EU-Benchmark-Verordnung sorgt für Wirbel im Markt
Als Konsequenz auf die Manipulation der Referenzzinssätze EURIBOR und LIBOR hat der EU-Gesetzgeber das Regelwerk der Benchmark-Verordnung (BMR) geschaffen, die seit dem 1.1.18 anwendbar ist. Es erlegt Administratoren von Benchmarks (insbes. von Referenzzinssätzen) sowie deren Nutzern einen ausführlichen Pflichtenkatalog auf. Stark verbreitete Zinssätze wie der LIBOR, EURIBOR oder EONIA werden besonders reguliert. Christian Storck und Julia Bhatti, Partner bzw. Managing Associate bei Linklaters, geben einen Überblick.
Mit der BMR erfolgt eine 180-Grad-Wendung im Umgang mit Benchmarks. Es wird nicht mehr auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes vertraut, vielmehr wird das gesamte Spektrum nun aufsichtsrechtlich kontrolliert. Jeder Marktteilnehmer ist gehalten, die betroffenen Finanzinstrumente wie Darlehen, Derivate oder Anleihen gegen den Pflichtenkatalog der BMR zu legen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Daneben ist das Marktgeschehen in Bezug auf die aktuellen Veränderungen der derzeit geltenden Referenzzinssätze mit Blick auf die neuen Zinssätze (wie €STR oder SOFR) zu beobachten und ihre Auswirkungen zu analysieren. Doch nicht alle Instrumente des Kapitalmarkts sind hiervon erfasst. So fallen syndizierte Darlehen nicht unter die BMR, wobei die Internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) Marktteilnehmer dennoch darauf hinweist, diese mit Blick auf die aktuellen Reformen zu prüfen. Anleihen hingegen unterliegen u. a. dann der BMR, soweit sie gelistet sind, sowie – in bestimmten Fällen – auch Derivate.
Umfangreicher Pflichtenkatalog
Im Wesentlichen gelten drei Pflichten: (i) Beaufsichtigte Unternehmen, wie Kreditinstitute, dürfen nur Benchmarks verwenden, die in das „ESMA-Benchmarks-Register“ eingetragen sind; (ii) alle Nutzer haben eindeutige Informationen zur Registrierung (bzw. Nichtregistrierung) des Benchmark-Adminis-trators in einen evtl. Wertpapier- oder OGAW-Prospekt aufzunehmen; und (iii) beaufsichtigte Unternehmen müssen robuste Ausweichpläne für den Wegfall von Benchmarks erstellen.
Die Verwendung einer Benchmark ist für beaufsichtigte Unternehmen nur dann zulässig, wenn der jeweilige Benchmark-Administrator registriert ist. Eine solche Registrierung erfolgt, wenn dieser die Anforderungen der BMR erfüllt. (Noch) nicht registrierte Benchmarks dürfen grundsätzlich bis zum 1.1.20, bzw. solange der Antrag auf Zulassung bzw. Registrierung läuft, verwendet werden. Nach dem aktuellen Verordnungsentwurf zu den so genannten low carbon benchmarks ist vorgesehen, dass die Verwendung von Benchmarks, die wie EURIBOR, EONIA und LIBOR als kritisch eingestuft wurden, bis zum 31.12.21 auch unregistiert verwendet werden dürfen. Dies würde z. B. Nutzern des EONIA, der die Anforderungen der BMR nach Aussage seines Administrators nicht erfüllen wird, einen zeitlichen Aufschub gewähren.
In diesem Zusammenhang steht die seit 1.1.18 geltende Pflicht von verschiedenen Prospektverantwortlichen (wie Emittenten), in ihren jeweiligen Prospekten mit einem Hinweis auf das ESMA-Benchmarks-Register auszuführen, ob der Benchmark-Adminis-trator registriert ist oder nicht. Nutzer müssen den Registrierungsstatus der von ihnen verwendeten Benchmarks entsprechend kennen und je nach Fallkonstellation ihren Prospekt nachtragen bzw. die endgültigen Bedingungen austauschen. Dies wäre insbesondere im Falle eines harten Brexit relevant, da Administratoren mit Sitz in Großbritannien von einem auf den anderen Tag zu Drittstaaten-Administratoren würden.
Schließlich trifft beaufsichtigte Unternehmen die Pflicht, robuste schriftliche Pläne zu erstellen, in denen für den Fall, dass sich eine Benchmark wesentlich ändert oder wegfällt, entsprechende Maßnahmen dargelegt werden. Vorzugsweise sollen alternative Benchmarks benannt werden. Entsprechende Regelungen sind auch für bestehende Finanzprodukte vorzusehen, sofern dies „praktikabel“ und „bestmöglich“ ist. Bisherige Finanzprodukte sahen in der Regel aber keine Regelungen zur dauerhaften Einstellung einer Benchmark vor. Marktteilnehmer sind nunmehr also gefragt, die Vertragsbeziehungen mit ihren Investoren vor diesem Hintergrund zu prüfen und entsprechende Maßnahmen zu treffen. In diesem Kontext hat die Euro Risk Free Group um die EZB für neu auszugebende Finanzprodukte so genannte Guiding Principles zu Ausweichplänen als Orientierungshilfe herausgegeben.
Essenziell ist, dass die Notwendigkeit von Ausweichplänen nicht allein beaufsichtigte Unternehmen trifft, sondern jeden Emittenten von Finanzprodukten mit Benchmarkbezug. Denn unabhängig von den regulatorischen Anforderungen der BMR besteht ein hohes Rechtsrisiko, sobald es eine Benchmark nicht mehr gibt oder sie sich wesentlich ändert.
Was ist jetzt zu tun?
Die Rechtsentwicklung der BMR bleibt spannend. Aktuell ist die Gestaltung des Übergangs von EONIA zur Nachfolgebenchmark €STR mit einer eventuellen Methodikanpassung des EONIA zu beobachten. Daneben sollten Häuser ihre Vertragswerke mit Benchmarkbezug einer Prüfung unterziehen, um festzustellen, welche Risiken sich beim Wegfall einer Benchmark ergeben. Neue Verträge sollten entsprechende Ausweichregelungen enthalten. Abzuwarten und auf Marktstandards zu hoffen, stellt keine Alternative mehr dar.
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