Kapitalmarkt

Zukunftsfinanzierungsgesetz – Nicht nur für die Gründerszene

Dass sich die FDP-Bundesminister Marco Buschmann und Christian Lindner eine Menge vorgenommen haben, sagt schon der Name ihres gemeinsamen Prestigeprojekts. Das „Zukunftsfinanzierungsgesetz“, zu dem seit Ostern der Referentenentwurf vorliegt, soll die Welt für deutsche Startups und Investoren einfacher machen, Hürden für Privatanleger-Investments senken, die Digitalisierung voranbringen, Bürokratie abbauen, die Steuerbelastung senken und noch so allerhand.

In fast 30 existierende Regelungen soll das Paket eingreifen, vom Börsen- bis zum Umsatzsteuergesetz. Widerstand bleibt da nicht aus, zumal eine Reihe von Änderungen ihre Wirkung weit über die Startup-Szene hinaus entfalten würden, wenn es so kommt wie im Entwurf vorgesehen. Größtes Aufregerthema war zunächst die geplante Einführung von Mehrstimmrechtsaktien, die in Deutschland eigentlich seit einem Vierteljahrhundert passé sind, im Startup-Kontext aber durchaus Sinn machen könnten. Aktionärsschützer seien „entsetzt“, hieß es gleich.

Ein „einseitiger“ Entwurf, bei dem man vor lauter Startup-Begeisterung „überhaupt nicht an die Anleger gedacht“ habe, sagte uns DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. Allzu große Folgen für Unternehmen außerhalb der Gründerszene dürften allerdings schon daran scheitern, dass der ZuFinG-Entwurf eine Reihe von Bedingungen setzt. Die Einführung muss einstimmig abgesegnet werden, was die Umstellung auf Dual-Share-Strukturen nach dem Börsengang extrem unwahrscheinlich macht. Außerdem zieht der Gesetzgeber die Obergrenze beim zehnfachen Stimmgewicht. 

Die Aufregung um Mehrstimmrechtsaktien hält Gesellschaftsrechtsexperte Christoph Seibt von Freshfields Bruckhaus Deringer darum für „nicht wirklich begründet. Man bekäme damit nur eine weitere Gestaltungsmöglichkeit, neben beispielsweise KGaA-Strukturen, um den Einfluss der Gründer temporär zu sichern. Der Markt wird dann über die Relevanz entscheiden.“ Je nach Größenordnung des IPOs – das ZuFinG sieht u.a. eine Absenkung der Mindestmarktkapitalisierung von 1,25 Mio. auf 1 Mio. Euro vor – sind die vergleichsweise komplexen und kostspieligen KGaA-Konstrukte zwar gegebenenfalls ein Stück vom Bedarf der Gründer entfernt, wie andere zu bedenken geben.

Alexander Rang, Kapitalmarktrechtler bei Hengeler Mueller, ist entsprechend zuversichtlich, dass auch die Dual-Share-Einführung Sinn macht. „In den USA sind Mehrstimmrechtsaktien gängig, hierzulande ist es in bestimmten Konstellationen akzeptiert, über die Ausgabe von Vorzugsaktien oder Strukturierung einer KGaA die Kontrolle langfristig zu sichern. Es gibt keinen guten Grund, warum das nicht auch für Dual Class Shares gelten sollte, die Start-ups besser als die bereits existenten Tools nutzen können.“ Allein deren zeitliche Begrenzung hält Rang für „etwas willkürlich gewählt“; das ZuFinG sieht vor, dass das Mehrfachstimmrecht nach zehn Jahren automatisch erlischt.

Größere Auswirkungen außerhalb der Startup-Szene dürfte eine Änderung bedeuten, die einfachere Abläufe bei Kapitalerhöhungen zum Ziel hat. Dafür wollen die FDP-Minister nicht nur die Grenze beim vereinfachten Bezugsrechtsausschluss auf 20% des Grundkapitals anheben (bisher 10%) und Lockerungen auch beim bedingten Kapital bei Unternehmenszusammenschlüssen einführen. Auch mögliche zeitliche Hindernisse sollen aus dem Weg geräumt werden, indem die Anfechtungsmöglichkeiten bei Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss allgemein ins Spruchverfahren verlagert werden. „Revolutionär“ wäre eine solche Änderung für Seibt; „ein mutiger und richtiger Schritt, der die Transaktionspraxis in Deutschland sehr erleichtern würde“.

