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M&A-Markt – Vom Verkäuferparadies zur Dauerkrise als „New Normal“

Dass es für M&A-Spezialisten schon mal bessere Zeiten gab, hat sich inzwischen herumgesprochen. Zwar flossen 2023 immer wieder Milliardensummen, auch mit deutschen Beteiligten wie Viessmann (Spartenverkauf an Carrier Global), SAP (Verkauf von Qualtrics an Silver Lake) oder Deutsche Börse (Übernahme von Simcorp). Der Schwerpunkt des Transaktionsgeschehens hat sich allerdings mehr denn je in Richtung kleiner bis mittelgroßer Deals verschoben, und auch hier hat die Zinswende die Bewertungen teils kräftig unter Druck gebracht.

Mega-Deals mit zweistelligen Milliardenvolumina waren zuletzt, von Viessmann abgesehen, Mangelware. EMEA-weit gab es in der ersten Jahreshälfte nach Zählungen von LSEG (vormals Refinitiv) und PricewaterhouseCoopers knapp 9.500 M&A-Transaktionen mit einem Gesamtvolumen von 268 Mrd. US-Dollar. Nach Anzahl ein Rückgang von gut 20% gegenüber dem Rekord im H2/2021, gemessen an den Vor-Corona-Jahren aber recht normal. Stärker rückläufig waren die Volumina: Verglichen mit 2021 (H1: 613 Mrd. Dollar, H2: 718 Mrd.) ist der mittlere Kaufpreis demnach kräftig eingebrochen, auch zu den Jahren bis 2019 fehlt noch ein ganzes Stück.

Was momentan die Zahlen unter Druck bringt und das Geschäft von M&A-Beratern, Investmentbankern und Anwälten bremst, könnte die Branche aber auf längere Sicht sogar resilienter machen. „Investoren und Berater sind schockresistenter geworden, ständig neue Krisen sind fast schon das ‚new normal‘“, meint Michael Ulmer, M&A-Partner bei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton. Dass sich die Kräfteverhältnisse im Markt mit der Konjunktur drehen, konnte man bisher in Boom- und Krisenzeiten regelmäßig beobachten. So auch jetzt. „Die Zeiten, als Verkäufer die Vertragsbedingungen praktisch allein bestimmen konnten, sind definitiv vorbei“, sagt Ingo Strauss, Transaktionsspezialist bei Latham & Watkins.

Eigenkapital ist Trumpf

Vom derzeitigen Käufermarkt hat allerdings nicht jeder etwas. Private Equity-Häuser, die die Kaufpreise jahrelang in die Höhe trieben und immer noch auf immensen Summen anlagebereiten Kapitals sitzen, tun sich im derzeitigen Umfeld aus unsicheren Asset-Preisen und teurer Fremdfinanzierung eher schwer. Stattdessen kommen wieder öfter Strategen zum Zug. „Strategische Käufer waren jahrelang dadurch gehandicapt, dass sie keine vergleichbaren Preise bieten und auch nicht ganz so schnell reagieren konnten wie Finanzinvestoren. Das hat sich gründlich geändert“, sieht Ulmer.

Auch Family Offices, die bei ihren Geboten mehr Ermessensspielraum haben als die PE-Häuser, schlagen im Verhältnis wieder häufiger zu. So zuletzt Athos, die Beteiligungsgesellschaft der Hexal-Gründerfamilie Strüngmann, bei dem EQT-Portfoliounternehmen Schülke. Mehr Geld denn je fließt auch seitens großer Staatsfonds, gerade aus Nahost. „Wer keine oder kaum Fremdfinanzierung braucht, ist momentan klar im Vorteil“, resümiert Latham-Partner Strauss.

