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ESG, Zinsen, Covenants – Kreditgeber ziehen die Schrauben an

Die Zeiten, als der Finanzsektor das Thema Nachhaltigkeit bei der Kreditvergabe ausblenden oder als PR-Gedöns abtun konnte, sind längst vorbei. Wo die Debatte aktuell steht, zeigen die Wortmeldungen von Andrea Enria und Frank Elderson: Fast im Wochentakt drohen die beiden obersten EZB-Bankenaufseher mit härteren Kapitalanforderungen und/oder Strafgeldern wegen Klimarisiken, die in den Bilanzen einiger Großbanken ungenügend abgebildet seien. Für Unternehmensfinanzierungen bedeutet das je nach Sektor zusätzliche Hürden, zumal die Konditionen auch generell strenger geworden sind.

Das „E“ in ESG ist dabei wohl der Aspekt, zu dem bereits die ausgefeiltesten Regeln und Definitionen vorliegen – aber keineswegs der einzige. Auch ohne soziale und Governance-Themen kommt kaum noch ein Kreditgeber-Fragenkatalog aus. „Es gibt praktisch keine Finanzierung mehr, bei der die Banken nicht auf ESG-Kriterien achten würden“, sagt Helge Kortz, Bank- und Finanzrechtler bei Gleiss Lutz. Womit viele Unternehmen nicht sehr glücklich sind. Zu viele unterschiedliche Abfragen ähnlicher, aber eben nicht ganz vergleichbarer Daten durch die verschiedenen Banken bei Konsortialkrediten, zu geringe inhaltliche Überschneidungen, zu viel Mehrfacharbeit. Daran konnten auch die Standard-Fragebögen, die manche Bankenverbände gerade mit Blick auf Mittelstandsfinanzierungen herausgegeben haben, noch nicht viel ändern. Von den Schwierigkeiten, die viele Firmen – und keineswegs nur KMUs – mit der Erfassung und Aufbereitung der relevanten Daten haben, ganz zu schweigen.

Was die Ziele und Mechaniken der ESG-Komponenten in Kreditverträgen angeht, sieht es schon besser aus. Diese seien „inzwischen recht ausgereift und teils sehr detailliert“, erklärt Johannes Tieves, Finanzierungspartner bei Hengeler Mueller. Einen gewissen Branchenstandard prägt zum einen die britische Loan Market Association (LMA), die längst eigene Muster und Richtlinien herausgegeben hat. Zum anderen sorgen die Institute selbst dafür, dass die eingesammelten Daten Substanz haben. „Die meisten Banken haben eigene Teams von Fachleuten aufgebaut, die sehr genau einschätzen können, ob die vereinbarten ESG-Ziele nicht nur ein Feigenblatt sind, sondern einen echten Fortschritt bringen. Darauf legen Banken mittlerweile großen Wert“, meint Tieves.

KPIs sind Trumpf

Nachhaltigkeitskomponenten in Darlehensverträgen betreffen meist eine Anpassung der Kreditmarge entsprechend messbaren Fortschritten bei bestimmten ESG-Kriterien. Dafür werden Kennzahlen, sog. Key Performance Indicators (KPIs) definiert, etwa der CO2-Ausstoß von Produktionsanlagen, der Renewables-Anteil am Energieverbrauch, die Diversität der Mitarbeiterschaft oder die Häufigkeit von Arbeitsunfällen. „Schon heute gibt es teils sehr ausgefeilte Raster mit mehreren Kennzahlen“, berichtet Gleiss Lutz-Partner Kortz.

Der noch vor ein bis zwei Jahren recht verbreitete Bezug auf externe ESG-Ratings findet heute seltener Anwendung. Zu wenig vergleichbar, zu unzuverlässig, teils auch schlicht widersprüchlich seien die Ergebnisse, zu denen die diversen Anbieter hier kämen, heißt es. Zunehmend verbreitet, berichten manche, seien hingegen sogenannte Sprech- oder „Rendezvous“-Klauseln, die als Platzhalter dienen und auf genauere Absprachen zu einem späteren Termin verweisen. Oft sei nicht einmal festgelegt, worüber genau man sprechen wolle.

„Rendezvous-Klauseln werden vereinbart, wenn der Kreditnehmer beim Thema ESG noch nicht so weit ist, wie er sein sollte oder gerne wäre“, erklärt Kortz. Aus Sicht der finanzierenden Banken seien Nachhaltigkeitsthemen durch diese Klauseln immerhin fest im Kreditvertrag verankert, so dass Kreditnehmer und Banken in jedem Fall in dem vorgesehenen Zeitrahmen zu dem Thema noch einmal sprechen müssten.

