Gastbeitrag

EU bringt geplante Sammelklage auf die Zielgerade

Matthias Schweiger
Matthias Schweiger © Hogan Lovells

Das Jahr 2020 könnte weitere Neuerungen beim Thema „Sammelklage“ bringen. Während sich das deutsche Konstrukt, die Musterfeststellungsklage, noch ihren Platz in der Prozesspraxis sucht, bereitet man andernorts bereits den nächsten Schritt vor. Die Einführung von Verbandsklagen mit kollektiver Wirkung per EU-Richtlinie könnte schon in wenigen Jahren die Musterfeststellungsklage in bestimmten Anwendungsbereichen obsolet werden lassen, meint Matthias Schweiger, Partner bei Hogan Lovells.

Grundsätzlich stimmen EU-Kommission, EU-Parlament und Rat bereits darin überein, die Klage per Richtlinie einzuführen. Offene Detailfragen müssen indes noch zwischen Parlament und Rat abgestimmt werden. Das Ergebnis ist in der ersten Jahreshälfte, möglicherweise bereits im ersten Quartal 2020 zu erwarten. Sollte die Richtlinie verabschiedet werden, müssen die Mitgliedstaaten die neue Klage binnen einer noch abzustimmenden Frist einführen und innerhalb einer weiteren Übergangsfrist deren Anwendung ermöglichen. Diskutiert werden derzeit Höchstfristen zwischen 24 und 42 Monaten bis zur verpflichtenden Anwendbarkeit, wobei die Mitgliedstaaten aber auch schneller handeln können.

In der Zwischenzeit bleibt die Musterfeststellungsklage als deutsche Antwort auf den Wunsch nach Sammelklagen bestehen, möglicherweise mit Nachjustierung seitens des Gesetzgebers. Das kollektive Verfahren in Form der Musterfeststellungsklage gilt einigen als angemessene Antwort auf diesen Wunsch, ohne zu einem System der so genannten Class Actions nach US-Vorbild überzugehen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass auch das derzeitige System mit erheblichen Belastungen für betroffene Unternehmen einhergeht und letztendlich durch organisatorische Probleme und die nachgeschaltete Leistungsphase auch keine wirkliche Entlastung mit sich zu bringen scheint.

EU-Pläne gehen deutlich weiter

Deutsche Oberlandesgerichte haben seit Einführung der Musterfeststellungsklage im November 2018 bislang sechs Verfahren öffentlich bekannt gemacht. Andere Musterfeststellungsklagen scheiterten bereits an dieser ersten Hürde. Die Themen umfassen neben der bekannten „Dieselklage“ u. a. Widerrufsfristen bei Kfz-Finanzierungsverträgen, Modernisierungs-/Instandsetzungsankündigungen im Mietrecht oder Zinsanpassungsregelungen. Grundsätzlich kommen Elemente zivilrechtlicher Ansprüche zwischen Verbrauchern und Unternehmen als Gegenstand in Betracht. Der Kreis der angemeldeten Verbraucher reicht von wenigen Hundert bis zu mehreren Hunderttausend. Die Ziele der Musterfeststellungsklage sind allerdings auf die Feststellung rechtlicher oder tatsächlicher Voraussetzungen für solche Ansprüche beschränkt. Aus diesem Grund könnte die Lebenszeit der Klage durch die Pläne auf EU-Ebene begrenzt sein. Denn die Pläne für die Verbandsklage im kollektiven Interesse der Verbraucher gehen darüber hinaus und könnten eine europäische Class Action etablieren.

Bereits 2013 hatte die Kommission Empfehlungen an die Mitgliedstaaten zu kollektiven Klagen herausgegeben. Über den Umweg einer Modernisierung der Unterlassungsklagenrichtlinie hat sie 2018 schließlich die Initiative ergriffen, um die Einführung kollektiver Klagemöglichkeiten EU-weit durchzusetzen. Das Grundkonzept der EU-Verbandsklage bildet die Fortentwicklung der bestehenden Möglichkeiten nach der Unterlassungsklagenrichtlinie hin zu einer Klage, die Unterlassungsverfügungen und so genannte Abhilfebeschlüsse ermöglichen soll. Die Rechtsschutzziele der EU-Verbandsklage sind eine Besonderheit gegenüber der bisherigen deutschen Rechtslage. Mittels Abhilfebeschlüssen könnten Kompensationsleistungen zugunsten der an sich nicht am Verfahren beteiligten Verbraucher zugesprochen werden. Strafschadensersatz als Klageziel soll jedoch ausgeschlossen sein. Daneben ist das Verfahren mit hoher Publizität und Veröffentlichungspflichten für die betroffenen Unternehmen verbunden. Ähnlich wie bei der Musterfeststellungsklage sollen auch bei der EU-Verbandsklage nur besondere qualifizierte Einrichtungen Klage erheben können. Je nach Status können sie auf Ebene der Mitgliedstaaten oder grenzüberschreitend tätig werden. Gegenstand der Klagen können Verstöße gegen EU-Verbraucherrecht und nationale Vorschriften dazu sein. Erfasst sind auch Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung (Data Class Action).

Fazit

Wie schon bei der Musterfeststellungsklage wird auch bei der EU-Verbandsklage das Missbrauchsrisiko diskutiert – Stichwort Klageindustrie. Letztere ist indes bereits lange entstanden. Die Annahme, dass Verfahren mit solch breiter Wirkung nicht die Interessen der Klageindustrie und der Kapitalgeber wecken, scheint illusorisch. Die EU-Verbandsklage wird mit Risiken für Unternehmen einhergehen. Zu beobachten sind neben den Abhilfebeschlüssen u. a. die geplanten Regelungen zu umfangreichen Informationspflichten. Auch prozessuale Fragen wie die grenzüberschreitende Wirkung von Entscheidungen oder die Offenlegung von Beweismitteln sind hier zu nennen. Nicht nur Belange des Verbraucherrechts, sondern auch die berechtigten Belange betroffener Unternehmer müssen dabei in Einklang gebracht werden. Der Trend zu kollektiven Verfahren mit hoher Publizität hält somit an, mit Aussicht auf EU-weite Auswirkungen durch grenzüberschreitende Klagemöglichkeiten.

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