Etwas nachhaltiger Bitte – Viel Wirrwarr um neue Pflicht in der Anlageberatung
Gastkommentar _ Nachhaltige Investments sind komplex und nicht immer leicht zu verstehen. Um so wichtiger ist gute ESG-Beratung. Im persönlichen Gespräch klären Berater zunächst, ob Kunden an nachhaltigen Finanzprodukten überhaupt interessiert sind und was für sie infrage kommt. Der Aufwand wird für alle Akteure größer, weil klare Vorgaben fehlen. Doch es gibt auch Chancen. Produktgeber und Berater sind unterschiedlich vorbereitet. Ein Wettbewerbsvorteil?!
Monatelang wurde diskutiert. Inzwischen ist es so weit: Seit dem 2. August 2022 müssen Anleger im Beratungsgespräch danach gefragt werden, welche Präferenzen sie in punkto Nachhaltigkeit bei der Produktauswahl besitzen. Das regelt die angepasste Finanzmarktrichtlinie Mifid II. Da private Altersvorsorge in der Regel mit einer Kapital-akkumulation verbunden ist, findet diese Vorschrift auch Eingang in die Altersvorsorgeberatung. Wenn in der Beratung ein Bedarf, zum Beispiel über eine Prognose der Alterseinkünfte festgestellt wird und sich daran die Suche nach geeigneten Altersvorsorgeprodukten anschließt, kommt der Berater nicht mehr umhin, auch nach den Erwartungen des Sparers beim Kriterium „Nachhaltigkeit“ zu fragen.
Die neue Vorschrift für die Berater geht auf die delegierte Verordnung zu Mifid II und auf Anpassungen der Versicherungsvertriebsrichtlinie zurück. Danach sollen insbesondere bei der Anlageberatung und Portfoliozusammenstellung im Rahmen der Geeignetheitsprüfung die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden ermittelt werden. Aber wie so oft bei der Gesetzgebung hierzulande wurde mal wieder etwas übersehen. In diesem Fall sind es die Finanzanlagenvermittler mit einer Zulassung nach § 34 f Gewerbeordnung.
Wer muss Nachhaltigkeitspräferenzen abfragen?
In den Wochen bis kurz vor dem 2. August war vielen in der Finanzbranche unklar, wer alles die Nachhaltigkeitspräferenzen tatsächlich abfragen muss. Um die Verwirrung aus der Welt zu schaffen, fragte der Votum Verband, in dem sich große Finanzvertriebe zusammengeschlossen haben, im Juni extra noch einmal beim verantwortlichen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nach. Ergebnis: Die „34f-ler“ sind durch den Rost gefallen. Nach Auskunft des Ministeriums sind sie weder nach direkt geltendem EU-Recht noch durch die Finanzanlagenvermittler-Verordnung verpflichtet, Kunden nach ihren Wünschen zur nachhaltigen Kapitalanlage zu befragen.
Durcheinander dank Fehler in der Gesetzgebung
Als „völlig absurde Situation“ bezeichnete Rechtsanwalt Norman Wirth, Vorstand des Bundesverbandes Finanzdienstleistungen AfW, diesen Zustand. Das ist er in der Tat. Ein 34d-Vermittler darf im Zuge der Altersvorsorgeberatung seinem Kunden eine fondsgebundene Rentenversicherung nur nach vorheriger Vermittlung der Nachhaltigkeitspräferenzen vorschlagen. Sitzt der gleiche Kunde aber bei einem Kollegen mit 34f-Zulassung, der die finanzielle Absicherung im Alter mittels eines Fondssparplans vorschlägt, braucht dieser sich um das Thema Nachhaltigkeit nicht zu scheren. Stammt ein Fondsportfolio für die Altersvorsorge allerdings aus der Dienstleistung eines Vermögensverwalters, der Kunden beim Aufbau von Altersvorsorgekapital unterstützt, dann ist die Präferenzabfrage wiederum erforderlich. Wer soll dieses Durcheinander noch verstehen?
Alle wissen, dass diese verworrene Situation durch einen Fehler in der Gesetzgebung entstanden ist. Eine schnelle Bereinigung ist allerdings nicht zu erwarten. Das verhinderte schon mal die parlamentarische Sommerpause. Der AfW rechnet daher erst zum Jahreswechsel mit einer Klarstellung. In der Zwischenzeit bleibt es bei Apellen an die Finanzanlagenvermittler, doch freiwillig die Abfrage zu machen, so wie auch die Banken, Berater unter einem Haftungsdach, Versicherungsvermittler und Vermögensverwalter. Die Finanzanlagenvermittler sollten es als Chance begreifen und sich so früh wie möglich auf den Weg machen, auch die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden zu ermitteln, erklärte Votum-Vorstand Martin Klein. Früher oder später werde die Pflicht sowieso kommen.
