestaltungsüberlegungen ist häufig also der Steuerwettbewerb der Staaten, die bestimmte Geschäftsmodelle fördern wollen. Das Ergebnis ist in allen Ländern „legal““ und es ist auch legitim, dass Konzerne derartige Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen ihrer unternehmerischen Freiheiten nutzen. Zum einen ist es nämlich so, dass sich in einer modernen, rechtsstaatlichen Ordnung der Fiskus dafür rechtfertigen muss, wenn er auf das Einkommen seiner Bürger und ihrer Unternehmen zugreift. Zum anderen erfolgt die Steuerplanung im Interesse der Eigentümer (Aktionäre) als Teil der Allgemeinheit.
Interessen der Eigentümer wahren
In Deutschland erfolgt die Steuererhebung daher unter Beachtung des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes: Ohne ein auf verfassungsmäßiger Grundlage zustande gekommenes Steuergesetz kann keine Steuer erhoben werden. Zudem ist es auch von der Rechtsprechung anerkannt, dass die Steuerpflichtigen ihre Verhältnisse so planen und organisieren dürfen, dass eine möglichst geringe Steuerbelastung eintritt. Das Ausnutzen dieser Freiheit zur Steuerplanung ist mithin geschützt. Dem Vorwurf, die Steuerplanung großer Unternehmen sei dennoch nicht „legitim““, liegt die Überlegung zugrunde, die Unternehmen würden der Allgemeinheit finanzielle Mittel vorenthalten. Der Vorwurf ist jedoch weder rechtlich noch moralisch gerechtfertigt: Der Besteuerungsanspruch wird bei rechtmäßiger Steuerplanung nämlich erfüllt und die Ausnutzung von Gestaltungsmöglichkeiten erfolgt letztlich im Interesse der Eigentümer, denen das Management verpflichtet ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist es möglicherweise sogar geboten, dass Unternehmen Steuerplanung betreiben, um die Interessen der Eigentümer zu wahren. Dennoch steht es dem Gesetzgeber frei, vermeintliche Besteuerungslücken zu schließen. Davon hat Deutschland auch in großem Umfang Gebrauch gemacht, etwa mit dem sog. Außensteuergesetz, der Zinsschrankenregelung sowie zahlreichen Spezialregelungen zur Bekämpfung von bestimmten Gestaltungsmodellen. Grenzen sind dem Gesetzgeber dabei lediglich durch die Verfassung und die europäischen Grundfreiheiten, insbesondere die Kapitalverkehrsfreiheit gesetzt.
Sofern ein internationaler politischer Konsens besteht, dass der Steuerwettbewerb der Staaten als Auslöser steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten unerwünscht ist und eingedämmt werden soll, sollte sich die internationale Steuerpolitik darum bemühen, Steuervorteile, die durch das nationale Steuerrecht geschaffen werden, einzuschränken. Hierauf zielen die Vorschläge der OECD im Rahmen der BEPS Initiative ab. Allerdings basieren die in der Öffentlichkeit am heißesten diskutierten Fälle der unerwünschten Steuergestaltung (z. B. Starbucks, Amazon, Apple) im Wesentlichen auf Besonderheiten des US-amerikanischen Steuerrechts, die es amerikanischen Unternehmen ermöglichen, ihre Gewinne im Ausland zu „parken““ und so ihre Konzernsteuerquote zu senken. Ob in den USA der politische Wille besteht, dies grundsätzlich zu ändern, ist derzeit wohl nicht absehbar. Aber auch im Rahmen der EU stehen der Umsetzung von Initiativen zur Vermeidung von Steuergestaltung Hindernisse entgegen: Wie soll es beispielsweise im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit gerechtfertigt werden, dass der Abzug von Zinsaufwand bei EU-Unternehmen davon abhängig gemacht werden könnte, wie der Zinsertrag beim Darlehensgeber behandelt wird und der Darlehensnehmer möglicherweise wegen des Sitzes des Darlehensgebers durch Versagung des Zinsabzugs diskriminiert wird.
In keinem Fall ist es jedoch gerechtfertigt, rechtmäßige Steuergestaltung zu kriminalisieren und mit strafbarer Steuerhinterziehung in einen Topf zu werfen. Bei der Steuerhinterziehung wird der Besteuerungsanspruch des Staates durch betrügerisches Verhalten verletzt, während der Sachverhalt bei der Steuergestaltung im Rahmen von „tax rulings““ oder später im Rahmen von steuerlichen Veranlagungsverfahren offengelegt wird. Daher ist es auch legitim, Steuerhinterziehung durch automatischen Datenaustausch zu bekämpfen. Eine interessante Entwicklung ist, dass die EU-Kommission begonnen hat, bestimmte steuerliche Gestaltungen, die in Abstimmung mit staatlichen Steuerbehörden gewählt wurden, unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Beihilfen zu prüfen. Die Fragestellung sollte daher möglicherweise nicht lauten: Ist Steuergestaltung eine verbotene Steuerhinterziehung? Sondern: Ist Steuergestaltung möglicherweise eine unerlaubte Beihilfe?
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