Arbeitsrecht: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Seit fast zehn Jahren läuft in den USA wöchentlich die Kultserie ""Grey's Anatomy"". Neben bahnbrechenden medizinischen Neuentwicklungen und Operationen geht es dabei in erster Linie um eins: die Hauptdarsteller leben, lieben, heiraten und trennen sich am Arbeitsplatz. Die Realität in amerikanischen Unternehmen sieht jedoch anders aus. Arbeitgeber versuchen vertraglich ein ""Beziehungsverbot am Arbeitsplatz"" durchzusetzen oder lassen sich zumindest unterschreiben, dass das Unternehmen nicht für die (gescheiterte) Beziehung haftbar gemacht wird – so groß ist in den USA die Angst vor den Vorwürfen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Eine Einschätzung der Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt gibt PLATOW- Kolumnist Thomas Hey.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat angekündigt, 2015 diesem Thema besondere Beachtung zu schenken. Es gilt daher, darauf zu achten, dass wir nicht in amerikanische Fahrwasser geraten, zumal sich deutsche Unternehmen mit kulturellen Besonderheiten der Vereinigten Staaten bisweilen schwer tun. Wie aber geht man hier richtig vor?

Das deutsche Recht versteht als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz eine besondere Form der Belästigung, die auf den Anwendungsbereich ""Beschäftigung und Beruf"" beschränkt ist. Gem. § 3 Absatz 4 AGG ist eine sexuelle Belästigung eine Benachteiligung, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterung, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Hierzu gehören unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen,

Ohne Zweifel liegt eine sexuelle Belästigung vor, wenn eine Mitarbeiterin einem männlichen Kollegen in den Schritt greift oder ein Mitarbeiter einer Kollegin an die Brust fasst. Auch unerwünschte verbale Aussagen über die Anatomie des Kollegen, dauerhaftes auffälliges Anstarren sowie Aufforderungen zum Geschlechtsverkehr fallen unter die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Problematisch im rechtlichen Sinne sind diese Fälle nicht. Es liegt auf der Hand, dass der Arbeitgeber ein solches Verhalten weder ignorieren noch tolerieren darf.

Problematisch sind die Grenzfälle. Hier geht es insbesondere um Gespräche und Bemerkungen am Arbeitsplatz. Darf ein Kollege eine Bemerkung über die Rocklänge der Kollegin machen? Darf ein Arbeitgeber die Mitarbeiterin darauf hinweisen, dass der BH zwar sehr hübsch sei, aber er es doch bevorzugen würde, wenn seine Mitarbeiterin im Kundenkontakt etwas weniger durchsichtige Blusen trüge? Darf die Arbeitnehmerin ihren männlichen Kollegen fragen, ob er Tiger Tangas trägt? In der Bewertung von Grenzfällen liegt zweifelsohne ein zentrales Problem. Hier gilt es, mit Augenmaß den richtigen Maßstab zu finden, ohne in Prüderie zu verfallen.

Vermittlungsquote am Arbeitsplatz höher als in jeder Partneragentur

Das weitere große Problem liegt darin, dass viele Beziehungen am Arbeitsplatz entstehen und leider auch einige auseinandergehen. Hier – in der Anbahnungs- und Beendigungsphase von Beziehungen – besteht aber die Gefahr, dass das Einvernehmen bei Paaren, das jede Bewertung als sexuelle Belästigung ausschließt, nicht besteht, noch nicht besteht oder gerade verloren gegangen ist.#

Das Problem lässt sich eindrücklich und ohne die Zuhilfenahme eines Paragraphen anhand einer Studie schildern, die von Forsa im Auftrag des Online-Netzwerks Xing durchgeführt wurde. Das Ergebnis ist eindeutig: Der Arbeitsplatz schlägt die Vermittlungsquote jeder Partneragentur.

"Spiegel online"" fasste die Ergebnisse der Umfrage in einem Artikel am 13.02.2013 zusammen: Jeder fünfte deutsche Arbeitnehmer hat sich schon mal in einen Kollegen verliebt. Für jeden Siebten endete der Flirt in einer festen Beziehung. 22 % der Deutschen können sich eine Affäre mit einem Kollegen vorstellen, 47 % der deutschen Führungskräfte seien offen für eine Beziehung mit einem Kollegen bzw. einer Kollegin.

