„Greenwashing steht zu Recht im Fokus“ – ESG braucht Transparenz
Auszug aus dem PLATOW Special Renditechancen 2021
Karsten Stroh, Investment Specialist bei JP Morgan Asset Management im PLATOW-Gespräch über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ESG-Investments, die Kunst der Einflussnahme bei Konzernen und wie es Nestlé in die Spitzenposition eines Nachhaltigkeitsfonds schaffen konnte.
Herr Stroh, JP Morgan Asset Management hat bereits im Jahr 2007 die UN-Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren unterzeichnet. Das Thema Nachhaltigkeit ist für Sie also keinesfalls neu.
Das Thema Nachhaltigkeit begleitet uns schon eine ganze Weile. Zunächst ist es v. a. bei Schwellenländeraktien kontinuierlich wichtiger geworden und im Jahr 2013 haben wir die Berücksichtigung von ESG-Kriterien systematisch im EM-Aktien-Investmentprozess integriert. Nach und nach wurde das Thema Nachhaltigkeit dann für immer mehr Anlegergruppen relevant. Vor diesem Hintergrund haben wir dann in den vergangenen fünf Jahren die ESG-Integration unserer Fondspalette vorangetrieben und dezidiert nachhaltige Produkte aufgelegt. Mit der Auflage des JPM Europe Sustainable Equity Fonds waren wir im Dezember 2016 Vorreiter. Das Volumen liegt inzwischen bei über 282 Mio. Euro. Insgesamt verwalten wir in diesem Bereich inzwischen über 3,5 Mrd. Euro.
Es werden viele Begrifflichkeiten durcheinander geworfen. Wie unterscheiden sich die Principles for Responsible Investment (PRI), die ESG-Kriterien und nachhaltiges Investieren voneinander?
Wir unterscheiden drei unterschiedliche Entwicklungsstufen von Nachhaltigkeit. Im ersten Schritt geht es um das verantwortungsvolle Investieren: Darin beziehen wir die UN-Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren ein. In der nächsten Stufe geht es um die sogenannte ESG-Integration, also eine systematische Berücksichtigung von ESG-Faktoren im Anlageentscheidungsprozess. Die Königsdisziplin ist das nachhaltige Investieren: Das bezeichnet einen zukunftsorientierten Anlageansatz, der in einer sich schnell verändernden Welt eine langfristige und nachhaltige finanzielle Rendite erzielen soll. Bei einer nachhaltigen Geldanlage werden neben den ESG-Kriterien dezidierte nachhaltige Strategien für den Investmentprozess festgelegt, z. B. ein Ausschluss bestimmter Branchen, eine positive Ausrichtung, ein Best-in-Class Ansatz, eine thematische Fokussierung oder sogenanntes Impact Investing.
2020 hat Corona das bis dahin medial dominierende Thema „Klimawandel“ abgelöst. Welchen Einfluss hat die Pandemie auf das Verhalten der Anleger?
Das von der EU beschlossene Rettungspaket hat einen starken Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit. Und auch das Bewusstsein der Anleger geht immer stärker in diese Richtung. So haben wir zuletzt starke Zuflüsse in unsere reinen Nachhaltigkeitsfonds gesehen. Es ist übrigens ein spannendes Phänomen, dass 2020 viele neue Anleger den Weg an die Kapitalmärkte gefunden haben – sei es, weil sie angesichts des Lockdowns endlich einmal Muße hatten, sich mit dem Thema zu beschäftigen oder die niedrigeren Kurse zum Einstieg nutzen wollten. Für viele Deutsche scheint das Thema Nachhaltigkeit tatsächlich ein Auslöser zu sein, sich mit dem Kapitalmarkt zu beschäftigen, denn durch entsprechende Investments können Sie mit ihrem Geld etwas Gutes tun.
Ein Problem ist das sogenannte „Greenwashing“. Nicht in jedem Fonds, auf dem ESG draufsteht, ist auch ESG drin. Was sollten Anleger beachten?
Das Thema Greenwashing ist sicherlich zu Recht im Fokus – nicht überall, wo „nachhaltig“ drauf steht, ist auch alles tatsächlich „grün“ oder gar „dunkelgrün“. Um den unterschiedlichen Definitionen einen einheitlichen Rahmen zu geben, ist ja am 10.3.21 die EU-Taxonomie eingeführt worden und damit ist für Anleger und Berater erst einmal eine gute Basis gegeben. Darüber hinaus müssen die Fondsanbieter natürlich auch Transparenz über die in ihren Fonds gehaltenen Unternehmen und ihr Abstimmungsverhalten sowie ihr „Engagement“ bieten. Zudem bieten Anbieter von Nachhaltigkeitslabeln eine unabhängige Überprüfung der Kriterien an.
