Lieferdienste – Die fetten Jahre sind vorbei

Geschäftsmodell für den ausnahmezustand _ Der Berliner Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas kam aus den Negativschlagzeilen nie wirklich raus. Schon früh kamen Beschwerden der Fahrer über unwürdige Arbeitsbedingungen auf: Zu schwere Rucksäcke, mangelhafte E-Bikes bzw. Fahrräder, unsichere Fahrbedingungen, und das zum Hungerlohn unter maximalem Zeitdruck. Gorillas gelobte Besserung, erhöhte den Lohn mittels eines Bonussystems, wies auf Schutzmaßnahmen hin. Ende 2021 wurde immerhin ein Betriebsrat gegründet, doch auch da gab es zuletzt Streit vor Gericht.
Und jetzt auch noch das: Wirtschaftsabschwung. Das 2020 gegründete Unternehmen kündigte schon im Frühjahr 300 Mitarbeitern aus der Verwaltung, steht jetzt kurz vor der Übernahme durch den türkischen Konkurrenten Getir. Der US-Anbieter DoorDash, der mit der Tochter Wolt sowie einer Beteiligung an Flink hierzulande unterwegs ist, kürzt laut Medienberichten 1 250 Stellen. Delivery Hero, das wiederum an Gorillas beteiligt ist, hatte sich mit dem eigenen Geschäft mangels Erfolgs ohnehin 2021 aus Deutschland zurückgezogen. Und Profitabilität steht sowieso außer Frage.
Im aktuellen Umfeld werden die Schwächen des Geschäftsmodells schonungslos offenbart. Lieferdienste haben in der Vergangenheit große Summen für Marketing eingesetzt, um Kunden teuer anzuwerben, etwa Lieferando, das zum niederländischen Just Eat gehört. Das Unternehmen spielt seit Monaten eine Multi-Channel-Kampagne mit Sängerin Katy Perry, die extra dafür einen Werbe-Jingle einsang. Die Finanzierungsrunden von Gorillas und Co. 2020 und 2021, die zu multiplem Einhornstatus führten, fußten allerdings maßgeblich auf dem coronagetriebenen Hype. Das Geschäft wurde von monatelangen Lock- bzw. Shutdowns und Homeoffice-Pflicht getragen, als weder Veranstaltungen stattfanden, noch Restaurants überhaupt öffneten und sogar selbst auf Bringservice angewiesen waren, um Umsatzeinbußen auszugleichen.
Doch eine solche Lebensweise kann in einer liberalen Gesellschaft nicht von Dauer sein. Mit der Rekordinflation wird der Aufpreis für Lieferung oder Zubereitung zum Luxus, wenn allein Lebensmittelpreise explodieren, wie es besonders in Deutschland der Fall ist. Die wohlhabenden Großstädter, die sich Lieferungen weiterhin leisten können und wollen, werden für ein nachhaltiges und profitables Wachstum dieser Startups nicht ausreichen.
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