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Nach BGH-Urteilen – Im Internet gibt es kein absolutes „Recht auf Vergessenwerden“

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 27.7.20 in zwei Fällen entschieden, dass es im Internet kein so genanntes absolutes Recht auf Vergessenwerden gibt und Suchmaschinen nicht in jedem Fall verpflichtet sind, negative Einträge zu löschen.

Zum einen verwarfen die BGH-Richter die Revision des Geschäftsführers eines Wohlfahrtsverbandes, der von einer Internetsuchmaschine verlangt hatte, es zu unterlassen, bei einer Suche nach seinem Namen bestimmte Medienberichte aus dem Jahr 2011 in der Ergebnisliste nachzuweisen. Die regionale Tagespresse hatte seinerzeit unter Nennung des vollen Namens des Geschäftsführers berichtet, dass er sich krankgemeldet hatte, kurz bevor dieser Wohlfahrtsverband ein finanzielles Defizit von knapp einer Million Euro auswies.

„Zwar räumt die EU-Datenschutzgrundverordnung in Art. 17 allen EU-Bürgern das Recht auf Löschung ihrer Daten ein“, so Johannes Kreile, Partner bei der Kanzlei Noerr und Mitglied der dortigen Praxisgruppe Digital Business. „Dieses Recht auf Vergessenwerden gilt aber nicht uneingeschränkt.“ Im Fall des Geschäftsführers des Wohlfahrtsverbandes hätten die Karlsruher Richter festgestellt, dass die Schutzinteressen des Betroffenen keinen grundsätzlichen Vorrang genießen, sondern stets eine ergebnisoffene Einzelfallprüfung vorzunehmen sei. Das Recht des Suchmaschinenbetreibers auf freie Meinungsäußerung und Information bewerteten die Richter im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung höher als das Recht des Geschäftsführers auf Vergessenwerden, auch wenn seitdem fast zehn Jahre vergangen sind. „Damit hat der BGH in diesem Fall für Rechtssicherheit gesorgt“, so Kreile.

Das andere Verfahren hat der BGH zur Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergeleitet. In dem Verfahren ging es um Behauptungen eines US-Unternehmens. Das hatte sich im Jahr 2015 in mehreren Berichten kritisch über die Anlagepolitik eines Verantwortlichen geäußert, der für mehrere Finanzdienstleister tätig war. Außerdem wurden der Verantwortliche und seine Lebensgefährtin, die in einer der Gesellschaften als Prokuristin tätig war, in einem Bericht mit Foto abgebildet. Über das Geschäftsmodell des US-Unternehmens wurde seinerseits kritisch berichtet, u. a. mit dem Vorwurf, es versuche, Unternehmen zu erpressen, indem es zunächst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein „Schutzgeld“ die Berichte zu löschen bzw. die negative Berichterstattung zu verhindern. Der Betreiber der Suchmaschine lehnte eine Löschung der Berichte über den verantwortlichen Finanzmanager mit dem Hinweis ab, die Wahrheit der in den verlinkten Inhalten aufgestellten Behauptungen nicht beurteilen zu können.

„Nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung war zu erwarten, dass der Bundesgerichtshof den Europäischen Gerichtshof vorab anrufen würde“, so Medienrechtler Kreile weiter. „Die EU-Richter müssen die Frage beantworten, inwieweit es im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, wenn sich Betroffene gegen Webseiten, die ihrer Ansicht nach falsche und unzutreffende Berichte im Internet verbreiten, künftig z. B. durch eine einstweilige Verfügung wehren und damit die für den Suchmaschinenbetreiber wesentliche Wahrheitsfrage zumindest vorläufig klären können.“ Außerdem solle der EuGH die Frage klären, inwieweit bei Löschungsbegehren gegenüber Ergebnissen einer Bildersuche der Kontext der ursprünglichen Veröffentlichung in die Abwägung miteinzubeziehen ist, auch wenn dieser bei Anzeige eines Vorschaubildes für den Betrachter nicht ersichtlich ist.

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