Gastbeitrag

Agile Arbeit – Trendbegriff sucht (rechtliche) Basis

Dieter Heise
Dieter Heise © Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Kaum ein Begriff ist in Unternehmen mehr in Mode als „agil“. Der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) hat gemeinsam mit der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH und dem Institut Corporate Legal Insights die theoretischen, praktischen und rechtlichen Aspekte agiler Arbeit in einer Studie analysiert. Dabei zeigt sich: In rechtlicher Hinsicht herrscht noch Klärungsbedarf, gleichzeitig bestehen aber vielfältige Gestaltungsspielräume. Dietmar Heise, Luther-Partner und Mitautor der Studie, fasst die Ergebnisse zusammen.

Nahezu jedes Unternehmen kommt mittlerweile mit agiler Arbeit in Berührung, jedes Dritte davon allerdings noch ohne strategischen Plan. Dieses zentrale Ergebnis der 200-seitigen Studie zeigt das Dilemma, in dem viele Unternehmen im digitalen Zeitalter stecken: Technische Entwicklung und praktische Umsetzung halten oftmals nicht Schritt, auch weil die rechtlichen Rahmenbedingungen der „neuen Arbeitswelt“ noch unklar sind. Die nun vorgelegte Studie will daher neben den theoretischen, praktischen und rechtlichen Aspekten agiler Arbeit auch konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis geben. Studienleiter Peter Körner, Professor an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management, sieht in agiler Arbeit die einzig richtige Lösung, um die immer rascheren Technologiesprünge und die disruptiven Marktveränderungen infolge der Digitalisierung zu bewältigen. Die Unternehmen müssen sich organisatorisch neu ausrichten, um künftig bestehen zu können. Die Mitarbeiter müssen agil arbeiten. Die Führungskräfte müssen anders führen, nämlich auch agil. Untermauert wird dieser Befund durch Interviews aus der Praxis. So beschreibt Dagmar Holthausen, Global Head of Digital Law der Continental AG, den Weg ihres Unternehmens in die agile Welt des „mobilen Arbeitens“. Im Fokus standen Fragen zur Arbeitszeit, zu versicherungstechnischen Lösungen der neuen Risiken bis hin zu der Durchsetzung von Vertraulichkeit und Geheimnisschutz im Lichte zunehmender technischer Möglichkeiten von Mobiltelefonen, Tablets & Co. Vieles wurde dort bereits durch Betriebsvereinbarungen umgesetzt. Lothar Schröder, Leiter des Fachbereichs Telekommunikation und Informationstechnologie im ver.di-Bundesvorstand, umreißt, wie agile Arbeit aus Sicht der Gewerkschaft eine gute, entlastende Arbeitsform wird. Er fordert eine neue, fördernde Fehlerkultur, neue Tätigkeitsprofile, Karrierewege, eine frühzeitige Einbindung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter, hingegen weniger Belastungen durch Zeitdruck, Arbeitshetze und Störungen.

Was denken die Unternehmen?

Befragt wurden mehr als 100 börsennotierte und private Kapitalgesellschaften aus Industrie, Dienstleistung, Handel, Banken und Versicherungen und dort die Leiter der Rechtsabteilungen. Der Stellenwert agiler Arbeit ist enorm: Weniger als 3% der Befragten halten agile Arbeit in Zukunft für verzichtbar. Auf der anderen Seite hat die zehnfache Anzahl, nämlich rund ein Drittel, noch keine Strategie für agile Arbeit entwickelt. Das überrascht aber nur auf den ersten Blick: Agile Arbeit – insbesondere in der besonders häufig auftretenden Form von Scrum – wurde als schnelle, flexible Form der Projektentwicklung zu einem dringenden Bedarf in den IT-Abteilungen, namentlich in der Softwareentwicklung. Dort konnte angesichts der digitalen Entwicklung nicht auf Gremienbeschlüsse gewartet werden, es wurde einfach agil gearbeitet. Erst allmählich zogen die Unternehmensleitungen nach. Das führte auch dazu, dass Fragen zur rechtssicheren oder auch strategischen Umsetzung manchmal erst gestellt wurden, als die Arbeitsform längst eingeführt war.

Rechtlich alles klar?

Agiles Arbeiten ist neu, das deutsche Zivilrecht dagegen bereits 120 Jahre alt und folglich nicht an diese neue Arbeitsform angepasst. Zudem schillert der Begriff: Er wird verwendet für mobile Arbeit, für agile Arbeitszeiten, agile Arbeitsorte oder gar agile Arbeitsleistung. Die Ausprägungen sind ebenfalls vielfältig: Aus der industriellen Fertigung heraus dominiert noch das altbekannte Kanban. Fast aufgeholt hat in den Unternehmen bereits Scrum, es folgen Design Thinking und Swarms. Einheitliche rechtliche Gestaltungen scheiden in der Praxis im Lichte der Vielfalt derzeit aus.

Intern beschäftigt die Unternehmen vor allem das Arbeitsrecht: Agile Arbeitsstrukturen können kaum ohne den Betriebsrat eingeführt werden, ebenso wenig andere Führungsstrukturen, die bis zu einer Matrixorganisation reichen können. Die überkommenen Arbeitsverträge passen nicht mehr immer, das Arbeitsschutzrecht einschließlich des Arbeitszeitgesetzes auch nicht. Die agile Zusammenarbeit unter Einsatz von Fremdkräften im Unternehmen birgt erhebliche Risiken im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Das gilt besonders, wenn sich Dienst- oder Werkverträge am Ende als Arbeitsverträge oder als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung herausstellen. Dies kann zu unverhofften Arbeitsverträgen mit dem Auftraggeber und zu dessen Haftung für Sozialversicherungsbeiträge führen. Hinzu treten Fragen der Vertragsgestaltung, des Datenschutz- und des Urheberrechtes. Die Studie zeigt aber auch, dass die Rechtsfragen durch (richtige) Vertragsgestaltung gelöst werden können.

*** Die komplette Studie „Agile Arbeit 2019 – Organisation, Führung und Arbeitsweise in einer digitalisierten Welt“ ist bei Corporate Legal Insights erschienen (ISBN 978-3-9475-5304-4).

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