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Interview mit Finanzstaatssekretär Toncar: „Der digitale Euro darf nicht zu einer Art digitalem Berliner Flughafen werden“

Copyright Florian Toncar
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PLATOW-Redakteur Jan Mallien im Interview mit Finanzstaatssekretär Florian Toncar.

Herr Toncar, aktuell sind im Vorstand der Bundesbank nur drei von sechs Posten besetzt. Intern gibt es Stimmen, die sagen, das sei eigentlich genug. Wäre eine Verkleinerung des Gremiums nicht eine sinnvolle Sparmaßnahme?
Das habe ich noch nie gehört. Ich höre immer nur: Wann sind wir wieder komplett?

Und was ist Ihre Antwort?
Wir werden seitens des Bundes für die Position, für die wir das Vorschlagsrecht haben, sehr zügig einen Personalvorschlag machen. Daneben sind Hessen und Nordrhein-Westfalen vorschlagsberechtigt. Ich kann aber keinen genauen Zeitpunkt nennen.

Schadet die Vakanz nicht dem Ansehen der Bundesbank?
Die Bundesbank hat eine sehr hohe Reputation. Diese wird durch kurzzeitige Vakanzen nicht beeinträchtigt. Aber jede Organisation braucht Klarheit über Zuständigkeiten. Das ist uns bewusst.

Wird die Besetzung bis zum Sommer abgeschlossen sein?
Ja, sicher. Es gibt keinen Anlass, den Prozess über den Sommer zu ziehen.

Bei Nominierungen der Länder gab es in der Vergangenheit in einigen Fällen Kritik, dass sich diese eher nach Parteibuch als nach fachlicher Eignung gerichtet hätten. Wie ist die Haltung für den Bund?
Diese Aussage mache ich mir nicht zu eigen. Ich habe nicht den Eindruck, dass es Schwierigkeiten gibt, erstklassige Persönlichkeiten für den Bundesbank-Vorstand zu gewinnen. Für den Bund ist auf jeden Fall die Qualifikation das entscheidende Kriterium für die Besetzung.

Wäre es dann nicht besser, die Vorstandsposten öffentlich auszuschreiben?
Es ist ja kein Geheimnis, dass wir Vakanzen haben. Wer geeignet ist und die Aufgabe gerne übernehmen würde, kann sich auch bemerkbar machen. Insofern sehe ich keinen Grund, das Vergabeverfahren zu verändern.

Ein wichtiges Projekt für die Bundesbank ist der digitale Euro, an dem neben der EZB auch die nationalen Notenbanken im Eurosystem beteiligt sind. Vielen ist nicht klar, wofür er benötigt wird.
Die große Mehrheit der Zentralbanken weltweit beschäftigt sich mit digitalem Zentralbankgeld. Daher ist es richtig, dass sich die EZB damit befasst. Es muss aber klar sein, was der Zweck ist.

Was meinen Sie genau?
Die Debatte um den digitalen Euro ist ja ursprünglich entstanden, als Facebook angekündigt hat, die virtuelle Währung Libra aufzubauen. Es gab eine – manchmal auch etwas übertriebene – Sorge um das staatliche Geldmonopol. Ein Argument war jedenfalls, dass man globale Digitalkonzerne davon abhalten müsse, eine systemrelevante Stellung bei der Ausgabe von Zahlungsmitteln zu erlangen. Wie relevant dieses Thema in Zukunft sein wird, bleibt abzuwarten. Facebook verfolgt die Pläne jedenfalls nicht weiter. Es kursieren aber weitere Begründungen, die völlig anderer Natur sind.

Wo liegen die Unterschiede?
Mal stehen der Schutz der europäischen Souveränität und mal eher wettbewerbspolitische Erwägungen im Fokus, um die starke Stellung von US-Konzernen wie Visa oder Mastercard im privaten Zahlungsverkehr aufzubrechen. Anderen Befürwortern des digitalen Euro geht es eher darum zu verhindern, dass China mit einem digitalen Renminbi in die Vorhand kommt, weil Europa nichts Gleichwertiges anbieten kann. Wieder andere argumentieren mit dem Schutz der Privatsphäre. Demnach soll es darum gehen, den hohen Privatsphäreschutz, den Bargeld bietet, im digitalen Zeitalter zu erhalten. Kurzum: in der Debatte kursieren die unterschiedlichsten Argumente für einen digitalen Euro. Ich finde, wir müssen auf europäischer Ebene zuerst klären, wofür wir ihn brauchen, ehe wir in die Umsetzung gehen.

Noch gibt es keine Entscheidung, den digitalen Euro einzuführen. Christine Lagarde hat die Entwicklung aber stark vorangetrieben, ähnlich wie die stärkere Rolle der EZB beim Klimaschutz. Ist es dadurch nicht schwierig, das Projekt des digitalen Euro ergebnisoffen zu gestalten?
Es darf auf keinen Fall passieren, dass die EZB etwas einführt, was im Markt nicht angenommen wird, nur weil bereits viele Ressourcen hineingeflossen sind. Der digitale Euro darf nicht zu einer Art digitalem Berliner Flughafen (BER) werden, also einem Projekt, das sich immer weiter verzögert und immer teurer wird und dann nur noch weiter gemacht wird, weil der Abbruch noch teurer wäre.