Stichwort „Engagement“: Wie muss man sich die Einflussnahme von Fondsmanagern auf die Unternehmen in der Praxis vorstellen?
Es geht darum, den Unternehmen klar zu machen, dass sie im Wettbewerb stehen. Wenn wir nicht überzeugt sind, dass das Unternehmen langfristig erfolgreich sein kann, würden wir auch nicht investieren – ganz unabhängig vom ESG-Fokus. Wir suchen stets einen konstruktiven Dialog, um die erfolgverspechende Entwicklung eines Unternehmens, die heutzutage natürlich immer stärker auch ESG-Themen umfasst, mit unserem Know-how zu unterstützen. Dieses Engagement haben wir grundsätzlich in unseren Investmentprozessen integriert, nicht nur bei Nachhaltigkeitsfonds. Diese nichtfinanziellen Aspekte, die bei der Leistungsbewertung eines Unternehmens berücksichtigt werden, werden für den wirtschaftlichen Erfolg immer wichtiger.
Setzen Sie bei der Aktienauswahl auf Unternehmen, die bereits einen hohen ESG-Score aufweisen oder auf solche, die noch weit unten stehen, aber ein starkes Verbesserungspotenzial haben?
Der überwiegende Teil der Unternehmen, in die wir im JPM Europe Sustainable Equity Fonds investieren, verfolgt bereits eine ESG-Unternehmenspolitik, die wir für sehr gut erachten. Es gibt aber durchaus einen kleinen Teil innerhalb des Fonds, den wir in Unternehmen inves-tieren, bei denen noch Verbesserungspotenzial besteht. Diese Unternehmen sind zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht richtig gut, aber es gibt starke Anhaltspunkte, dass sie daran arbeiten.
In dem Fonds ist überraschend Nestlé am stärksten gewichtet. Dabei steht der Konzern u. a. wegen seiner Wasserpolitik in der Kritik. Was macht ihn so nachhaltig, dass die Spitzenposition gerechtfertig ist?
Nestlé als ein führender Anbieter im Lebensmittel- und Getränkebereich hat tatsächlich auch viele positive Scores für Nachhaltigkeit, selbst wenn das Unternehmen allein durch seine Größe immer wieder Kontroversen und Reputationsrisiken ausgesetzt ist. Diese Größe bietet jedoch auch ein starkes Potenzial für nachhaltigen Einfluss in der Branche, was sich sowohl auf das Produktangebot als auch auf Verbesserungen im Betrieb ausgewirkt hat – und das in der gesamten Industrie. Bereits 2017 verpflichtete sich Nestlé, bis 2020 mit den UN-Nachhaltigkeitszielen in Einklang zu stehen. Dazu wurde bis 2030 ein Programm für die Verbesserung der Lebensqualität in Gemeinden, in denen Nestlé aktiv ist, gestartet. In Kombination mit attraktiven Finanzdaten betrachten wir die Aktie daher als „Best in Class“-Investment für unseren nachhaltigen Fonds.
Die Kostenquote des Fonds ist mit 1,8% vergleichsweise günstig, aber teurer als ein ETF. Welchen Mehrwert liefert aktives Fondsmanagement beim Thema Nachhaltigkeit gegenüber passiven Strategien?
Hier ein Vergleichswert, der diesen Vorteil vielleicht verdeutlicht: Die drei großen Ratingagenturen haben in ihren klassischen Unternehmenskreditratings eine hohe Korrelation von 0,9. Bei den Anbietern für ESG-Kriterien haben wir eine Korrelation von 0,3 ermittelt. Die Bewertungen sind also sehr verschieden, was die Nachhaltigkeit verschiedener Unternehmen angeht. Und es ist in diesem doch eher neuen Segment sicherlich hilfreich, einen guten aktiven Manager an der Seite zu haben, der stark auf fundamentales Research fokussiert ist und ebenfalls eine eigene Einschätzung mit einbringen kann.
Karsten Stroh
Der CFA-Charterholder kam 1993 nach dem BWL-Studium in Frankfurt zu J.P. Morgan Asset Management. Als Managing Dirctor ist er Investment Spezialist in der International Equity Group der Fondsgesellschaft in Frankfurt. Von 2008 bis 2014 hatte er diese Funktion in London inne. Zuvor leitete er das Team für Aktien- und Multi-Asset-Portfolios der Frankfurter Niederlassung.
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