Dies stellt den Arbeitgeber vor das Problem, entscheiden zu müssen, inwieweit er die Annäherungsversuche vor der Existenz einer solchen Beziehung toleriert und wo die Grenze  zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz liegt. Beispiele hierfür sind Einladungen zu einem gemeinsamen Abendessen oder auch mehr oder weniger deutliche Andeutungen, dass ein intimer Kontakt erwünscht sei, ohne das jedoch die Würde der anderen Person verletzt werden soll.

Von Einem der auszog das Fürchten zu lernen

Das deutsche Recht duldet Beziehungen unter Kollegen und unterscheidet sich damit (beachtlich) von dem Recht in den USA. In vielen deutschen Unternehmen wird heutzutage der aus den USA stammende Begriff ""Corporate Identity"", zu Deutsch ""Mitarbeiteridentität/Wir-Gefühl"", großgeschrieben. Gemeinsame Aktivitäten der Kollegen werden gefördert und auf die alljährlichen Sommer- und Weihnachtsfeiern auch seitens der Unternehmensführung großen Wert gelegt. Der Gedanke liegt dabei nicht fern, dass sich hierbei Kollegen unterschiedlichen Geschlechts oder Kollegen gleichen Geschlechts mit gleicher sexueller Neigung näher kommen können. Hierin unterscheidet sich unser Büroalltag auch nicht von dem unserer amerikanischen Kollegen.

Wieso fühlen sich amerikanische Arbeitgeber also dazu veranlasst, zwar die Fahne der ""Corporate Identity"" zu schwingen, aber gleichzeitig Stoßgebete zu verschicken, dass sich bloß keine intime Beziehung ihrer Arbeitnehmer entwickelt? In den USA liegt die Grenze zur Annahme einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz mittlerweile so niedrig, dass die Arbeitgeber sich permanent der Gefahr eines Rechtsstreits ausgeliefert sehen. Schon eine (harmlose) Bemerkung über den Rock einer Mitarbeiterin, geäußert von einem männlichen Kollegen, kann unter Umständen bereits zu einem Verfahren wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz führen. Betont man in einem solchen Verfahren noch, der Arbeitgeber habe nicht dafür gesorgt, dass in seinem Unternehmen die (verpflichtende) ""Sexual Harassment Policy"" (Sexuelle Belästigungs-Richtlinie) umgesetzt und eingehalten werde, kann sich der Arbeitgeber schnell erheblichen finanziellen Forderungen ausgesetzt sehen. Einfacher erscheint es, von vornherein ein verpflichtendes Beziehungsverbot am Arbeitsplatz einzuführen. Ob dies effektiv ist, soll angesichts der Umstände, dass in einer amerikanischen Studie jeder zweite Arbeitnehmer angab, schon einmal in einen Kollegen verliebt gewesen zu sein, an dieser Stelle dahin stehen.  

Auf die tatsächlichen Fälle konzentrieren

Im Ergebnis ist es leider wie häufig in der Juristerei: Es kommt drauf an. Es kommt auf die Branche, die Situation, die beteiligten Beschäftigten und auch die Unternehmenskultur an, ob eine Bemerkung oder ein Gespräch sexuell belästigend sind. Aber: Es gibt einige grundsätzliche ""Leitplanken"": Unseres Erachtens lässt sich festhalten, dass Bemerkungen über alles, was man sehen kann, grundsätzlich zulässig sind. Über alles, was man nicht sehen kann, sollten Bemerkungen unterbleiben. Weiterhin sind Bemerkungen zu unterlassen, die die Intimsphäre berühren.  Zudem gilt, dass Anmerkungen des Arbeitgebers zulässig sein müssen, wenn es um Bekleidung von Mitarbeitern geht, die zu knapp, zu schlampig oder sonst in einer Weise inadäquat ist. Hier gilt aber auch: Was man nicht sehen kann, geht den Arbeitgeber nichts an.

Das andere große Thema ""Beziehungen am Arbeitsplatz"" wird ähnlich wie das Thema der Bemerkungen und Gespräche zu lösen sein. Wir tun gut daran zu akzeptieren, dass der Arbeitsplatz die größte Beziehungsbörse der Republik ist. Trotzdem darf nötigendes, belästigendes oder gar Stalking-Verhalten nicht geschehen. Das Problem der Beziehung am Arbeitsplatz mit Abhängigen ist ein Sonderthema, das den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.


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