Forensiker ermitteln rechtssichere Daten
Bis zu zwei Milliarden Euro Schaden entsteht jährlich im Umfeld von Unternehmensinsolvenzen, schätzt das Bundeskriminalamt. Mit Delikten wie Vermögensverschiebungen, Bilanzmanipulation und Steuerhinterziehung wird die Masse geplündert. Forensiker können für Insolvenzverwalter und die als Gläubiger betroffenen Banken und Lieferanten Aufklärung schaffen. Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Christian Parsow und der Experte für Wirtschaftskriminalität Mirco Vedder von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ebner Stolz erklären, wie sie für ihre Auftraggeber an rechtssichere Daten zur späteren Verfolgung von Ansprüchen gelangen.
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Im Vorfeld einer Insolvenz kommt es immer wieder vor, dass betroffene Unternehmer und Geschäftsleiter Teile des Vermögens der Gläubigergemeinschaft entziehen. Es werden etwa Gesellschafterdarlehen zurückgezahlt, aber auch das Vorratsvermögen manipuliert oder die Tilgung von Darlehen verbundener Unternehmen verschleiert. Wenn das Vorratsvermögen an unterschiedlichen Lagerorten vorhanden ist, Bestände manuell gebucht werden und die Dokumentation dieser unvollständig ist, könnte dies auf unzulässige Vermögensverschiebungen hindeuten. Forensische Experten können dabei unterstützen, solche rechtswidrigen Transaktionen nachzuweisen. Sie sind darauf spezialisiert, aus der Analyse von Buchhaltungsdaten, geschäftlicher Unterlagen, Mails und sonstigen Kommunikationsdaten ein umfassendes Bild der Unternehmenstransaktionen im Vorfeld des Antrags zu zeichnen und vermögensschädigende Handlungen herauszufiltern.
Die Tricks der Plünderer
Auftraggeber können Insolvenzverwalter, gegebenenfalls auch initiiert aus der Gläubigerschaft, sein, die auf diese Art und Weise zügig einen Überblick gewinnen wollen, ob im Vorfeld des Insolvenzantrages alles mit rechten Dingen zugegangen und die Masse vollständig vorhanden ist. Denkbar sind dabei Straftaten wie das Verschieben von Vermögen, Geldtransfers zu nahestehenden Personen im In- und Ausland, das Bevorzugen von Gläubigern, fingierte Beraterverträge, Kreditbetrug bis hin zum Verschleiern von Schulden und damit Insolvenzverschleppung. Geschäfts- und Buchungsunterlagen werden gefälscht oder gleich bei Seite geschafft und Bilanzen manipuliert. Die Unternehmensleitung entzieht der Masse Gelder und schädigt so das Heer der Gläubiger. Die entzogenen Vermögenswerte können im Rahmen eines Insolvenzverfahrens mit dem Mittel der Anfechtung wieder zur Masse gezogen werden. Das Bundeskriminalamt, das kriminelle Handlungen im Umfeld von Insolvenzen analysiert, hat Schäden von 1,93 Mrd. Euro etwa in 2014 und 1,48 Mrd. Euro in 2015 erfasst, geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus.
Der forensische Vorgang Schritt für Schritt
Um illegale Transaktionen etwa mit verbundenen Unternehmen aufdecken zu können, zeigt die Forensik in einem ersten Schritt ein Beziehungsgeflecht der Gesellschafter und Geschäftsführer samt nahestehenden Personen und deren finanziellen Beteiligungen und Besitz im In- und Ausland auf. Nach dieser Hintergrundrecherche wird in Interviews mit den beteiligten Personen und im Rahmen der Analyse von Daten, insbesondere Mails, nach auffälligen Sachverhalten gesucht. So wird dann auch klar, dass die drei Monate zurückliegende Überweisung an die Firma in Italien eigentlich an einen Angehörigen des Geschäftsführers ging.
Um der schieren Masse an Daten bei einer solchen Suche Herr zu werden, filtern und selektieren die Forensiker über mehrere Ebenen. Bei Mails werden so etwa in einem ersten Schritt alle Doppelungen eliminiert und dadurch die Zahl der relevanten Nachrichten auf rund die Hälfte reduziert. Ein weiterer Filter, der nach einem bestimmten Zeitraum und Absendern oder Empfängern sucht, reduziert die Mailmasse weiter auf rund 3% der ursprünglichen Zahl. Schließlich folgt eine Schlagwortsuche. Danach verbleiben von den einst 1 456 788 Mails – so ein reales Beispiel aus dem Forensik-Alltag – noch rund 1% bzw. 11 000 Mails, die manuell gesichtet werden müssen.
Ohne eindeutige Beweismittelkette geht nichts
Das Finden eines Hinweises genügt indes noch nicht. Der elektronische Hinweis muss auch rechtssicher dokumentiert sein. Hierfür muss die IT-Forensik eine eindeutige „Beweismittelkette“ aufbauen. Diese fängt mit dem Fotografieren sämtlicher zur Verfügung gestellten Datenträger und einer 1:1-Kopie aller Daten an. Üblicherweise übergibt der Insolvenzverwalter den Forensikern zu diesem Zweck alle Festplatten, aber auch Notebooks und firmeneigene Smartphones zur Auswertung.
Wenn eine Verfehlung auf diesem Wege festgestellt ist, kann die daraus resultierende Vermögensverschiebung auf Basis der Insolvenzordnung angefochten werden. Die Anspruchsrealisierung hat gute Aussicht auf Erfolg – vorausgesetzt die Vermögensverschiebung erfolgte innerhalb der Frist der einschlägigen Anfechtungsnorm. Je nach Anspruchsgrundlage gelten unterschiedliche Fristen. Diese reichen von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung für eine inkongruente Befriedigung – etwa wenn Waren als Substitut für den eigentlich geschuldeten Geldbetrag im Rahmen eines Dienstvertrages übereignet werden – über die Frist von vier Jahren bei einer Schenkung bis hin zu einer Anfechtungsfrist von zehn Jahren bei vorsätzlicher Benachteiligung der Gläubigergemeinschaft.
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