Die richtige Strategie in Kartellverfahren

Laut der EU-Kommission haben die Hersteller von Bleichmitteln für die Papierindustrie über viele Jahre Preisabsprachen getroffen. 2006 hat die Behörde deshalb Bußgelder von insgesamt 380 Mio. Euro verhängt. Vor einem einzigen deutschen Zivilgericht werden gegen dieselben Hersteller gegenwärtig Schadensersatzansprüche der Papierindustrie wegen angeblich erhöhter Kartellpreise in Höhe von mehr als 600 Mio. Euro geltend gemacht. Das Beispiel zeigt zweierlei: Erstens das hohe finanzielle Risiko, das ein Unternehmen eingeht, wenn es sich an einem Kartellverstoß beteiligt. Und zweitens die Komplexität, die zu berücksichtigen ist, wenn über die richtige Strategie im Kartellverfahren zu entscheiden ist. Ein Beitrag von Thorsten Mäger, Partner bei Hengeler Mueller.

Eine bestimmte Unternehmensstrategie, die mit Blick auf das Bußgeldverfahren optimal ist, kann sich in der Gesamtschau – z. B. unter Einbeziehung des Kartellschadensersatzrisikos – als verfehlt herausstellen. So kann ein Kronzeugenantrag gegenüber der Kartellbehörde das Bußgeldrisiko minimieren. Wer gegenüber den Kartellbehörden seine Bereitschaft zur Kooperation erklärt, kann unter bestimmten Voraussetzungen als Kronzeuge vollständige Immunität oder zumindest eine erhebliche Bußgeldreduktion (Bonus) erhalten. Gleichzeitig kann aber das Schadensersatzrisiko durch einen Kronzeugenantrag deutlich erhöht werden. In manchen Fällen kann die Kartellbehörde einen Rechtsverstoß erst auf Grund des Geständnisses eines Kronzeugen nachweisen. Die Feststellungen der Kartellbehörde sind für das Zivilgericht in einem etwaigen Schadensersatzprozess jedoch grundsätzlich bindend. Der Kunde, der seine Lieferanten wegen überhöhter Kartellpreise auf Schadensersatz in Anspruch nehmen will, muss im Zivilprozess also nicht mehr darlegen und beweisen, dass ein Kartellverstoß stattgefunden hat. Neben prozessualen Fragen geht es in den Kartellschadensersatzfällen deshalb auch materiell hauptsächlich um die Frage, ob das Kartell überhaupt zu überhöhten Preisen geführt hat und, wenn ja, wie hoch der Schaden ist.

Der Druck nimmt zu

Unternehmen müssen deshalb zu Beginn einer kartellbehördlichen Durchsuchung unter immer größerem Zeitdruck immer schwierigere Entscheidungen treffen. Genau dies entspricht auch dem Kalkül der Kartellbehörden. Sie spekulieren darauf, dass sich Unternehmen in der Krisensituation während einer Durchsuchung im Zweifel für eine schnelle Kooperation entscheiden. Dem greifbaren Vorteil im laufenden behördlichen Verfahren wird oft ein größeres Gewicht beigemessen als einem etwaigen Nachteil, der zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt – z. B. in einem Schadensersatzprozess – droht. Dies führt teilweise dazu, dass die Strategie festgelegt wird, ohne die gesamte Kette der möglichen Folgethemen zu durchdenken und die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Bereichen zu berücksichtigen. Eine nüchterne und besonnene Abwägung der Handlungsalternativen wird freilich dadurch erschwert, dass wenige Minuten darüber entscheiden können, in welcher Höhe später im Rahmen der Bußgeldberechnung von der Behörde ein Bonus gewährt wird. Denn dieser hängt auch davon ab, wie schnell ein Unternehmen reagiert. Kartellbehörden haben Anreize für die erwünschte schnelle Reaktion geschaffen. So kann ein attraktiver Rangplatz dadurch gesichert werden, dass ein so genannter Marker gesetzt wird. Hierfür ist es ausreichend, gegenüber der Behörde die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu erklären und bestimmte Basisangaben über den Kartellverstoß (Art, Dauer, betroffene Märkte, Identität der Beteiligten) zu machen. Dies ist oft noch während der laufenden Durchsuchung möglich, zumal ein Marker meist auch mündlich gesetzt werden kann.

Folgerisiken im Blick behalten

Den Kartellbehörden ist es gelungen, durch die Bonusprogramme eine Situation zu schaffen, in der die Unternehmen nicht mehr – wie zuvor – zu einer abwartenden Verteidigungsstrategie tendieren. Vielmehr ist meist ein „Windhundrennen“ um den besten Rangplatz im Rahmen des Bonusprogramms zu beobachten. Dabei dürfen die Folgeprobleme jedoch nicht aus dem Blick geraten. Hierzu gehört insbesondere nach wie vor das Kartellschadensersatzrisiko. Dieses ist auch erheblich, wie das Eingangsbeispiel zeigt. Nach deutschem Recht haften alle Kartellanten gegenüber sämtlichen Kunden als Gesamtschuldner. Ein Kunde kann also seinen gesamten Schaden gegenüber einem Kartellanten geltend machen, der noch nicht einmal sein eigener Lieferant gewesen sein muss. Seit längerem sind zudem spezialisierte Dienstleister auf dem Markt aktiv, die sich von Kunden Schadensersatzansprüche abtreten lassen, um diese dann vor Gericht gebündelt einzuklagen.

Fazit

Was ist aus all dem zu schließen? Kartellbußgeldverfahren vor Behörden und – bei Einlegung von Rechtsmitteln – Gerichten dauern viele Jahre. Das Gleiche gilt für etwaige Kartellschadensersatzprozesse, die sich hieran anschließen. Die entscheidende Weichenstellung erfolgt allerdings oft ganz am Anfang. Ungeachtet des Zeitdrucks, unter dem Unternehmen die beste Strategie bestimmen müssen, sind sie gut beraten, die jeweiligen Optionen sorgfältig abzuwägen und sämtliche Folgethemen zu bedenken.

{{ name }} Chart
{{ name }} Aktie auf wallstreet:online

ARTIKEL DIESER AUSGABE

17. April 2013

Elbphilharmonie – Streit beigelegt

Der jahrelange Streit zwischen den Baupartnern der Hamburger Elbphilharmonie, der städtischen Realisierungsgesellschaft, HOCHTIEF Solutions und den Architekten Herzog & de Meuron,... mehr

17. April 2013

Graf von Westphalen mit eigenem Notariat

"Die Kanzlei Graf von Westphalen setzt am Standort Frankfurt auf ein eigenes Notariat. Zum 1.4.13 hat sich Rechtsanwalt und Notar Daniel Komo der Kanzlei als Of Counsel angeschlossen." mehr