EU-Vorgaben krempeln deutsches Insolvenzrecht um

Am 20.6.19 wurde die Richtlinie (EU) 2019/1023 über präventive Restrukturierungsrahmen verabschiedet (EU-Restrukturierungsrichtlinie, kurz: EU-RRL). Die Umsetzung in deutsches Recht muss laut Gesetz bis Juli 2021 erfolgen. Art und Umfang der denkbaren Maßnahmen werden in Fachkreisen bereits intensiv diskutiert. Denn ein vergleichbares Verfahren gibt es bislang in Deutschland nicht, wie Bettina Breitenbücher, Fachanwältin für Insolvenzrecht, erläutert.
Breiter Konsens besteht darin, dass in dem neuen Verfahren, das zur Entschuldung von Unternehmen in der Krise führen soll, ein Restrukturierungsplan vorgesehen werden muss. Dieser soll eine finanzwirtschaftliche Restrukturierung auf Grundlage bestehender Mehrheiten gegen den Willen einzelner ablehnender Beteiligter („Akkordstörer“) ermöglichen. Dieser Restrukturierungsplan bildet den Kern des künftigen Restrukturierungsverfahrens und ähnelt im Grundsatz einem Insolvenzplan, wie er im deutschen Recht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens möglich ist. Der Restrukturierungsplan setzt jedoch nicht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus, sondern muss gerade auf die Vermeidung der Insolvenz gerichtet sein. Die gleiche Zielrichtung hat das Moratorium, ein Verfahren zur Vorbereitung des Restrukturierungsplans mit der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen. Diskutiert werden daneben auch Eingriffe in Rechte einzelner Gläubiger oder Geschäftspartner, z. B. im Rahmen von Erfüllungswahl- oder Sonderkündigungsrechten.
Alle diese Instrumente, die teils stark in die Rechte der Gläubiger eingreifen, blieben bislang ausschließlich einem eröffneten Insolvenzverfahren vorbehalten. Sie haben sich dort aber als Sanierungsinstrumente bewährt und sollen deshalb zeitnah auch bei werbend tätigen Unternehmen Anwendung finden, die zwar in der Krise, jedoch gerade noch nicht insolvent sind. Daneben soll auch in die Gesellschafterrechte eingegriffen werden können.
Neues Spannungsfeld der Interessen
Neben der Herausforderung, eine Krise, die zu einer „wahrscheinlichen Insolvenz“ führen würde, von dem Vorliegen harter Insolvenzgründe zu unterscheiden, muss der Gesetzgeber die Zielrichtung des Verfahrens berücksichtigen. Während das Insolvenzverfahren dem Interesse der Gläubigergesamtheit dient, wird das zukünftige vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren der Vermeidung der Insolvenz und damit nach wohl überwiegender Ansicht zumindest auch dem Interesse des Unternehmens dienen.
Damit wird sich die zukünftige gerichtlich geordnete Restrukturierung von Unternehmen in einem völlig anderen Spannungsfeld von Interessen abspielen, als dies bislang bei Insolvenzverfahren der Fall war. Das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren wird einen Ausgleich finden müssen zwischen den Interessen des Unternehmens einerseits, das vor der Insolvenz gerettet werden soll, und den der Eigentumsgarantie unterliegenden Rechten der Gläubiger andererseits. Dieses Spannungsfeld wird noch größer, wenn nur einzelne Gläubiger von den Restrukturierungsmaßnahmen betroffen sein sollen.
Es liegt auf der Hand, dass sich auch auf Seiten des Unternehmens intern neue Spannungsfelder eröffnen. Die Geschäftsleiter werden in einem ihnen nicht bekannten gerichtlich geordneten Verfahren Restrukturierungsverantwortung übernehmen müssen. Die Gesellschafter können unterschiedliche Ansichten über die vorzunehmenden Sanierungsmaßnahmen haben, die oft genug auch mit der Zufuhr von Eigenkapital verbunden sind. Gesellschafterstreit wird vorprogrammiert sein, wenn nicht schon zuvor gesellschaftsrechtliche Konflikte bestanden, die manchmal sogar eine der Krisenursachen sein können. Noch völlig unbeantwortet ist bisher auch die Frage, wie die in einem solchen Restrukturierungsverfahren ermöglichten Eingriffe in Gläubiger- und auch Gesellschafterrechte steuerlich betrachtet werden müssen.
All diese Aspekte werden dazu führen, dass Know-how aus unterschiedlichen Bereichen zusammengeführt werden muss. Die Geschäftsleiter müssen sich einen Zugang zu einem Frühwarnsystem verschaffen, um die Umstände zu erkennen, die zu einer wahrscheinlichen Insolvenz als Voraussetzung für die Anwendung des neuen Restrukturierungverfahrens führen. Geschäftsleiter sollten sich auch unbedingt rechtzeitig über die veränderten Geschäftsleiterpflichten im Stadium wahrscheinlicher Insolvenz informieren. Die Durchführung des Verfahrens selbst erfordert außerdem Erfahrung mit den durch den Gesetzgeber bereit gestellten Restrukturierungsinstrumenten, insbesondere mit Blick auf die Erstellung eines Restrukturierungsplans.
Fazit
Die bislang bekannte Restrukturierung im Vorfeld einer Insolvenz ohne staatlichen Zwang und die gerichtlich geordnete, aus Insolvenzverfahren bekannte Restrukturierung vermischen sich zu einem neuen Verfahren, das viele Chancen bietet, aber auch breite Expertise aus unterschiedlichen Bereichen erfordert. Restrukturierungsberater werden zukünftig vermehrt interdisziplinär arbeiten müssen, um ihre Mandanten umfassend beraten zu können. Das Zusammenspiel von Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Gesellschafts- und Insolvenzrechtlern wird den zukünftigen Restrukturierungsmarkt prägen. Die einstmals getrennten Welten gehören der Vergangenheit an.
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