Klare Vorgaben fehlen
Die Unsicherheit, wie die Abfrage der Präferenzen zur Nachhaltigkeit erfolgen soll, wurde durch dieses Debakel noch einmal deutlich vergrößert. Ohnehin waren im Vorfeld viele irritiert, wie nun genau die Abfrage im Kundengespräch erfolgen soll. Eine klare gesetzliche Vorgabe dazu existiert nämlich auch nicht. So werkelten denn auch verschiedene Brancheninitiativen an Frageroutinen, die den Beratern an die Hand gegeben werden können. Reichlich zwei Wochen vor Inkrafttreten der neuen Regelung vermeldete zum Beispiel der DIN-Ausschuss „Finanzdienstleistungen für Privathaushalte“ nach einer mehrmonatigen Konsultationsphase die Fertigstellung eines „ESG-Moduls“. Es ging in die schon bestehende DIN-Norm 77230 „Basisfinanzanalyse für Privathaushalte“ ein, kann aber auch eigenständig zur Anwendung kommen. Dieses Modul soll Anlegern im Allgemeinen und Altersvorsorgesparern im Besonderen Schutz vor manipulativer Abfrage gewähren und sie in die Lage versetzen, sich weitgehend unbeeinflusst über ihre Erwartungen an nachhaltige Kapitalanlagen klar zu werden. Im Grunde besteht das Modul aus einem Fragebogen, der Berater und Kunden im Gespräch führt und zugleich der Dokumentation dient. Da es ein Konformitätssiegel des Defino-Instituts und einen rechtswissenschaftlichen Bestätigungsvermerk des Berliner Jura-Professors Hans-Peter Schwintowski trägt, dürften sich die Nutzer dieses Moduls einigermaßen auf der sicheren Seite wähnen. An eigenen Vorschlägen arbeitete auch der Arbeitskreis Beratungsprozesse, das German Sustainability Network und das Forum Nachhaltige Geldanlagen.
Einige Finanzmarktteilnehmer haben auf eigene Faust ein Regularium entwickelt. Zum Beispiel die GENEON Vermögensmanagement in Hamburg, ein Vermögensverwalter, der seine Portfolien schon immer an Nachhaltigkeitspräferenzen ausrichtet. So bestand nach den Worten von Andreas Enke von GENEON die Aufgabe vor allem darin, die bestehenden Konzepte einzelnen Kategorien zuzuordnen. In einer Anlage zum Analysebogen (WpHG-Bogen) werden dann für jene Kunden, die eine Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsanforderungen wünschen, die vier verschiedenen Kategorien vorgestellt und mit Beispielen für die einzelnen Nachhaltigkeitsziele illustriert. „Dazu erklären wir, welche Vermögensverwaltungsprogramme welchen Kategorien entsprechen. Anschließend sagt der Kunde, in welchem Umfang die jeweilige Kategorie in seiner Vermögensverwaltung berücksichtigt werden soll“, erläutert Enke.
Akteure unterschiedlich gut gerüstet
Das Beispiel GENEON zeigt zugleich, wie unterschiedlich die einzelnen Finanzmarktteilnehmer für die neue Aufgabe gerüstet sind. Dem gut vorbereiteten Hamburger Vermögensverwalter steht zum Beispiel die große Schar der Verkäufer von Versicherungsanlageprodukten gegenüber, für die bislang noch nicht einmal völlig klar ist, ob nur ungeförderte Lebens- und Rentenversicherungsprodukte aus der dritten Vorsorgeschicht unter die neue Regel fallen oder auch geförderte Verträge. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht tendiert zu einer engen Auslegung. Nicht wenige Versicherer hingegen beziehen von sich aus auch die Produkte aus der ersten und zweiten Vorsorgeschicht mit ein.
Problem auch beim Reporting
Andreas Görler, zertifizierter Fachmann für nachhaltige Investments und Senior Wealth Manager bei der – Wellinvest – Pruschke & Kalm GmbH in Berlin, sieht noch ein ganz anderes Problem, das bislang kaum in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielte: das Reporting für die Produkte und Portfolien. So gebe es zwar genügend ESG-Datenanbieter, die sich auch direkt mit vorhandenen Portfoliomanagementsystemen koppeln lassen, damit das gesamte Portfolio einen ESG-Score erhält. Für Vermögensverwalter sei aber nicht klar geregelt, ob zusätzlich zu jedem Bericht ein ESG-Report versendet werden muss. „Es ist unklar, wie dieser Report aufgebaut sein muss, ob alle Datenanbieter gleichberechtigt verwendet werden dürfen oder ob es ausreichend ist, alle eingesetzten, als nachhaltig klassifizierten Wertpapiere in einem Musterdepot zu screenen und auf Anfrage zur Verfügung zu stellen“, umreißt Görler eine Frage, die ihn umtreibt. Nach seiner Auffassung müsste Letzteres genügen.
Sicher sein kann er nach den vielen Wendungen und Wirrungen, die im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitspräferenz der Anleger in den zurückliegenden Monaten zutage traten, allerdings nicht sein. So hat zum Beispiel die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA noch im Juli dieses Jahres eine bemerkenswerte Kehrtwendung hingelegt. Nachdem im April ein Konsultationsprozess zu verbindlichen Leitlinien bei der Integration von Nachhaltigkeitspräferenzen angestoßen worden war, veröffentlichte die Behörde im Juli dann lediglich rechtlich unverbindliche Hinweise. Begründung: Es sei noch zu früh für eine verbindliche Leitlinie. So bleiben weiterhin eine Menge Unklarheiten bestehen.
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