Auch wenn viel Zweckoptimismus im Spiel ist, wenn Investmentbanker und andere Transaktionsspezialisten das baldige Auffrischen der M&A-Aktivitäten am Horizont sehen – dass allein der Transformationsdruck auf die Wirtschaft Akquisitionen und Verkäufe in großen Stil erzwingt, liegt auf der Hand. Die teuren Refinanzierungen, die viele stark verschuldete Konzerne vor sich haben, tun ihr übriges. In der Vergangenheit, sagt M&A-Partnerin Kristina Klaaßen-Kaiser von Linklaters, wurden viele Deals schnell wieder vom Tisch genommen, weil die Preisvorstellungen zu weit auseinander lagen. Das strategische Erfordernis eines Verkaufs verschwinde aber nicht von selbst, oft im Gegenteil. „Schon in den vergangenen Monaten wurden recht viele aufgeschobene M&A-Projekte wieder neu gestartet, auch wenn der ganz große Schwung noch aussteht.“

Käufer sitzen am längeren Hebel

Die meisten M&A-Projekte starten derzeit als Divestments, also auf Verkäuferseite, berichtet Klaaßen-Kaisers Partnerkollege Tim Johannsen-Roth, Co-Chef der Linklaters-Transaktionspraxis. Im aktuellen Käufermarkt geben sich die Veräußerer auch deutlich mehr Mühe als zu den Zeiten, als ihnen die Assets förmlich aus der Hand gerissen wurden. „Für einen erfolgreichen Verkaufsprozess ist es heute wichtiger denn je, dass die Assets gut präsentiert werden, visibel und mit einer überzeugenden Equity Story“, sagt Johannsen-Roth. „Entsprechend beobachten wir wieder mehr Vendor Due Diligences. Auch Timelines sind vielfach realistischer geworden.“ Umso anspruchsvoller agieren vielfach die Kaufinteressenten. Die Auskunfts- und Mitwirkungsrechte, die sich potenzielle Käufer zwischen Signing und Closing einräumen lassen, würden mitunter „bis an die Grenze des kartellrechtlich Zulässigen ausgedehnt“, beobachtet der Linklaters-Anwalt. Bis zum Closing nehme man sich typischerweise mehr Zeit, „Long Stop Dates“, also Zeitlimits bis zum Vollzug, von zwei Jahren statt einem Jahr gebe es häufiger.

In Zeiten großer Unsicherheit, etwa in den Monaten nach Beginn der Corona-Pandemie 2020, liegen spezielle Krisen-Klauseln in Unternehmenskaufverträgen im Trend. Klassische Beispiele sind MAC-Klauseln, die bei „Material Adverse Change“, also Wegfall der Geschäftsgrundlage, den Abbruch des Deals vorsehen, oder sog. Earn-outs, bei denen ein Teil des Kaufpreises an die Erreichung vereinbarter Zielergebnisse geknüpft ist. In der aktuellen Situation, meinen Spötter, sei allerdings eher die Zahl der Fachaufsätze zu MACs oder Earn-Outs gestiegen als deren tatsächliche Verbreitung. „MAC-Klauseln werden inzwischen wieder regelmäßig diskutiert, auch wenn sie nur selten auch Eingang in den endgültigen Kaufvertrag finden“, beobachtet indes Cleary-Partner Ulmer. Earn-Outs bleiben ihrerseits eher Sondersituationen vorbehalten. Diese Vereinbarungen, sagt Alexander Hirsch, Co-Leiter der M&A-Praxis bei Noerr. sind , seien „kompliziert und tendenziell streitbefangen. Erfahrungsgemäß vergleicht man sich in den meisten Fällen irgendwann oder geht ins Streitige.“

Dafür verschieben sich die Standards bei anderen Vertragsbestandteilen. Als die Verkäufer ihre Vorstellungen den Interessenten weitgehend diktieren konnten, waren sogenannte „hell-or-high-water“-Klauseln verbreitet, die den Käufer zum unbedingten Durchziehen der vereinbarten Transaktion verpflichten. Diese, sagt Latham-Partner Strauss, finde man heute seltener. Auch sonstige materielle Transaktionsrisiken würden eher geteilt; „Freistellungsklauseln, die bestimmte Risiken beim Verkäufer belassen, erleben gerade eine gewisse Renaissance.“ Warranties & Indemnities-Versicherungen, die wenigstens einen Teil der Haftung für unbekannte Risiken abdecken und in den vergangenen Jahren gerade auf Betreiben der Verkäuferseite zum Einsatz kamen, sind nach wie vor üblich. Dass dafür der Käufer zahlt, ist allerdings nicht mehr selbstverständlich. Inzwischen, sagt Strauss, teile man sich oft die Kosten.

