Insolvenz – Fehlerquelle Massenentlassungsanzeige
Gerät der Arbeitgeber in die Insolvenz, entscheidet sich der Insolvenzverwalter häufig zur Kündigung einzelner oder sämtlicher Arbeitnehmer. Dabei hat er jedoch einige Hürden zu meistern. Sonst drohen weitreichende Konsequenzen bis hin zur Unwirksamkeit sämtlicher ausgesprochener Kündigungen. Das zeigen zwei aktuelle Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. und 27.2.20. Ein Überblick von Daniel Hammes, Arbeitsrechtler bei FPS Rechtsanwälte.
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers hat auf die Wirksamkeit der einzelnen Arbeitsverhältnisse zunächst keinen Einfluss. Möchte sich der Insolvenzverwalter von einzelnen oder sämtlichen Arbeitnehmern trennen, bedarf es daher einer Kündigung. Die Anforderungen an eine solche Kündigung sind im Wesentlichen dieselben, wie bei einer Kündigung außerhalb der Insolvenz. Es gelten nur wenige insolvenzrechtliche Besonderheiten. Diese bestehen vor allem darin, dass eine ordentliche Kündigung auch bei befristeten oder solchen Arbeitsverhältnissen zulässig ist, bei denen die ordentliche Kündigung eigentlich kraft Vereinbarung ausgeschlossen ist. Zudem beträgt die Kündigungsfrist maximal drei Monate zum Monatsende, wenn nicht ohnehin eine kürzere Kündigungsfrist greift.
Voraussetzungen betriebsbedingter Kündigungen
Wenn es sich nicht um einen Kleinbetrieb (d. h. zehn oder weniger Mitarbeiter) handelt, setzt eine wirksame Kündigung insbesondere das Vorliegen eines Kündigungsgrundes voraus. Entgegen eines weitverbreiteten Irrglaubens stellt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst keinen Kündigungsgrund dar. In der Regel wird die Insolvenz aber auf Umständen beruhen, die einer Fortführung des betroffenen Unternehmens gänzlich oder zumindest in der bisherigen Form entgegenstehen. Reagiert der Insolvenzverwalter also etwa auf Auftragsmängel oder Umsatzrückgang mit einer Betriebsstilllegung oder Umstrukturierungsmaßnahmen, stellt dies einen betriebsbedingten Kündigungsgrund dar.
Soll nur einzelnen Mitarbeitern gekündigt werden, muss vor Ausspruch der Kündigung zudem eine Sozialauswahl durchgeführt werden. Auf deren Basis darf dann nur denjenigen Arbeitnehmern gekündigt werden, die die Kündigung am wenigsten hart treffen. Übersteigt die Anzahl der gekündigten Arbeitnehmer einen bestimmten Schwellenwert, muss vor Ausspruch der Kündigung zudem eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige bei der örtlichen Agentur für Arbeit eingehen (§ 17 KSchG). Zuständig ist die Behörde, in deren Bezirk der von der Massenentlassung betroffene Betrieb liegt.
Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht ließ nun in gleich zwei aufeinanderfolgenden Entscheidungen die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung an dieser Voraussetzung scheitern. Die Massenentlassungsanzeige war, so das BAG, bei der falschen Behörde erfolgt und zudem inhaltlich unzureichend gewesen. Die Konsequenz: Sämtliche angezeigten Kündigungen sind unwirksam. Die beiden Verfahren (Az.: 6 AZR 146/19; Az.: 8 AZR 215/19) hatten die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung von zwei Piloten der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin zum Gegenstand. Air Berlin unterhielt in Deutschland so genannte „Stationen“, denen Personal der Bereiche Boden, Kabine und Cockpit zugeordnet waren. Die beiden an den Verfahren beteiligten Piloten waren in Köln bzw. Düsseldorf stationiert. Sie wären daher arbeitsrechtlich den dortigen Betrieben zuzuordnen.
Auf tarifvertraglicher Grundlage wurden jedoch Arbeitnehmervertretungen jeweils getrennt für das Boden-, Kabinen- und Cockpitpersonal organisiert. Die Arbeitnehmervertretung für das Cockpitpersonal befand sich am Sitz der Air Berlin, so dass alle Piloten bundesweit diesem „Betrieb Cockpit“ in Berlin zugeordnet waren. Dieser betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung folgend, wurde die Massenentlassung ausschließlich für das Cockpitpersonal bei der Agentur für Arbeit Berlin-Nord angezeigt. Ein verhängnisvoller Fehler, wie das BAG nun entschieden hat. Die Anzeige hätte bei der Agentur für Arbeit in Düsseldorf bzw. Köln erfolgen müssen. Zudem hätte sie sich nicht auf Angaben zum Cockpitpersonal beschränken dürfen, sondern auch Angaben zum Boden- und Kabinenpersonal in Köln bzw. Düsseldorf enthalten müssen.
Eine tarifvertraglich gestaltete Betriebsstruktur sowie der Sitz der Arbeitnehmervertretung sind für die Massenentlassungsanzeige damit unbedeutend. Dies folge laut BAG aus unterschiedlichen gesetzlichen Regelungszwecken: § 117 BetrVG lasse eine einheitliche betriebliche Organisation der Piloten aus Praktikabilitätsgründen sowie deshalb zu, weil wegen der nicht ortsgebundenen Tätigkeit Schwierigkeiten bei der Bildung betrieblicher Vertretungen bestehen. Die Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG diene demgegenüber dem Zweck, die staatliche Arbeitsverwaltung auf eine plötzlich auftretende Belastung des Arbeitsmarktes mit einer größeren Anzahl von Arbeitslosen vorzubereiten. Deshalb müsse die Massenentlassungsanzeige dort erfolgen, wo die Auswirkungen der Massenentlassung eintreten. Dies sei hier, ungeachtet der betrieblichen Organisation, am jeweiligen Stationsort, also Köln bzw. Düsseldorf gewesen.
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