Wie geht es 2024 auf den Kapitalmärkten weiter, Herr Schlitt?
Das IPO-Jahr 2023 haben die meisten inzwischen aufgegeben. Sah es beim Börsengang der Thyssenkrupp-Tochter Nucera im Sommer und bei Schott Pharma im September noch ganz ermutigend aus, ging das Fenster mit der extrem kurzfristigen Absage des Renk-Börsendebüts Anfang Oktober schlagartig wieder zu. Dass die US-Premiere von Birkenstock dann deutlich unter den Erwartungen blieb, gab den IPO-Hoffnungen den Rest. Wir haben den Kapitalmarktexperten Michael Schlitt von Hogan Lovells gefragt, womit nun zu rechnen ist.
Die IPO-Flaute hält nun schon eine ganze Zeit an und die wenigen Firmen, die sich trotzdem an die Börse wagten, haben ihren Aktionären nicht viel Glück gebracht. Was hätten die Emittenten besser machen können und was bräuchte es, damit der Knoten platzt?
In technischer Hinsicht dürften die Emittenten nichts falsch gemacht haben. Dass sich die Aktienkurse kurz nach der Erstnotierung negativ entwickeln, kann verschiedene Gründe haben: Zum einen stoßen Investoren mit einem kurzfristigen Anlagehorizont schnell Aktien ab, wenn sie sehen, dass sich der Kurs nicht in die richtige Richtung entwickelt. Ähnliches gilt für Investoren, denen mehr Aktien zugeteilt wurden als von ihnen erwartet. Auch kann es am Ende von Stabilisierungsmaßnahmen zu weiteren Abverkäufen kommen, wenn der Kurs dadurch nicht ausreichend gestützt werden konnte. In der jüngeren Vergangenheit kam dazu, dass Fonds, die ihrerseits Mittelabflüsse erfahren mussten, gezwungen waren, ihr Portfolio zu reduzieren. Einzelne oder mehrere dieser Faktoren können dazu führen, dass sich der Kurs zunächst nachteilig entwickelt.
Um eine solche Entwicklung möglichst zu vermeiden, sollte der Platzierungspreis so festgelegt werden, dass es eine ausreichende Überdeckung des Buches gibt und der Kurs sich mutmaßlich leicht nach oben entwickeln wird. Auch wenn die Platzierung von IPOs derzeit aufgrund des volatilen Markts (internationale Krisen, hohe Zinsen) anspruchsvoll ist und Investoren in einem solchen Marktumfeld besonderen Wert auf liquide Titel legen, bleibt der IPO sowohl für strategische als auch für Finanzinvestoren eine interessante Option.
Welche Impulse für die (Eigen-)Kapitalmärkte erwarten Sie 2024 vom Gesetzgeber, in Deutschland wie auch auf EU-Ebene?
Es ist besonders wichtig, dass der Kapitalmarkt nur nicht für Blue Chips, sondern auch für mittelständische Unternehmen offenbleibt. In der Finanzkrise haben wir gesehen, wie schwierig es werden kann, sich ausschließlich auf die Bankenfinanzierung zu verlassen. Zwar hat bei der Bereitstellung von Krediten mit den Debt Fonds ein neuer Player eine zunehmende Bedeutung erlangt. Trotzdem ist ein funktionierender Kapitalmarkt für die Unternehmensfinanzierung im Mittelstand sehr wichtig.
Ein Blick nach Skandinavien zeigt, wie es funktionieren kann. Dort muss ein Teil der Rentenbeiträge in privaten, staatlich organisierten Fonds angelegt werden, die dann ihrerseits in Aktien und Anleihen im In- und Ausland investieren können. Die zunehmende Emission von Nordic Bonds durch deutsche mittelständische Unternehmen, wie zuletzt Katjes International, zeigt, dass der Kapitalmarkt für solche Emissionen offen sind.
In diesem Kontext ist positiv zu vermerken, dass die Bundesregierung dabei ist, mit der „Aktienrente“ ein Konzept umzusetzen, das sich an dem skandinavischen Modell orientiert. Auch wenn die Aktienrente primär der Stabilisierung der Altersvorsorge dient, werden mit den neuen Fonds zusätzliche Investoren auf den Plan treten, die – wenn sie dem skandinavischen Vorbild folgen – die Nachfrageseite beleben und damit auch die Finanzierung des deutschen Mittelstandes unterstützen können.
Technische Erleichterungen bringen auf europäischen Ebene der sich in der Verabschiedung befindliche Listing Act sowie das deutsche Zukunftsfinanzierungsgesetz. Während der Listing Act auf eine Reduzierung der Prospektanforderungen und eine Erleichterung bei den Zulassungsfolgepflichten abzielt, erweitert das Zukunftsfinanzierungsgesetz die Möglichkeit des Bezugsrechtsausschlusses und führt wieder die Möglichkeit der Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien ein. Damit kommt der deutsche Gesetzgeber der Initiative auf EU-Ebene zuvor, die über eine Richtlinie den Mitgliedsstaaten vorschreibt, künftig zumindest für bestimmte Emittenten die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien zu gestatten.
Welche Rolle werden SPACs in den kommenden Jahren spielen?
Nachdem der jüngste SPAC-Hype abgeflaut ist, wurde diese besondere Form des Emissionsvehikels schon wieder totgesagt. Insoweit wirkt es fast ein wenig anachronistisch, wenn der deutsche Gesetzgeber im Rahmen des Zukunftsfinanzierungsgesetzes nunmehr endlich den Rechtsrahmen für die Gründung von SPACs, sog. Börsenmantelaktiengesellschaften, nach deutschem Recht schafft. Trotzdem ist die Initiative natürlich zu begrüßen. Ich glaube, dass SPACs auch in Zukunft ihre Berechtigung haben werden. Sicherlich nicht in der zuletzt gesehenen Form – aufgepumpt durch Mittel von Hedgefonds, die beim De-SPAC-Event, also der Übernahme der Zielgesellschaft, doch wieder zurückgerufen wurden. Vielmehr erwarte ich, dass wir eine neue Generation von SPACs sehen: Mit einer niedrigeren Kapitalisierung und einer geringeren Anzahl von Investoren, die aber trotzdem eine interessante Option darstellen, um Unternehmen einen raschen Kapitalzugang zu ermöglichen. Ob sich dabei die neue deutsche Rechtsform der Börsenmantelaktiengesellschaft durchsetzt, bleibt jedoch abzuwarten.
Über den Interviewpartner:
Michael Schlitt ist Partner im Frankfurter Büro von Hogan Lovells und Leiter des Securities-Team in Deutschland sowie Honorarprofessor an der Universität zu Köln. Er begleitet Investmentbanken, Investoren und international tätige Konzerne bei Fragen des Kapitalmarktrechts und der Unternehmensfinanzierung, insbesondere bei IPOs, Kapitalerhöhungen, Anleiheemissionen und öffentlichen Übernahmen.
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