„Wie sollten Unternehmen mit den Russland-Sanktionen umgehen, Herr Wiedmann?“
Als Antwort auf den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine und die andauernden Völkerrechtsverletzungen hat die internationale Staatengemeinschaft umfangreiche Wirtschaftssanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht. Zudem distanzieren sich immer mehr Unternehmen von der russischen Führung und legen ihre geschäftlichen Beziehungen auf Eis. Doch können Unternehmen bestehende Verträge mit Russland einfach aussetzen? Diese und weitere Fragen beantwortet Daniel Wiedmann, Associated Partner und Außenwirtschaftsrechtsexperte bei POELLATH in Frankfurt.
Herr Wiedmann, die verhängten Sanktionen gegen Russland wirken sich auch auf die deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen aus. Wie ist hier die rechtliche Grundlage, kommen Unternehmen aus bestehenden Verträgen heraus?
Das sollten die Unternehmen vorher sorgfältig prüfen. Die Sanktionen sind natürlich einzuhalten. Sonst drohen Geldbußen und sogar Freiheitsstrafen.
Zivilrechtlich kommt es auf den Inhalt das Vertrages an und welcher Rechtsordnung dieser unterliegt. Nach deutschem Recht kann ein Vertrag, der gegen Sanktionen verstößt, gemäß § 134 BGB nichtig sein. Kann der Vertrag aufgrund der Sanktionen nicht durchgeführt werden, können sich Unternehmen zum Beispiel auf „Höhere Gewalt“-Klauseln in den Verträgen berufen. Unterliegt der Vertrag UN-Kaufrecht, gibt es hier mit Artikel 79 CISG eine vergleichbare Bestimmung. Zudem kommen weitere gesetzliche Leistungsverweigerungs- oder Rücktrittsrechte in Betracht, nach deutschem Recht insbesondere nach § 275 BGB (Unmöglichkeit), § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) und § 314 BGB (Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund). Allerdings können hier Übergangsfristen für Altverträge und Genehmigungsvorbehalte in den Sanktionsregelungen zu berücksichtigen sein. Dies alles hilft allerdings wenig, wenn der Vertrag russischem Recht oder russischer Gerichtsbarkeit unterliegt, da dann EU-Sanktionen nicht als Hinderungsgrund anerkannt werden.
Wird der Vertrag hingegen nicht von den Sanktionen erfasst, kann dieser natürlich nicht ohne Weiteres ausgesetzt werden. Hier sollten die Risiken vorher besonders sorgfältig geprüft werden.
Welche Möglichkeiten haben russische Unternehmen, wenn Verträge einseitig aufgekündigt werden? Drohen deutschen Unternehmen Vertragsstrafen oder Schadensersatzzahlungen?
Auch hier sind die Regelungen des jeweiligen Vertrags zu beachten, insbesondere die anwendbare Rechtsordnung und der Gerichtsstand. Werden Verträge aufgrund von Sanktionen nicht erfüllt, stellt sich die Frage nach Sekundäransprüchen, wie zum Beispiel Schadensersatz, und Vertragsstrafen. Bereits die EU-Sanktionsverordnungen beinhalten Erfüllungsverbote bzw. Anspruchsverzichtklauseln, die solche Ansprüche weitgehend ausschließen. Zudem können zivilrechtliche Regelungen, wie die oben erwähnten, eine Haftung ausschließen. Dies verhindert dann zum Beispiel eine Inanspruchnahme vor einem Gericht in einem Mitgliedsstaat der Union. Außerhalb der Union besteht ein solcher Schutz allerdings nicht unbedingt.
Nach russischem Recht kann eine Befolgung der Sanktionen durchaus Gegenansprüche auslösen. Diese Risiken gilt es im Blick zu haben. Hier werden – neben komplexen Rechtsfragen – auch praktische Fragen relevant, zum Beispiel inwiefern Vermögenswerte von einer Vollstreckbarkeit bedroht sind. Zudem sind die russischen Gegensanktionen zu berücksichtigen. Diese betreffen vor allem EU-Unternehmen mit russischen Tochtergesellschaften. Bei einem Einstellen der Geschäftstätigkeit in Russland drohen unter Umständen Insolvenzverfahren, strafrechtliche Risiken und Enteignung.
Viele deutsche Unternehmen unterhalten enge Beziehungen zum russischen Markt, der Wegfall dieses Marktes trifft sie entsprechend hart. Zahlreichen Investitionen droht gar der Totalausfall. Welche Möglichkeiten haben diese Unternehmen nun, gibt es z.B. staatliche Hilfen?
Was staatliche Hilfen angeht, ist die Situation im Fluss. Die Europäische Kommission hat am 23. März 2022 einen „Befristeten Krisenrahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft infolge der Aggression Russlands gegen die Ukraine“ beschlossen. Dieser ermöglicht neben begrenzten Beihilfebeträgen auch Liquiditätshilfen in Form von staatlichen Garantien und zinsvergünstigten Darlehen und Beihilfen zum Ausgleich erhöhter Energiepreise. Die Bundesregierung hat ein Kreditprogramm der Förderbank KfW angekündigt. Davon sollen Unternehmen profitieren, die durch die Folgen des Krieges Schaden erlitten haben. Das Programm soll sich an die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie anlehnen und befindet sich noch in der regierungsinternen Abstimmung. Zudem ist ein Teil des Russlandgeschäfts deutscher Unternehmen durch Investitionsgarantien und Hermes-Bürgschaften abgesichert.
Ein weiterer Aspekt ist, dass viele Unternehmen aufgrund der Sanktionen Probleme haben, ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden zu erfüllen, zum Beispiel weil russische Lieferanten wegfallen oder sich infolge des Krieges die Einkaufspreise erhöht haben. Hier sollten vertragliche Möglichkeiten geprüft werden, wobei die rechtlichen Hürden mitunter sehr hoch sein können.
Daniel Wiedmann ist Leiter des Kartellrechtsbereichs bei POELLATH und berät zu allen Fragen des deutschen und europäischen Kartellrechts sowie des Außenwirtschaftsrechts. Schwerpunkte sind u.a. die Fusionskontrolle, Investitionsprüfungen nach der Außenwirtschaftsverordnung und sanktionsrechtliche Themen.
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