Die Wirkung auch der ausgefeiltesten KPI-Raster hält sich freilich in Grenzen, wenn Fortschritte oder Rückstände keine spürbaren Konsequenzen haben. Genau hier dürfte die größte Diskrepanz zwischen erklärtem Ziel und faktischer Wirkung der derzeit üblichen Regelungen liegen. „Die drastischste Folge der Non-Compliance bei ESG-Kriterien ist bisher ein Margen-Bonus oder -Malus von wenigen Basispunkten“, sagt Tieves. „Über Kündigungsmöglichkeiten bei Verstößen wird bisher zwar diskutiert, in der Praxis angekommen sind diese Sanktionen aber noch nicht.“ Die ESG-Aspekte als reine Dekoration zu betrachten, weil sie nur geringe materielle Konsequenzen nach sich ziehen, wäre trotzdem der falsche Schluss. Schließlich ist der Horizont bei jedem Kredit die Refinanzierung, meint Kortz. „Wer Nachhaltigkeitsthemen heute bewusst aus dem Weg geht, programmiert damit Schwierigkeiten vor, die er in ein paar Jahren haben wird.“

Zweigeteilter Markt

Wobei manche Unternehmen heute schon größere Schwierigkeiten bei der Suche nach frischem Fremdkapital haben als noch vor einem Jahr. Die Banken seien grundsätzlich offen für Neugeschäft, beobachtet Kortz, dabei komme es allerdings mehr denn je auf Bonität und Risiko an. „Die Banken unterscheiden strenger zwischen guten und schlechten Kreditrisiken“, präzisiert Tieves. Wer bereits stark fremdfinanziert sei, habe es damit per se schwerer. „Auch Debt Funds sind spürbar selektiver geworden.“

Damit korrigieren die Kreditgeber auch die eher nachgiebige Gangart, die in den Niedrigzins-Jahren weit verbreitet war. In dieser Phase wurden oft „sehr ‚weiche‘ Covenants vereinbart, so dass die Banken erst sehr spät reagieren können“, erläutert Tieves‘ Hengeler-Kollege Nikolaus Vieten. Covenants sind finanzielle oder nichtfinanzielle Auflagen für den Kreditnehmer, etwa zum Verschuldungsgrad gemessen am EBITDA, zur Eigenkapitalquote oder zu Informationspflichten. Dazu, so Vieten, habe man häufig großzügige operative Ausnahmen von Ge- und Verboten gewährt.

Inzwischen gibt es eine deutliche Zweiteilung. Unternehmen mit guter Bonität bekommen in den Kreditvereinbarungen weiterhin viele unternehmerische Freiheiten eingeräumt, berichtet Oliver Sutter, Leiter der deutschen Banking-Praxis bei Norton Rose Fulbright; „zum Beispiel große Baskets, stichtagsbezogene statt laufende Covenants, wenige Auflagen bei anorganischem Wachstum, Yank-the-Bank-Regelungen oder Equity-Cure-Optionen.“ Baskets bezeichnen feste Summen für bestimmte Zwecke, die etwa von dem Verbot zusätzlicher Neuverschuldung ausgenommen sind. „Yank the bank“ steht für die Möglichkeit, einzelne Kreditgeber aus dem Konsortium zu entlassen, ohne die komplette Finanzierung wieder aufzuschnüren. Bei einer „equity cure“ dürfen die Eigner eines fremdfinanzierten Unternehmens Eigenkapital nachschießen und einen Covenant-Bruch dadurch nachträglich heilen.

Anders sieht es für Unternehmen aus, die in puncto Risikoprofil nicht ganz so gut dastehen. „Für Kreditnehmer im schwächeren Investment-Grade oder Cross-over-Bereich war die Tür jahrelang weit offen. Hier sehen wir jetzt ein deutliches Anziehen der Kreditkonditionen“, so Sutter. Dies betreffe nicht nur ein schlechteres Pricing, sondern auch eine deutliche Verschärfung der sonstigen Kreditkonditionen, die engere Leitplanken für unternehmerische Entscheidungen setzen, denen die Banken vorher nicht zustimmen müssen.

Flexiblere Debt Funds

Kommt ein Unternehmen dann in Schwierigkeiten und müssen Kreditkonditionen gelockert werden, tun sich manche Kreditgeber mit der Anpassung leichter als andere. Während Banken bei allzu großen Änderungen schon die Regulatorik im Weg steht, können Debt Funds flexibler agieren, auch weil sie sich meistens nicht mit anderen Kreditgebern im Konsortium abstimmen müssen, sondern allein über ihre „Unitranche“-Finanzierung selbst entscheiden können. Mit Covenant Amendments, etwa höherer Leverage gegen entsprechende Margenanpassung, tun sich die Kreditfonds leichter als Banken, sieht Hengeler-Partner Vieten. „Gelegentlich sieht man sogar Zinssenkungen für bestehende Finanzierungen, wenn die Eigentümer in nennenswertem Umfang frisches Kapital nachschießen.“

Wer rechtzeitig nachverhandelt hat, als die Zinsen noch niedrig waren, ist als Kreditnehmer nun in einer eher komfortablen Situation – jedenfalls bis die nächste Umschuldung ansteht. Manche Kreditnehmer unterschätzten, wie eng der Markt geworden sei, warnt Kortz. „Wer an die nächste Refinanzierung so herangeht wie vor der Zinswende und sich darauf verlässt, dass es bei den angestammten Banken mit etwas höheren Margen schon klappen wird, vertut sich unter Umständen gewaltig.“ Nicht von ungefähr haben in jüngster Zeit spezialisierte Debt Advisors Konjunktur. Je enger der Markt, desto mehr dürfte sich gute Vorbereitung lohnen. np

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