Strenge Regeln für die Aufklärungspflichten, die ein Verkäufer gegenüber den Kaufinteressenten erfüllen muss, hat gerade erst der BGH in einem aktuellen Urteil zu einer Immobilientransaktion festgehalten, mit Gültigkeit auch für Unternehmenskäufe und -verkäufe. Diese Pflichten, erläutert Noerr-Partner Hirsch, sind nur dann durch eine Offenlegung im Datenraum erfüllt, „wenn der Verkäufer aufgrund der Umstände davon ausgehen darf, dass der Kaufinteressent diese Informationen auch zur Kenntnis nehmen wird“. Wenn erkennbar sei, dass bestimmte Umstände für den Kaufinteressenten von erheblicher Bedeutung sind, müsse der Verkäufer auf diese hinweisen. „Das gilt erst recht, wenn relevante Informationen erst kurz vor dem Signing zur Verfügung gestellt werden.“

Aufwendige Regulatorik

Ein ganz anderes Thema ist der regulatorische Rahmen. Standen hier ursprünglich vor allem Kartellrecht und branchenspezifische Regularien im Vordergrund, schreitet inzwischen immer häufiger das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) ein. Die Vorgaben, die ursprünglich nur für Kryptografie- und Rüstungsunternehmen galten, wurden im Lauf der Jahre auf immer mehr Technologiefelder ausgedehnt. Bei Direktinvestitionen von außerhalb der EU wird regelmäßig auch der Brüsseler Apparat tätig. Zu den bisherigen Prüfungen, so Cleary-Partner Ulmer, „kommt seit September noch das Thema Foreign Subsidies Regulation auf EU-Ebene.“

In international tätigen Konzernen, die auf der Käufer- oder Verkäuferseite auftauchen und nun ihre Geschäftsbeziehungen zu staatlich finanzierten Unternehmen außerhalb der EU im Detail offenlegen müssen, sorgt dieser Punkt schon seit einer Weile für Kopfzerbrechen. „Lange Zeit war im Gesetzgebungsverfahren unklar, was nach den neuen FSR-Regeln gemeldet werden muss“, sagt Noerr-Partner Hirsch. Erfahrungswerte zur Verwaltungspraxis der Kommission gebe es naturgemäß noch nicht. Dazu komme, dass die fraglichen Daten in Unternehmen meist aufwendig zusammengestellt werden müssten, da vielfach noch keine eingespielten Reporting Lines existierten.

Stellenwert und Komplexität der Regulatorik sind enorm gestiegen, da sind sich die Experten einig. „Die regulatorische Machbarkeitsanalyse kommt inzwischen ganz am Anfang und gibt im Wesentlichen den Zeitrahmen vor“, erklärt Linklaters-Partnerin Klaaßen-Kaiser. Unbedenklichkeitsbescheinigungen seien auch bei vermeintlich unkritischen Transaktionen häufig das Mittel der Wahl, „umso mehr, als man in den vergangenen Jahren ja gesehen hat, dass sich die Einordnung von Erwerbern aus bestimmten Jurisdiktionen durchaus ändern kann“. Dafür muss nicht einmal die hohe Politik einschreiten, wie 2022 bei der Beteiligung des chinesischen Fracht-Giganten Cosco an einem Hamburger Hafen-Terminal.

Allen Hindernissen und Unsicherheiten zum Trotz gibt es eine Transaktionsart, bei der Abwarten oder Bleibenlassen keine Option ist. Hatten viele Unternehmen in Corona-Zeiten noch auf Notbehelfe gesetzt, um ihre Lieferketten zu stabilisieren, ist in der seitherigen Dauerkrise Absicherung die Devise. Nicht um jeden Preis, aber fast. Hier, sagt Klaaßen-Kaiser, „steht für manche strategische Bieter die Umsetzung des Zukaufs klar im Vordergrund, so dass sie auch zusätzliche Transaktionskosten aufgrund des speziellen Wettbewerbsverhältnisses der Parteien, etwa Break Fees oder regulatorischen Mehraufwand in Kauf nehmen“. Einrichten kann man sich letztlich auch im „new normal“. Es kostet eben. np

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