Dirk Busch, Kapitalmarktrechtler bei Hengeler Mueller, spricht gar von einem „Quantensprung“, auch wenn noch Detailpunkte wie Freistellungs- und Erstattungsoptionen gegenüber eintretenden Aktionären geklärt werden sollten. Denn durch die Neuregelung fiele auch der bisher notfalls beschrittene Schlenker über ein Freigabeverfahren weg, der bisher die einzige Möglichkeit darstellt, Kapitalmaßnahmen trotz Anfechtung durchzuziehen. Wegen seiner typischerweise mehr als dreimonatigen Dauer, so Busch, sei dieser Umweg „nicht interessengerecht; das hat der Gesetzgeber zum Glück erkannt. Denn Emittenten und Investoren wollen schließlich wissen, woran sie sind.“

Ein Punkt, dem man deutlich ansieht, wann die Idee für das ZuFinG ursprünglich entstanden ist, ist die komplette Neuregelung dessen, wofür die Autoren die Wortkreation „Börsenmantelaktiengesellschaft“ geschaffen haben. Bekannter sind diese Konstrukte bisher als Spacs. Die große Zeit der Börsenmäntel ging zwar bereits vor anderthalb Jahren mit den ersten spürbaren Leitzinserhöhungen zu Ende. Carsten Berrar, Leiter der deutschen Praxis von Sullivan & Cromwell und bisher bei den meisten Spacs mit Deutschlandbezug dabei, begrüßt die Neuerungen trotzdem. „Die Grundvoraussetzung – Zulassung von sog. Naked Warrants – ist im ZuFinG-Entwurf geschaffen, einige weitere Punkte ganz vernünftig geregelt.“ Das betreffe etwa die Verfügung über Treuhandkonten, die Laufzeitbegrenzung auf maximal 48 Monate und die Regelung zu Liquidationsfristen. Auch dass die HV einem De-Spac, also der Verschmelzung mit dem Zielobjekt, erst zustimmen muss, sei keine Überraschung.

Einen potenziellen „Deal-Killer“ sieht Berrar allerdings darin, dass das Andienungsrecht auf 30% des Grundkapitals beschränkt und zudem an die Ablehnung bzw. den Widerspruch gegen die De-Spac-Transaktion geknüpft werden soll: „Wenn einige Investoren die Transaktion eigentlich befürworten, aber aus anderen Gründen ihr Geld zurückhaben wollen, platzt unter Umständen der Deal.“ Das gelte umso mehr, da außerdem mindestens drei Viertel des anwesenden Kapitals der Transaktion zustimmen müssen.

Auch wenn es bei den Regelungen aus diesem Entwurf bleibe, so Berrar, mache der Gesetzgeber „einen großen Schritt in die richtige Richtung. Bisher waren Spacs nach deutschem Recht unmöglich, das wird nun korrigiert.“ Wenn sich das Kapitalmarktklima spürbar bessert, ist der Gesellschaftsrechts- und Kapitalmarktspezialist überzeugt, „werden wir auch wieder Spac-IPOs sehen“. Sicher nicht so viele wie 2020 und 2021, aber als Nischenprodukt könnten Börsenmäntel sehr wohl eine produktive Rolle spielen. Hengeler-Anwalt Rang ist da skeptischer. Deutsche Spacs, meint er, „werden es vermutlich im Wettbewerb mit den etablierten US-Strukturen schwer haben, zumal im Ergebnis die Transparenzanforderungen dort höher, also investorenfreundlicher, sind“. 

Aus Sicht der Corporate-Spezialisten also eine Reihe durchaus bedeutender Fortschritte, die in eine ähnliche Richtung gehen wie das kürzlich reformierte Umwandlungsrecht. Freshfields-Partner Seibt zieht außerdem eine Parallele zu einem kürzlich ergangenen BGH-Richterspruch, der für Ausgleichsansprüche aus einem Beherrschungsvertrag den Börsenwert für maßgeblich erklärte. „Insgesamt ist das ein sehr starkes Statement für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts“, erklärt Seibt. Ob die Aktionäre das auch so sehen, bleibt abzuwarten. np

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