Brexit – Geschäftsbeziehungen auf dem Prüfstand
Derzeit verhandeln die EU und Großbritannien über die Folgen des Austritts aus der Europäischen Union. Dabei geht es nicht nur um politische, sondern vor allem um bedeutsame wirtschaftliche Fragen. Obwohl es wahrscheinlich eine zweijährige Übergangsphase geben wird, bevor neue Regelungen angewandt werden, müssen Unternehmer bereits jetzt alles daran setzen, die Folgen des britischen Austritts aus der EU abzumildern. Dies bedeutet, Geschäftsbeziehungen zu britischen Firmen und Kunden zu durchleuchten sowie Investitionen im Vereinigten Königreich auf den Prüfstand zu stellen, meint Rainer Bierwagen, Partner im Brüsseler Büro von Beiten Burkhardt.
Die Bandbreite der Risiken ist vielschichtig und kann je nach Art der Tätigkeit von reinen Handelsgeschäften über die grenzüberschreitende Dienstleistung bis hin zur Niederlassung gering bis sehr groß sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann man davon ausgehen, dass das Vereinigte Königreich zu einem Drittland wie beispielsweise Indien wird. Gemeinsame Produktregeln, freier Warenaustausch, freier Verkehr zwischen den Ländern für Personen, Unternehmen und Kapital wird es (so) nicht mehr geben. Drei Bereiche sind für Unternehmen nun von besonderer Bedeutung: Erstens die Verantwortlichkeit für die durch den Brexit herbeigeführten Risiken, zweitens die Frage der Rechtswahl nach dem Austritt und schließlich die Wahl des zuständigen Gerichtes im Streitfall.
Verantwortlichkeit für die herbeigeführten Risiken
Da der Austritt in der Zukunft liegt, werden die bis zu diesem Zeitpunkt erfüllten Verträge seltener zu Problemen Anlass geben. Längerfristige Verträge bzw. Verträge, die nach dem Austritt zu erfüllen sind, müssen jedoch auf die Verteilung der Risiken und Verantwortlichkeiten untersucht und gegebenenfalls angepasst werden. Es geht um Kosten für Verzögerungen, zusätzliche Leistungen, weitere Genehmigungen sowie die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung.
Zumindest in der Anfangszeit nach dem Austritt ist mit Verzögerungen zu rechnen, etwa durch zusätzliche Kontrollen an der Grenze oder die Einholung weiterer Genehmigungen. Einige Zeit nach dem Austritt werden die Anforderungen an Produkte in Großbritannien und der EU divergieren. In wessen Verantwortlichkeit sollen die Folgen fallen? Sind diese Fragen bereits im Vertrag geregelt? Falls der Vertrag eine Anpassungsklausel enthält, muss geprüft werden, ob diese auch auf die Folgen des Austritts angewendet werden kann.
Manche Juristen raten dazu, eine „Brexit-Klausel“ oder eine „Material Adverse Change“-Schutzklausel in Verträge einzufügen; dies beugt künftigen Streitigkeiten aber nur vor, wenn die Risiken möglichst präzise angesprochen werden und deren Verteilung geregelt wird. Denn eine reine Vertragsanpassungsklausel sagt noch nichts darüber aus, wer zusätzliche Kosten übernehmen und weitere Schritte unternehmen soll. So werden z. B. zusätzliche Zölle oder Kosten für die zumindest zeitweise zu entrichtende Mehrwertsteuer bzw. Einfuhrumsatzsteuer anfallen. Personalkosten entstehen für die Erledigung zusätzlicher Aufgaben. Dies gilt auch für die Gewährung außerordentlicher Kündigungsrechte in derartigen Klauseln, denn sie können sich einseitig auswirken und daher die Risiken unangemessen verteilen.
Die gesetzlichen Regelungen bieten nur in einigen wenigen Fällen eine Lösung der von Großbritannien und nicht von den Parteien herbeigeführten Probleme. Nur in Ausnahmefällen kommt ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nach deutschem Recht bzw. im Common Law nach dem Grundsatz der „frustration“ infrage. Oder eine rechtliche Unmöglichkeit, wenn beispielsweise nach dem Austritt wichtige Genehmigungen für die Vertragspartner nicht mehr eingeholt werden können, da sich die gesetzliche Lage geändert hat. Dabei lohnt sich eine Auflistung der rechtlichen Erfordernisse, die die Vertragspartner derzeit erfüllen müssen und eine Untersuchung, ob diese zukünftig geändert werden können.
Schließlich sollten deutsche Lieferanten vertragliche Gebietsbegrenzungen, die bisher die Europäische Union umfassten, dahingehend überprüfen, ob das Gebiet des Vereinig-ten Königreichs auch nach dem Austritt vom Vertrag erfasst wird, und in diesem Fall, ob das sinnvoll ist. Ähnliche Fragen stellen sich für alle Schutzrechte.
Rechtswahl nach dem Austritt
Die Frage der Rechtswahl wird allzu häufig nicht gestellt oder falsch beantwortet, etwa beim Kauf beweglicher Güter. Dabei ist die Rechtswahl besonders wichtig für die Einschätzung und Abgrenzung der Risiken sowie die Begrenzung der Kosten im Streitfall. Aus deutscher Sicht ist es vorzugswürdig, entweder deutsches Recht oder bei Kaufverträgen UN-Kaufrecht zu vereinbaren. Dies erleichtert den Zugang zum Recht und dessen Verständnis. Es vermeidet aber auch die Einbeziehung englischer Anwälte mit hohen Honorarforderungen.
Gerichtliche Zuständigkeit
Auch über die künftige gerichtliche Zuständigkeit im Falle von Streitigkeiten sollte man sich immer Gedanken machen, gegebenenfalls längerfristige Verträge anpassen und künftige Verträge entsprechend verhandeln. Die Parteien können weitgehend die Zuständigkeit von (Schieds-)Gerichten bestimmen, soweit nicht Verbraucher und Arbeitnehmer betroffen sind. Gerichte auf dem Kontinent werden im Vergleich zu Großbritannien den Vorteil niedrigerer Kosten und der leichteren Vollstreckung in den verbleibenden EU-Ländern haben.
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