Wenn die Banken beben

Die von den eidgenössischen Finanzbehörden erzwungene Notfallübernahme der zweitgrößten Schweizer Bank Credit Suisse durch den Lokalrivalen UBS hat Erinnerungen an die große Finanzkrise vor 15 Jahren wachgerufen. Im September 2008 flüchtete sich auf Druck der US-Regierung die angeschlagene Investmentbank Merrill Lynch in die Arme der Bank of America. Zuvor war bereits Bear Stearns unter den Rockzipfel von J.P. Morgan Chase gekrochen. Ursprünglich sollte die Bank of America die noch viel stärker in die Bredouille geratene Investmentbank Lehman Brothers übernehmen. Doch die US-Regierung entschied kurzfristig, lieber Merrill Lynch zu retten und Lehman, deren größte Gläubiger in Europa saßen, fallen zu lassen. Was zunächst wie ein geschickter Schachzug der US-Politik aussah, entpuppte sich jedoch schnell als fataler Fehler, der eine ungeahnte Kettenreaktion auslöste, die das internationale Finanzsystem an den Rand einer Kernschmelze führte und die Staaten weltweit zu einer gigantischen Rettungsaktion nötigte.
Damals schworen sich die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder, dass Banken nie wieder mit Steuergeld gerettet werden sollen. Es folgte eine global abgestimmte Regulierungsagenda, die bis heute noch nicht vollständig umgesetzt ist. Dabei zeichnete sich schon damals ab, dass der Staat trotz drastisch verschärfter Regulierung und neuer Abwicklungsmechanismen kaum abseitsstehen kann, wenn doch wieder eine systemrelevante Bank in Not gerät. Auch deshalb war die Schweiz bei der Rettung der Credit Suisse fast schon peinlich darauf bedacht, einen direkten Staatseinstieg bei dem Kriseninstitut zu vermeiden. Um der widerstrebenden UBS die Übernahme des Erzrivalen schmackhaft zu machen, winkten Regierung und Notenbank mit großzügigen Liquiditätshilfen und Verlustgarantien. Denn die Staatenlenker hatten auch gelobt, dass nie wieder eine mit dem internationalen Finanzsystem eng vernetzte Bank unkontrolliert kollabieren darf.
Auslöser der Finanzkrise 2007/2008 war die Zinswende der US-Notenbank Fed, die auch die Zinsen für Hypothekenkredite nach oben trieb. Mit allerlei staatlichen Anreizen wollte die damalige US-Regierung auch Familien mit geringeren Einkommen den Bau eines Eigenheims ermöglichen. Als jedoch die Hypothekenzinsen immer höher stiegen, platzte plötzlich für viele Häuslebauer der Traum von den eigenen vier Wänden. Was noch im Frühjahr 2007 als ein regionales Problem in der fernen amerikanischen Provinz erschien, baute sich in den folgenden Monaten zu einem globalen Tsunami für die Finanzindustrie auf. Denn die US-Banken hatten die zweitklassigen Hypothekenkredite zusammen mit sicheren Staatsanleihen zu hübschen Subprime-Verbriefungen verpackt und über den halben Globus an nach Kredit-ersatzgeschäft gierende Banken vermarktet. Als die zweitklassigen Hypothekenkredite reihenweise ausfielen, waren auch europäische Institute, die sich haufenweise mit den scheinbar sicheren Subprime-Verbriefungen eingedeckt hatten, zu Milliardenabschreibungen gezwungen. Diese Verlustwelle sorgte für einen massiven Vertrauensverlust innerhalb des globalen Bankensystems, der mit dem Lehman-Kollaps seinen Gipfel erreichte.
Auch diesmal hat die rasante Zinswende der Notenbanken ihre ersten Opfer in einer vermeintlich unbedeutenden Nische des Finanzmarkts gefunden, die noch dazu als weitgehend abgeschottet vom klassischen Bankensystem galt. Ende 2022 ging die Krypto-Börse FTX pleite und zog im März 2023 die amerikanische Krypto-Bank Silvergate mit in den Abgrund. Als dann die Startup-Kunden der Silicon Valley Bank im großen Stil ihre Einlagen abzogen, klappten weitere US-Regionalbanken zusammen. Um ein weiteres Ausbreiten des Regionalbanken-Sterbens zu verhindern, entschied sich die US-Regierung, die Kundeneinlagen der gescheiterten Institute zu garantieren, nicht aber die Banken selbst zu retten. Die Krise der US-Regionalbanken ließ auch die Aktienkurse der europäischen Banken in die Knie gehen. Besonders tief in den Abwärtsstrudel geriet dabei die durch hausgemachte Skandale und Management-Fehler schon seit geraumer Zeit in einer Vertrauenskrise steckende Credit Suisse.
