Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren der EU

Am 22.11.2016 hat die EU-Kommission einen Reformvorschlag in Gestalt einer Richtlinie veröffentlicht, mit dem sie die nationalen Sanierungs- und Insolvenzrechte der EU-Mitgliedstaaten teilweise vereinheitlichen möchte. Kernanliegen der Kommission ist es, Unternehmen (insb. KMUs) frühzeitig den Zugang zu einer nachhaltigen Sanierung zu ermöglichen, um Vermögenswerte und Arbeitsplätze zu erhalten. Stefan Sax und Artur M. Swierczok, Experten für Restrukturierung und Insolvenzrecht bei Clifford Chance, sehen mit den europäischen Bemühungen ein taugliches vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren für europäische Unternehmen zum Greifen nah.

Inhaltlich ruht der Vorschlag auf drei Säulen: (1) der Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens, (2) der Gewährung einer „zweiten Chance“ für überschuldete Unternehmer durch Restschuldbefreiung nach max. drei Jahren und (3) der Steigerung der Effizienz der nationalen Sanierungs-, Insolvenz-, und Restschuldbefreiungsverfahren, insb. durch Verbesserung der Qualifikation der Gerichte und Verwalter.

Begrüßenswert ist zunächst, dass die Eintrittsschwelle für das vorgesehene Sanierungsverfahren äußerst gering sein soll: die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz (likelihood of insolvency) soll genügen. Auch die gerichtliche Einbindung soll auf ein Mindestmaß reduziert sein. Eine Eröffnungsentscheidung ist nicht vorgesehen und ein Schlichter oder Sachwalter soll nur in Ausnahmefällen bestellt werden. Als Anreiz zur Nutzung des Verfahrens soll die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner verbleiben. Dieser soll sich zudem durch ein „Moratorium“ von min. vier bis max. zwölf Monaten vor Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern schützen können. Das Moratorium soll sich auch auf Insolvenzanträge von Gläubigern erstrecken. Gläubiger dürfen in dieser Zeit nicht von krisen- oder insolvenzbedingten Lösungsklauseln Gebrauch machen. Das Moratorium ähnelt damit dem bewährten stay im US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren und schafft die nötige „Atempause“ für konstruktive Sanierungsverhandlungen.

Als Herzstück des Sanierungsverfahrens sieht der Reformvorschlag schließlich einen „Sanierungsplan“ vor. Dieser soll jede Art von finanzwirtschaftlichen und gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen (wie z. B. Verzicht, Stundung, Debt-to-Equity Swap) vorsehen können. Aus ihm muss klar hervorgehen, warum das Unternehmen des Schuldners grundsätzlich rentabel (viable) ist und wie die Rentabilität durch die im Plan vorgesehenen Maßnahmen auf lange Sicht (long term viability) wiederhergestellt bzw. gesichert werden kann. Über den Sanierungsplan soll in Gruppen abgestimmt werden, die sich jeweils aus den betroffenen Gläubigern- bzw. Anteilseignern mit vergleichbarer Rechtsposition zusammensetzen. Die Annahme des Plans innerhalb einer Gruppe bedarf der Zustimmung einer 75% igen Summenmehrheit. Dass der Sanierungsplan mit den Stimmen der Mehrheitsgläubiger auch gegen den Willen einer opponierenden Minderheit durchgesetzt werden kann, ist der zentrale Vorteil dieses Verfahrens. Derzeit erfordert die erfolgreiche Umsetzung einer Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens z. B. nach deutschem Recht die Zustimmung aller Gläubiger, was sich oft als unüberwindbares Hindernis darstellt. Anschließend muss der Plan innerhalb von 30 Tagen (z. B. durch ein Gericht) bestätigt werden. Dabei darf keiner der dissentierenden Gläubiger- oder Anteilseigener schlechter stehen, als er bei einer sofortigen Liquidation des schuldnerischen Vermögens stünde. Eine Bestätigung des Sanierungsplans soll unter bestimmten Voraussetzungen auch dann möglich sein, wenn eine oder mehrere Gruppen dem Plan nicht zugestimmt haben (so genanntes cross-class cram-down). In diesem Punkt geht der Vorschlag in konsequenter Weise sogar über die Möglichkeiten im englischen Scheme of Arrangement (SoA) Verfahren hinaus, das die internationale Sanierungslandschaft in den letzten Jahren stark geprägt hat und maßgeblich als Vorbild für den aktuellen Reformvorschlag dient. Einmal bestätigt, ist der Sanierungsplan bindend für alle Beteiligten. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung sollen zwar zulässig sein, aber keine aufschiebende Wirkung entfalten.

Flankiert wird das Konzept des Sanierungsplans durch den weitgehenden Schutz von neuen, im Plan vorgesehenen Finanzmitteln sowie von Finanzmitteln, die der Finanzierung bis zur Umsetzung des Plans dienen. Sie sollen nur im Fall der Täuschung oder bei Bösgläubigkeit angreifbar sein. Daneben können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass derartige Finanzmittel im Fall einer späteren Insolvenz einen Vorrang vor anderen Finanzierungen des Unternehmens genießen; zumindest sollen sie vor den Forderungen ungesicherter Gläubiger befriedigt werden. Beides ist ebenfalls sehr zu begrüßen. Schließlich ist vorgesehen, dass die Rechte und Pflichten von Geschäftsführern an die neuen Begebenheiten angepasst werden. In Deutschland könnte dies eine Anpassung der oft sanierungsfeindlichen Insolvenzantragspflichten erforderlich machen.

Zusammengefasst vereint der Reformvorschlag zahlreiche bewährte Elemente aus bestehenden Sanierungsverfahren. Sollte der Vorschlag auf EU-Ebene angenommen werden, müsste er anschließend innerhalb von zwei Jahren von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens bleibt zu hoffen, dass die guten Ansätze des Reformvorschlags auch beibehalten und umgesetzt werden und nicht durch bestimmte Interessengruppen, die sich grundsätzlich gegen die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens aussprechen, verhindert werden.

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