Venture Capital-Boom geht fürs erste weiter
Die deutsche Startup-Szene kann vor Geld kaum laufen – das suggerieren jedenfalls die Zahlen, die EY für eine aktuelle Studie zusammengetragen hat. 17,4 Mrd. Euro investierten Wagniskapitalgeber demnach 2021 in Deutschland, fast zweieinhalb mal so viel wie im Vorjahr.
Hierzulande gab es sogar besonders viele große Finanzierungsrunden: Gleich fünf Firmen (Gorillas, Celonis, N26, Trade Republic und Ionity) bekamen jeweils zwischen 700 Mio. und 900 Mio. Euro zugesteckt. Noch größer waren in Europa nur drei weitere VC-Finanzierungen.
Aktuell gibt es kaum Anzeichen, dass der Boom nachlässt, auch wenn nicht mehr eine Riesen-Runde die andere jagt. „Bisher sehen wir keine Auswirkungen – anhaltendes Interesse der Investoren, stabile Bewertungen, keine zusätzlichen Schutzklauseln“, berichtet Marco Eickmann, VC-Partner bei der Kanzlei Lutz Abel.
Inzwischen diskutieren manche VC-Profis aber Themen, die vor ein paar Monaten noch niemanden interessierten – ob der öffentlich finanzierte Europäische Investitionsfonds (EIF) seine strengen Regeln gegen Beteiligungen im Rüstungssektor überdenken sollte, zum Beispiel. Der EIF ist bei vielen Startups mit an Bord. Andere würden sich über fallende Preise freuen, etwa Unternehmen aus der „Old Economy“, die gerne digitale Startups schlucken würden, aber finanziell selten gegen die VC-Fonds ankamen.
Auch Fondsmodelle, die über schlechte Exit-Konditionen in einer längeren Börsenflaute hinweghelfen, kommen in Mode. „Continuation Funds, also Fonds zur Verlängerung existierender Investments, wurden schon 2021 öfter diskutiert. Ich würde davon ausgehen, dass sich dieser Trend verstärken wird“, sagt der VC-Spezialist Benjamin Ullrich von der Kanzlei YPOG. Wie viel Geld die Fonds in diesem Jahr neu einsammeln, ist dagegen fast egal, jedenfalls kurz- bis mittelfristig. Die vorhandenen Summen sind noch lange nicht verbraucht.
Allerdings: Während manche Geschäftsideen in Corona-Zeiten für steile Wachstumskurven gut waren, bauten andere Verspätung auf. Manche Branchenkenner beobachten in dieser Situation, dass Startups verstärkt auf spezielle Kreditfinanzierungen zurückgreifen, wie sie in den USA bei den meisten VC-Finanzierungsrunden Standard sind. Auch die Kreditgeber kommen oft aus Amerika, wie etwa die parallel als VC-Eigenkapitalinvestoren aktiven Häuser Harbert, Kreos und TriplePoint, aber auch die Silicon Valley Bank, die als einzige mit einem eigenen Team in Deutschland präsent ist.
Die relativ teuren Kredite – üblich sind Zinssätze um 10% – dienen meist als Sicherheitspuffer, falls sich die nächste Finanzierungsrunde verzögert, oder für besonders kapitalintensive Geschäftsmodelle. Manche setzen Fremdkapital auch gezielt als Wachstumsbeschleuniger ein. „Venture Debt-Komponenten sieht man seit 2021 wieder häufiger, wobei das Volumen insgesamt deutlich unter 10% der von uns betreuten Finanzierungsrunden liegt“, berichtet uns Norman Röchert, VC-Partner bei Taylor Wessing.
An den Zahlen für den europäischen Markt lässt sich der Zuwachs bisher nur eingeschränkt ablesen: Zwar stieg das Kreditvolumen im VC-Markt 2021 laut dem Datenanbieter Dealroom von 1,9 Mrd. auf 2,2 Mrd. US-Dollar an, dagegen ging der Debt-Anteil an den Finanzierungen insgesamt wegen der enorm gestiegenen Eigenkapitalinvestments deutlich zurück. Im US-Markt, der die europäischen Trends üblicherweise vorwegnimmt, gingen in den vergangenen Monaten aber auch immer mehr Fintechs als Venture Debt-Anbieter an den Start.
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