Anders als in der großen Finanzkrise waren die Regierungen und Aufsichtsbehörden diesmal jedoch besser gewappnet und griffen bereits frühzeitig mit gezielten Maßnahmen zur Stabilisierung des Vertrauens in das Bankensystem ein. Auch ist den Banken bislang nicht eine ähnliche Streubombe wie die Subprime-Verbriefungen um die Ohren geflogen. Mit der Rettung der Credit Suisse, die aufgrund ihrer engen Verzahnung mit dem internationalen Bankensystem zu den 30 systemrelevantesten Instituten der Welt gehört, hat die Schweizer Regierung einen Dominoeffekt wie nach dem Lehman-Zusammenbruch abwenden können. Doch ausgestanden waren die Turbulenzen damit noch keineswegs. Das angeknackste Vertrauen in den Bankensektor sorgte für herbe Kursverluste, die in einer massiven Shortseller-Attacke auf die Deutsche Bank gipfelten. Der unter Vorstandschef Christian Sewing komplett umgekrempelten und auf Profitabilität getrimmten Deutschen Bank haftet offensichtlich immer noch ihre längst abgestreift geglaubte Vergangenheit als Skandalnudel an. Dabei waren es vor allem die Großbanken wie die Deutsche Bank, die als die großen Gewinner der Zinswende galten.
Die Eruptionen im Bankensektor sind indes nur das jüngste Glied in einer ganzen Krisenkette, die sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie aufgereiht hat. Kaum hatte sich das wirtschaftliche und soziale Leben nach den Corona-Lockdowns halbwegs wieder normalisiert, überfiel im Februar vergangenen Jahres Kreml-Herrscher Wladimir Putin die Ukraine. Zuvor hatte schon die in der Pandemie aufgestaute Nachfrage, die auf extrem angespannte Lieferketten stieß, die von einigen Ökonomen voreilig totgesagte Inflation wieder auferstehen lassen. Mit dem Stopp der billigen russischen Gaslieferungen gingen dann auch noch die Energiepreise durch die Decke. Um der galoppierenden Inflation Einheit zu gebieten, sahen sich die anfangs viel zu zögerlichen Notenbanken genötigt, die Zinsen mit Siebenmeilenstiefeln zu erhöhen.
Bis ins dritte Quartal 2022 hinein gelang es vielen Unternehmen, die drastisch gestiegenen Kosten auf ihre Kunden überzuwälzen und sogar noch die Margen aufzubessern. Auch ansonsten ist Deutschland erstaunlich glimpflich durch den allerdings recht milden Winter gekommen. Das sollte zugleich die Widerstandskraft der Unternehmen gegen eine mögliche Rezession stärken.
Überraschend gut gehalten hat sich dabei die Börse, die seit dem Corona-Schock im Frühjahr 2020 einem Dauerstresstest ausgesetzt ist. Bislang konnte sich der Aktienmarkt von allen Schocks erstaunlich schnell wieder erholen. Offensichtlich ist trotz der restriktiven Geldpolitik der Notenbanken immer noch reichlich Überschussliquidität im Markt, die nach Anlagemöglichkeiten sucht. Zudem schütten die Konzerne nach den Corona-Magerjahren ein regelrechtes Füllhorn an Dividenden und Aktienrückkäufen aus. Die Börsen hängen dabei aber weiterhin fest an den Fäden der Geldpolitik. Die EZB und die US-Notenbank Fed haben auf ihren Sitzungen im März trotz des Bankenbebens ihre Leitzinsen abermals erhöht. Während sich die Fed mit einem kleinen Zinsschritt um 0,25 Prozentpunkte begnügte, wagte die EZB sogar nochmals eine Erhöhung um einen halben Prozentpunkt. Beide Zentralbanken verzichteten allerdings darauf, explizit weitere Zinsanhebungen in Aussicht zu stellen. Angesichts des unsicheren Umfelds halten sie sich aber alle Optionen offen. Die schwache Konjunktur und das Bankenbeben haben die Institute bei der Kreditvergabe vorsichtiger werden lassen. Damit nehmen die Geschäftsbanken den Notenbanken die Arbeit ab. Das hat insbesondere in den USA Spekulationen genährt, die Fed könnte den Zinsgipfel bereits erreicht haben.
Mit dem herannahenden Ende des Zinszyklus und einem Abebben der Bankenkrise werden sich auch die Perspektiven am Aktienmarkt wieder aufhellen. Manche Marktakteure spekulieren bereits darauf, dass die Leitzinsen schon in diesem Jahr wieder sinken könnten, um ein Abschmieren der Konjunktur in eine Rezession zu verhindern. Das könnte sich allerdings als verfrüht erweisen. 2024 stehen in den USA jedoch Präsidentschaftswahlen an. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden wird dann alle Hebel in Bewegung setzen, um die Konjunktur wieder anzukurbeln.
Die Vertrauenskrise im Bankensektor hat auch den Fluchtreflex ins Krisenmetall Gold ausgelöst. Das ließ den Goldpreis bis auf Sichtweite zu seinem Allzeithoch bei 2 075 US-Dollar je Feinunze vom September 2020 hochschnellen. Das glänzende Edelmetall ist seinem Ruf als Krisenversicherung damit wieder einmal gerecht geworden. Für eine Fortsetzung des Höhenflugs ist die Luft allerdings dünner geworden. Dennoch sollte Gold als Stabilitätsanker in keinem Anlagedepot fehlen.
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