Gewinner und Verlierer des Brexit in der Wissenschaft

Der Zeitpunkt und die Bedingungen des Brexit bleiben vorerst ungeklärte Fragen, auch für Hochschulen und andere wissenschaftliche Einrichtungen. Bereits heute wirft der Brexit aber seinen Schatten voraus. Erste britische Hochschulen und Forschungsinstitute berichten davon, dass europäische Forscher zögern, eine Verpflichtung auf der Insel anzunehmen, und dass Hochschulen auf dem Festland existierende Kooperationen mit britischen Partnerinstituten beenden. Dennis Hillemann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, erläutert im Folgenden welchen Einfluß der Brexit auf wissenschaftliche Einrichtungen haben könnte.

Beschwichtigungen und Realitäten

Rund zehn Prozent der EU-Fördergelder für Forschung gehen nach Großbritannien. So manche britische Hochschule ist auf die Gelder angewiesen, um überhaupt Forschung betreiben zu können. Die Southampton Solent University hat beispielsweise in den letzten zehn Jahren über 90 Prozent ihrer Forschung mit Mitteln aus EU-Fonds finanziert. Es überrascht daher nicht, dass die Sorgen nach dem Referendum in der britischen Wissenschaft groß sind. Die britische Politik versucht die Hochschulleitungen zu beruhigen. Auch die EU-Kommission hat bereits betont, dass britische Hochschulen solange am EU-Förderprogramm „Horizont 2020“ gleichberechtigt beteiligt werden, wie das Vereinigte Königreich noch den Status eines Mitgliedstaats der Union genießt. Diese Gleichbehandlung gebieten bereits die europäischen Verträge – zum Ausdruck kommt das unter anderem in Artikel 140 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Rechtlich ändere sich also zunächst nichts, so die Kommission. Tatsächlich spürt die britische Wissenschaft schon jetzt negative Folgen. Erste britische Hochschulen und Forschungsinstitute berichten davon, dass europäische Forscher zögern, eine Verpflichtung auf der Insel anzunehmen, und dass Hochschulen auf dem Festland existierende Kooperationen mit britischen Partnerinstituten beenden. Schließlich kann etwa eine deutsche Hochschule nicht gegen ihren Willen gezwungen werden, eine auslaufende Kooperation fortzusetzen.

Freizügigkeit oder „Brain-Exit“?

Es gibt Brexit-Befürworter, die beschwichtigen: Wie Norwegen oder die Schweiz könnte auch die britische Forschung nach dem Austritt zukünftig am EU-Programm „Horizon 2020“ oder an einem Nachfolgeprogramm teilnehmen. Rechtlich ist diese Teilnahme aber an eine Bedingung geknüpft: Die Freizügigkeit für Forscher und das wissenschaftliche Personal innerhalb des Raums der teilnehmenden Länder. Viele Brexit-Anhänger zielten aber genau auf die Beseitigung einer solchen Freizügigkeit ab. Hoffnungen, die britischen Hochschulen könnten auch in Zukunft noch ein gleiches Niveau der Förderung von der EU erhalten, sind bestenfalls vage.

Vielmehr droht der „Brain-Exit“ für britische Hochschulen: Etwa 16 Prozent des akademischen Personals sind ausländische Staatsangehörige aus den EU-Mitgliedstaaten. Ihr zukünftiger Aufenthaltsstatus ist ungeklärt. Viele Stellen sind an EU-Fördergelder und Freizügigkeit geknüpft – fällt beides weg, können die Forscher nicht gehalten werden. Britische Hochschulen sind als Studienziel wegen ihres guten Rufs äußerst beliebt. Momentan studieren etwa 125 000 junge Menschen aus dem EU-Ausland an britischen Fakultäten, darunter mehr als 13 000 Studenten aus Deutschland (Stand 2012). Sie genießen die gleichen Privilegien wie britische Studierende. Dazu gehören gleiche Studiengebühren, erleichterter Zugang zu Studienkrediten sowie die Niederlassungsfreiheit (Diskriminierungsverbot aus Art. 18 Abs. 1 AEUV). Nach dem Brexit müssten deutsche Studenten nach derzeitigem Stand Studiengebühren in derselben Höhe wie etwa chinesische Studenten zahlen. Schlägt für Deutsche ein betriebswirtschaftliches Studium zurzeit in England mit rund 10 500 Euro pro Jahr zu Buche, so könnten die Kosten nach dem Brexit auf mehr als das Doppelte explodieren.

In Anbetracht dieser hohen Studiengebühren wird vielen Studenten ein Studium an britischen Hochschulen nur dann möglich sein, wenn sie einen Studienkredit aufnehmen können. Aber auch hier wird das EU-Diskriminierungsverbot nicht mehr greifen – und ob die Briten nach dem Brexit deutschen Studenten die gleichen Kreditrahmen wie Einheimischen gewähren würden, ist erheblich zu bezweifeln. Hinzu tritt die Unsicherheit des „Wertes“ eines britischen Abschlusses. Derzeit erfolgt die gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen – und hierzu gehören auch akademische Abschlüsse – innerhalb der EU auf Grund der Berufsanerkennungsrichtlinie (RL 2005/36/EG). Die Bindungswirkung dieser Richtlinie entfällt mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU. Deutschland wird voraussichtlich die britischen Abschlüsse auch nach dem Brexit anerkennen. Ob das gleiche auch für Frankreich oder Rumänien gelten wird, ist sehr fraglich.

Deutsche Hochschulen als Gewinner?

Die Teilnahme Großbritanniens am Wissenschafts- und Bildungsmarkt der EU wird maßgeblich davon abhängen, ob Großbritannien die Freizügigkeit von Studenten und Forschern weiter sichert. Sollte dies nicht der Fall sein, werden britische Hochschulen zu den großen Verlierern des Brexit zählen. Die deutschen Hochschulen hingegen könnten zu den Gewinnern zählen: keine oder niedrige Studiengebühren, Freizügigkeit und Anerkennung von Abschlüssen nach EU-Recht, eine wachsende Zahl englischsprachiger Studiengänge – und für Forscher auch die Chance, weiter von den EU-Töpfen zu profitieren.

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