Verzettelt sich die EZB?
Die EZB beschäftigt sich mit vielen komplexen Dingen gleichzeitig. Im Vordergrund muss immer die Preisstabilität stehen, das ist das Allerwichtigste.

Die EZB rechtfertigt das Engagement zum Teil auch mit ihrem zweiten Mandat, wonach sie die Wirtschaftspolitik in der EU unterstützen soll.
Natürlich gibt es beispielsweise Klimarisiken auch für einzelne Finanzdienstleister und das Finanzsystem insgesamt. Die muss die EZB auch adäquat erfassen. Aber auch für das Sekundärmandat muss die Abgrenzung zur Zuständigkeit demokratisch legitimierter Parlamente und Regierungen weiterhin funktionieren.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde fordert ein europäisches Pendant zur US-Finanzaufsicht SEC. Hat Sie Recht?
Wir haben in Europa die gemeinsame Bankenaufsicht mit der EZB. Das ist wegen der Risiken und der Ansteckungsgefahren zwischen Banken und Staaten sinnvoll. Außerdem haben wir mit der ESMA eine gemeinsame Wertpapieraufsicht, die Standards setzt. Der Ansatz ist, dass die nationalen Behörden beaufsichtigen, aber in einem von der ESMA harmonisierten Aufsichtsrahmen. Mir sind keine Defizite bekannt, aufgrund derer ich sagen würde, da brauchen wir eine völlige Zentralisierung.

Aber so ändert sich doch nichts.
Bei der Kapitalmarktunion gab es in den letzten Jahren schon Fortschritte, wenn auch für meinen Geschmack viel zu kleine. Aktuell überarbeiten wir zum Beispiel die EU-Marktinfrastrukturverordnung , um das Clearing in der EU stärken. Hier sind wir auf den letzten Metern. Deutschland und Frankreich sind bei der Kapitalmarktunion sehr nah beieinander. Wir wollen eine stärkere Integration.

In welchen Bereichen?
Wir finden zum Beispiel, dass der Verbriefungsmarkt in Europa wiederbelebt werden sollte. Wir setzen uns auch für bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Wachstums- und Tech-Unternehmen ein. Außerdem wollen wir die Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investoren verbessern, indem wir unnötige Bürokratie abbauen und den Aufwand für Unternehmen durch übermäßige und sich überschneidende Berichtspflichten reduzieren. Bei der Kapitalmarktunion bin ich optimistischer, dass wir vorankommen, als bei der Bankenunion.

Woran liegt das?
Weil wir bei der Kapitalmarktunion nicht diese Grundsatzfragen haben, wie viel Markt wir wollen oder wie viel Umverteilung.

Heißt das im Umkehrschluss: Mit Fortschritten bei der Bankenunion ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen?
Es ist zumindest schwieriger. Die europäischen Finanzminister haben sich geeinigt, zunächst bei den Regeln für das Krisenmanagement bei Banken voranzukommen. Dazu befindet sich ein Verordnungsentwurf der EU-Kommission in der Abstimmung. Ich kann sagen, dass wir als Bundesfinanzministerium mit Sorge darauf schauen, weil die Kommission sich maßgeblich von Prinzipien der unternehmerischen Verantwortung löst und stärker in Richtung einer Kollektivierung von Unternehmensrisiken geht.

Wie meinen Sie das?
Es sollen zum Beispiel auch Mittel der Einlagensicherung herangezogen werden, um gescheiterte Banken zu stützen. Dazu gibt es dann so schöne Slogans wie “bridge the gap“. In Wahrheit geht es darum, dass gesunde Banken für gescheiterte Wettbewerber mitbezahlen sollen, um deren Eigentümer gegenüber der heutigen Rechtslage zu entlasten. Das kann nicht die Lösung sein. Außerdem läuft der Entwurf der Kommission auf eine Schwächung der Institutssicherungssysteme hinaus, die für Sparkassen und Volksbanken besonders wichtig sind.

Inwiefern würde die Institutssicherung geschwächt?
Die Verordnung sieht vor, einige Instrumente zu beschränken, die Institutssicherungssysteme bisher präventiv einsetzen können, um das Scheitern einer Bank aus dem Verbund von vornherein abzuwenden. Im Grunde sollen die Institutssicherungssysteme stärker zu Entschädigungseinrichtungen umgebaut werden. Das kann aus meiner Sicht nicht sein. Sie sehen, dass wir im Bundesfinanzministerium den Vorschlag der Kommission in mehreren Punkten kritisch sehen.

Das kling nicht nach einer schnellen Einigung. Wenn Sie insgesamt auf die Bankenunion in Europa blicken, wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Das Wichtigste wäre eine stärkere Marktintegration. Wir müssen die Vorteile des Binnenmarktes nutzen, indem es Banken erleichtert wird, europaweit Geschäft zu machen. Es würde sehr helfen, dass wir in Europa durch einen größeren Markt und geringere Kosten sowohl wettbewerbsfähigere Banken bekommen, als auch bessere Konditionen bei der Unternehmensfinanzierung. Dies wäre definitiv eine win-win-Situation für Europa insgesamt.