Eigenbedarfskündigung: Die Debatte wird andauern

In ungewöhnlicher Häufung hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) 2016 und Anfang 2017 mit der Problematik „Eigenbedarf des Vermieters“ auseinandergesetzt. Dass der BGH hierbei teilweise auch bei nicht zugelassener Revision durch die zweite Instanz über die Zulassungsrevision eingreift, zeigt deutlich, dass er Fehlentwicklungen in der Instanzgerichtsbarkeit zu korrigieren gewillt ist. Andreas Griebel, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht und Associate Partner bei der Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner, zeigt auf, warum die Debatte nach dem Urteil keinesfalls abgeschlossen ist.

Das Vorgehen des BGH unterstreicht, dass Eigenbedarf des Vermieters keinesfalls ein Selbstläufer zur Erlangung vermieteter Wohnräume ist, sondern in jedem Einzelfall einen hochkomplexen, grundrechtlich geprägten Abwägungsvorgang auslösen kann. So auch in folgendem Fall:

1. Die Ausgangssituation: Räumungsrechtstreitigkeiten sind für die Streitparteien regelmäßig mit großen emotionalen Belastungen verbunden. Für den Mieter steht der Verlust seines Lebensmittelpunktes auf dem Spiel, obwohl er sich kein Verschulden vorwerfen lassen muss. Der Vermieter hingegen verzweifelt oft an der Dauer eines solchen Verfahrens in drei Instanzen, denn er kündigt zumeist rechtmäßig und hat den angekündigten Platzbedarf. Um schnelle Entscheidungen in Räumungssachen bemüht, hat der Gesetzgeber 2013 den Beschleunigungsgrundsatz in § 272 Abs. 4 ZPO gesetzlich verankert. Das wird nun durch den BGH konterkariert.

2. Das Urteil BGH, VIII ZR 270/15 vom 15.03.2017: In einem jüngeren Fall vor dem BGH hatten Mieter einer Kündigung widersprochen. Dabei machten sie u. a. geltend, dass sie die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf Grund persönlicher Härte verlangen könnten, da der im Jahre 1930 geborene Mieter zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen habe. Insbesondere leide er an einer beginnenden Demenz, die sich zu verschlimmern drohe, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen würde. Der Umzug in eine Altenpflegeeinrichtung sei daher die einzige realistische Alternative zu einem Verbleib in der Wohnung. Allerdings lehnte es die Ehefrau ab, sich entweder von ihrem Mann zu trennen oder selbst in ein Altenpflegeheim zu ziehen, wo sie, da sie noch rüstig sei, „nichts zu suchen“ habe. Diesen Sachvortrag unterstellte das Berufungsgericht als wahr, wertete ihn aber in der Abwägung der beiderseitigen Interessen als nicht ausreichend und holte keine weiteren sachverständigen Erkundigungen ein. Ein Härtefall sei nicht anzunehmen, da das Interesse der Vermieter, nicht auf Dauer auf beengtem Raum leben zu müssen, jedenfalls überwiege.

Dem widersprach der VIII. Zivilsenat des BGH und verwies die Auseinandersetzung zur weiteren Sachaufklärung zurück. In seinem Urteil bemängelt er, dass sich das Berufungsgericht mit der Situation des demenzkranken Mannes und den Folgen einer Kündigung für ihn tiefer hätte auseinandersetzen müssen – und das über die zu Gunsten des Mieters zu Grunde gelegte Wahrunterstellung hinaus. Erst dies versetze die Gerichte in die Lage, die Konsequenzen des Umzugs für den Mieter im Rahmen der Härtefallabwägung sachgerecht zu gewichten. Dabei betont der Senat, dass das Amtsgericht wie auch das Landgericht genau hätten feststellen müssen, ob ein kündigungsbedingter Auszug tatsächlich eine unzumutbare Härte darstellen kann. Allein dem als zutreffend unterstellten Mietervortrag wird das notwendige Abwägungsmaterial regelmäßig nicht zu entnehmen sein.

3. Zweifache Auswirkung in der zivilprozessualen Praxis: Mit der Entscheidung des BGH werden in Rechtsstreitigkeiten, in denen Mieter Härtegründe vortragen, künftig regelmäßig Sachverständigengutachten zur Gewichtung der Gründe des Mieters und Vermieters einzuholen sein. Das höhlt einerseits den Beschleunigungsgrundsatz gerade bei unstreitigen Sachverhalten aus und verlagert andererseits die Entscheidungsfindung auf den Sachverständigen. Damit erhöht sich das Prozessrisiko trotz klarer gesetzlicher Regelungen erneut signifikant. Verliert er den Prozess, muss er nämlich nun auch noch die – nicht unerheblichen – Kosten des Sachverständigen tragen. Das wird in der Kostenabwägung vor Klageerhebung selbst eine erhebliche Rolle spielen.
Ferner durchbricht der BGH den Beibringungsgrundsatz im Zivilprozess, wonach für die Entscheidungsfindung nur das zählt, was von den Parteien schriftsätzlich vorgetragen wird. Begründet wurde dies vom BGH damit, dass die Gerichte verfassungsrechtlich gehalten seien, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen und möglichen Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Dies gelte gerade bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr.

Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, dies darf aber nicht dazu führen, dass ein Zivilgericht über den Vortrag und die Beweisangebote einer Partei hinaus Ermittlungen anstellen muss. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens kommt erst in Betracht, wenn eine entscheidungsrelevante Tatsache zwischen den Parteien streitig ist und hierfür die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Beweismittel angeboten worden wäre. Vorliegend gab es aber keinen Streit über die vorgetragenen Härtegründe des Mieters, die als wahr unterstellt wurden. Im Ergebnis dürften sich entsprechende mietrechtliche Auseinandersetzungen künftig erheblich verzögern und verteuern. Das kann weder im Interesse der Mieter noch des Vermieters sein.

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