„Gun Jumping“ – Haftungsrisiken zwischen Signing und Closing
Viele Unternehmenskäufe sind abhängig von der Prüfung und Genehmigung durch Kartellbehörden, wie z. B. das Bundeskartellamt oder die EU-Kommission, was viele Monate in Anspruch nehmen kann. „Während dieser Zeit sollte der Käufer der Versuchung widerstehen, zu viel Einfluss auf das Zielunternehmen zu nehmen, weil die Behörde derartige Handlungen als Vollzug der Übernahme werten und ahnden kann“, warnt Marcel Nuys, Kartellrechtsexperte bei Herbert Smith Freehills.
Bei einem Verstoß können etwa in Deutschland Bußgelder von bis zu 10% des jährlichen Konzernumsatzes fällig werden. In früheren Verfahren verhängte Strafen zeigen, dass dieser Rahmen auch genutzt wird. So hat das Bundeskartellamt gegen die US-amerikanische Mars Inc. eine Strafe von 4,5 Mio. Euro bestimmt, die EU-Kommission gegen das niederländische Unternehmen Altice sogar eine Strafe von 124,5 Mio. Euro. Canon erhielt jüngst eine Strafe von 28 Mio. Euro. „Außerdem kann die Behörde anordnen, dass bereits vollzogene Zusammenschlüsse wieder entflochten werden, also rückabgewickelt werden müssen“, so Nuys weiter. Dabei setzen das Bundeskartellamt und der BGH strenge Maßstäbe an und verbieten alle Maßnahmen, die in Zusammenhang mit dem Zusammenschluss erfolgen und geeignet sind, seine Wirkung zumindest teilweise vorwegzunehmen. Der EuGH hatte in einer Entscheidung im vergangenen Jahr den Unternehmen einen größeren Spielraum eingeräumt. Doch die EU-Kommission könnte sich mit ihrer Entscheidung im Fall Canon eher auf der strengen Linie des BGH verortet haben als auf der Linie des EuGH, glaubt Kartellrechtler Nuys. Abschließend könne dies aber erst nach Durchsicht der Entscheidungsgründe bewertet werden, die aktuell noch nicht vorliegen.
Laufender Geschäftsbetrieb ist tabu
Was also ist erlaubt, was nicht? „Tabu ist jedenfalls der laufende Geschäftsbetrieb des Targets – hier darf der Erwerber keinen Einfluss nehmen“, erläutert Nuys. Relativ leicht fällt auf der anderen Seite die Bewertung von weitreichenden Entscheidungen, etwa bei großen Investitionen wie einem Neubau oder bei der Erschließung eines neuen Geschäftsfelds. „Für solche Fälle darf (und sollte) der Erwerber möglichst schon im Kaufvertrag ein Mitwirkungsrecht verankern“, rät Nuys. In vielen Fällen allerdings wird die Abgrenzung schwer fallen, ob eine Entscheidung unter den laufenden Geschäftsbetrieb fällt oder nicht. Hier empfiehlt Nuys dem Erwerber ein abgestuftes Vorgehen, um seinen Einfluss im Rahmen des Zulässigen geltend zu machen und trotzdem Haftungsrisiken auszuschließen. Stehe eine Maßnahme beim Target an, bei der die Zuordnung zum laufenden Geschäftsbetrieb unklar ist, so sei als erstes der Erwerber zu informieren. Das gelte auch, wenn Erwerber und Target (wie so häufig) in derselben Branche tätig und damit Konkurrenten sind. Um kartellrechtliche Risiken zu vermeiden, sei laut Nuys allerdings besondere Vorsicht geboten, denn beim Empfänger dürfe nur ein Personenkreis ohne operative Funktion die Information erhalten. Dieses so genannte Clean Team könne dann zusammen mit dem Verkäufer festlegen, ob die Maßnahme im Rahmen des laufenden Betriebs zu sehen ist oder nicht. Sollten sie gemeinsam die Unklarheit nicht beseitigen können, so empfiehlt Nuys, die zuständige Kartellbehörde vorab zu informieren und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben: „Bis behördenseitig grünes Licht gegeben wird, sollten die Unternehmen in ihrem eigenen Interesse von einer Umsetzung absehen.“
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