Sinnvoller Kompetenzgewinn oder unnötige Detaillierung?

Die europäischen Wettbewerbsbehörden – gerade auch das Bundeskartellamt – wie auch renommierte Experten fordern seit geraumer Zeit eine Anpassung des deutschen Wettbewerbsrechts an die digitale Ökonomie, insbesondere der Vorschriften zur kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht. Sie wollen ein kartellrechtliches Schutzdefizit ausgemacht haben, das sich insbesondere bei digitalen Plattformen zeige.
Nachdem die 9. GWB-Novelle noch ganz im Zeichen der Europäischen Kartellschadensersatzrichtlinie stand – und es allenfalls homöopathische Änderungen im Bereich Digitalisierung gab – ist ein Referentenentwurf des federführenden Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) bekanntgeworden, der schwerpunktmäßig die Schaffung eines digitalen Ordnungsrahmens zum Ziel hat. Der Entwurf, der auch die europäische ECN+-Richtlinie umsetzen soll, dürfte in der Ressortabstimmung und im weiteren Gesetzgebungsverfahren, einschließlich Expertenanhörungen, noch Änderungen erfahren. Gleichwohl lohnt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ein Blick auf wesentliche Inhalte.
Herzstück der Novelle dürfte, jedenfalls mit Blick auf das erklärte Ziel, große Digitalkonzerne effektiver kartellrechtlich kontrollieren zu können, § 19a sein. Der Entwurf spricht von „Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“. Solchen Unternehmen soll das Bundeskartellamt zukünftig z. B. untersagen dürfen, mit Hilfe wettbewerbsrelevanter Daten Marktzutrittsschranken zu errichten oder die Portabilität von Daten zu erschweren. Man kann trefflich darüber streiten, ob eine solche Änderung des GWB überhaupt notwendig ist, zumal der Entwurf selbst die bisherigen Kompetenzen des Bundeskartellamts als „grundsätzlich gut funktionierendes System“ bezeichnet. In der Praxis dürfte die Vorschrift aber ohnehin kaum Anwendung finden: Das BMWi räumt ein, „dass die Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung nur für wenige Unternehmen getroffen werden kann“. Das Flaggschiff der Novelle könnte also Gefahr laufen, kaum zu Wasser gelassen zu werden.
Daten und deren Sammlung rücken in den Fokus
Auch an anderer Stelle des Entwurfs zeigt sich der Fokus auf die digitale Ökonomie im Allgemeinen und Daten im Besonderen: Der Zugang zu „wettbewerbsrelevanten Daten“ – seit der 9. GWB-Novelle ausdrückliches Marktmachtkriterium – soll zukünftig nicht nur für mehrseitige Plattformen, wie u. a. Amazon, ein Kriterium für Marktmacht sein, sondern ganz allgemein auch bei traditionellen Unternehmen. In den Kanon der Marktmachtkriterien soll zukünftig auch die so genannte Intermedia-tionsmacht zählen. Damit zielt die Vorschrift unmittelbar auf das Geschäftsmodell von Intermediären: der Sammlung, Aggregation und Auswertung von Daten zur Vermittlung von Angebot und Nachfrage zwischen verschiedenen Nutzergruppen. Hoch umstritten war bislang, ob es sich bei Daten um eine so genannte Essential Facility handelt, zu der – sofern der Inhaber marktmächtig ist – Dritte Zugang verlangen können. Schulbeispiel aus der analogen Welt war der Hafen als Essential Facility, zu dem der Hafenbetreiber gegebenenfalls Zugang zu verschaffen hatte. Der Entwurf sorgt nun für Klarheit und zählt auch Daten zu den Essential Facilities. Dieser Schritt ist jedoch nicht zweifelsfrei: Anders als klassische Essential Facilities sind Daten nicht endlich und damit beliebig reproduzierbar. Im Übrigen bleibt leider offen, wie in der Praxis eine ausreichend konkretisierte Einwilligung der betroffenen Verbraucher, um deren Daten es schlussendlich geht, aussehen soll, um eine rechtmäßige Weitergabe von Daten durch den Marktbeherrscher an den Zugangspetent zu ermöglichen. In der Begründung findet sich lediglich der Hinweis, keine zusätzliche Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne der DSGVO schaffen zu wollen.
Die Umsetzung der ECN+-Richtlinie
Die 10. GWB-Novelle dient auch der Umsetzung der europäischen ECN+-Richtlinie. Deren Ziel ist es, dass nationale Wettbewerbsbehörden stärkere Durchsetzungsbefugnisse zur effektiveren Aufdeckung und Ahndung von Verstößen gegen EU‑Wettbewerbsvorschriften erhalten (s. a. S. 6). Der Referentenentwurf sieht u. a. ein neues Ermittlungswerkzeug vor, das die Spielregeln bei Kartellverfahren neu definieren dürfte. Zukünftig dürfen die deutschen Kartellbehörden Auskunftsverlangen an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen richten. Es liegt auf der Hand, dass damit ein Spannungsfeld zwischen dieser Befugnis und dem „nemo tenetur“-Grundsatz entstehen dürfte. Das Bundeskartellamt wäre daher gut beraten, das Auskunftsverlangen mit Augenmaß zu nutzen.
Fazit
Der Referentenentwurf knüpft an die national wie international geführten Diskussionen über eine Anpassung des Kartellrechts an die Herausforderungen der digitalen Ökonomie an. Es lassen sich erste Grundzüge einer „digitalen Hausordnung“ erkennen. Im weiteren Verlauf der Ressort- und Gesetzesberatung wäre es wünschenswert, wenn noch stärker in den Blick rücken könnte, an welchen Stellen das Instrumentarium geschärft werden muss. Denn es gibt bereits ein gut funktionierendes System, das sich auch gut auf moderne Herausforderungen anwenden lässt. Wie immer sind eindeutige Grundregeln einem unklaren Nebeneinander verschiedener Kompetenzen vorzuziehen.
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