Unternehmenssanktionsrecht auf dem Prüfstand

Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht die Einführung eines Unternehmenssanktionsgesetzes vor. Erst jüngst hat Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) die Umsetzung dieses Vorhabens vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der Dieselgate-Affäre bekräftigt, da angeblich die großen Unternehmen weitgehend ungeschoren davon kämen. Ob es überhaupt einer Reform des Unternehmenssanktionsrechts bedarf oder ob Alternativen denkbar wären, erläutert Christian Schoop, Partner bei DLA Piper im Frankfurter Büro.

Laut Koalitionsvertrag sollen Unternehmen, die von Straftaten profitieren, künftig stärker sanktioniert werden. So sollen sie – ähnlich wie im Kartellrecht – mit einer am Konzernumsatz orientierten Geldsanktion in Höhe von bis zu 10% belegt werden können. Als weitere Sanktion wird eine gleichsam dem Mittelalter entlehnte Prangerwirkung vorgeschlagen: die geeignete öffentliche Bekanntmachung. Ferner sollen Staatsanwaltschaften dazu verpflichtet sein, bei jeder unternehmensbezogenen Straftat ein Verfahren auch gegen das Unternehmen selbst einzuleiten.

Wo Änderungsbedarf besteht

Der Gesetzgeber hat die Regeln für die Sanktionierung von Unternehmen in den vergangenen Jahren schon wesentlich verschärft. Die maximale Höhe der Geldbuße wurde von 1 Mio. Euro auf bis zu 10 Mio. Euro angehoben. Dabei kann die Buße sogar noch höher ausfallen, wenn der Gewinn aus der Straftat über 10 Mio. Euro liegt. Das Unternehmen soll im Ergebnis nichts behalten dürfen, was durch Straftaten, etwa durch Korruption oder Betrug, erlangt worden ist. Damit verbunden ist die Eintragung im Gewerbezentralregister, die insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungen angegeben werden muss und damit zum Ausschluss von der Ausschreibung führen kann. Sofern die Staatsanwaltschaft aus Ermessensgründen von einer Unternehmensgeldbuße absieht, ist sie dennoch gezwungen, die durch die Straftat gewonnenen Umsätze beim Unternehmen einzuziehen und zwar auch dann, wenn die Straftat bereits verjährt ist.

Vor dem Hintergrund dieser Sanktionsmöglichkeiten ist die Reformnotwendigkeit zweifelhaft. Betrachtet man allerdings die Verfahrensseite, sind erhebliche Schwachstellen zu konstatieren, die einen Reformbedarf zeigen: Staatsanwaltschaften machen von der Möglichkeit einer Unternehmensgeldbuße ganz unterschiedlich Gebrauch, die Ermessensausübung ist nur schwer kalkulierbar. Die Verfahren gegen Unternehmen werden oftmals erst nach Anklageerhebung gegen die Individualpersonen eingeleitet. Das hat zur Konsequenz, dass das Unternehmen im vorherigen Ermittlungsverfahren umfassend Auskunft erteilen muss und diese Auskunft später dann die Grundlage für seine eigene Verurteilung bildet. Die an sich gebotene Beschuldigtenstellung wird dem Unternehmen also verwehrt. Auch die notwendige Aktensicht wird oftmals erst spät gewährt und zwar nach Auskunftserteilung. Eine vernünftige Verteidigung ist dann aber nicht mehr möglich, insbesondere kann das Unternehmen nicht mehr entscheiden, ob es nicht vielleicht besser schweigen sollte.

Reformvorschläge

Inhaltlich steht der Koalitionsvertrag dem so genannten Kölner Entwurf nach Martin Henssler, Elisa Hoven, Michael Kubiciel und Thomas Weigend nahe. Ausgangspunkt für eine Geldbuße ist die verbandsbezogene Straftat einer Leitungsperson. Eine Einstellung kommt lediglich in Betracht, wenn das Unternehmen ausreichende Compliance-Maßnahmen ergriffen hat. Den Nachweis muss das Unternehmen erbringen.

Diesem Entwurf gegenüber stehen die gemeinsam von Matthias Jahn, Charlotte Schmitt-Leonardy und mir aufgestellten Frankfurter Thesen. Sie sehen ein gänzlich anderes Konzept vor und präferieren eine Folgenverantwortung: Unternehmen können nicht vorausschauend auf jegliches strafrechtliche Verhalten ihrer Mitarbeiter und Organe reagieren und damit verbundene Schäden Dritter verhindern. Daher kommt eine Sanktionierung des Unternehmens nur dann in Betracht, wenn das Unternehmen zumutbare Maßnahmen unterlassen hat, die das Risiko einer solchen Straftat signifikant gesenkt hätten. Grundlage einer Sanktionierung ist damit die unterlassene Vorsorge des Unternehmens, nicht aber die Straftat der Leitungsperson. Den Nachweis der unterlassenen Vorsorge hat die Staatsanwaltschaft zu führen.

Ist dem Unternehmen aber bereits bekannt, dass Fehlverhalten möglich ist und hat es hierauf nicht reagiert, dann besteht die Vermutung für ein unzureichendes Compliance-System. Das Unternehmen muss in diesem Fall den Nachweis führen, dass es sein Compliance-System verbessert hat und es trotzdem zu der Straftat gekommen ist.

Verfahrensrechtlich fordert der Kölner Entwurf ebenso wie die Frankfurter Thesen eine Stellung des Unternehmens als Beschuldigter sui generis und dem damit verbundenen wesentlichen Recht zu Schweigen. Nach beiden Modellen ist die Verteidigerbestellung für das Unternehmen bei den in Rede stehenden Konsequenzen zwingend. Während der Kölner Entwurf eine Ermittlungspflicht der Staatsanwaltschaft vorsieht, soll nach den Frankfurter Thesen die Einleitung eines Verfahrens gegen das Unternehmen im an bestimmte Vorgaben gebundenen Ermessen der Staatsanwaltschaft stehen. Damit sollen die bisherigen Unsicherheiten der Ermessensausübung verhindert werden. Ob die Koalition solchen alternativen Konzepten noch zugänglich ist, bleibt abzuwarten. Der Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums soll bald vorliegen.

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