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Klimaklagen – Wann kommt die Flut?

Ziemlich genau 2.000 Klagen mit Bezug zum Klimawandel gab es bisher weltweit, die ersten aus dem Jahr 1986, die meisten – rund 500 – aus den vergangenen zwei Jahren. Zwar spielt sich der Großteil der Fälle, die die Forscher der London School of Economics und der Columbia Law School für die 2022er-Ausgabe ihrer jährlichen Studie zu globalen Klimaklagen-Trends gezählt haben, in den USA ab. Doch auch in Europa und in Deutschland laufen immer mehr solcher Verfahren.

Dabei nehmen Kläger wie die NGOs Client Earth oder Deutsche Umwelthilfe (DUH) keineswegs nur staatliche Stellen ins Visier, sondern immer öfter auch Unternehmen. Wie der Streit der niederländischen NGO Milieudefensie/Friends of the Earth gegen Shell ausgeht, ist noch unklar; der Ölkonzern, von einem Den Haager Gericht zu massiven CO2-Reduktionen im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen verurteilt, ging in Berufung.

Deutsche Unternehmen am Pranger

Die Signalwirkung des Shell-Urteils war indes beachtlich, auch wenn die niederländischen Richter traditionell mehr Gewicht auf das Völkerrecht legen als etwa deutsche Gerichte. Die vom Shell-Fall inspirierten Versuche von Greenpeace und DUH, Ähnliches gegen BMW, Mercedes-Benz, VW und Wintershall Dea durchzusetzen, sind an diversen deutschen Landgerichten sicher keine Selbstläufer; in Stuttgart wurden die Kläger im vergangenen Herbst bereits abgeschmettert. Die NGOs dürften aber ohnehin vor allem auf einen langen und publikumswirksamen Weg durch die Instanzen zählen.

Am OLG Hamm streiten sich unterdessen Saúl Luciano Lliuya, ein Landwirt aus Peru, und RWE darum, ob der deutsche Energieriese für die Folgeschäden des Klimawandels auf einem anderen Kontinent bezahlen muss. Das Bemerkenswerteste an diesem Fall ist, dass es ihn überhaupt gibt. Denn anders als die Vorinstanz ließ das Oberlandesgericht die Klage des Bauern, der von der NGO Germanwatch unterstützt wird, zu und begann sogar mit der Beweisaufnahme. „Klar ist: Unternehmen können sich heute nicht mehr darauf verlassen, dass Klimaklagen unter Verweis auf die Gewaltenteilung schnell abgewiesen werden“, sagt Johanna Weißbach, Partnerin bei Pinsent Masons

Zunächst relevanter: Schadenersatzklagen

Mehr als auf die NGO-Klagen, die auf künftige Verhaltensänderungen von Unternehmen abzielen, schauen viele Praktiker heute aber schon auf Schadenersatzklagen. Was direkt Geld kostet, könnte das künftige Verhalten der Wirtschaft stärker prägen als neue Grenzwerte für die Zukunft. Kürzer und weniger wacklig ist der Weg hin zu derartigen Forderungen allemal, wie die Experten unterstreichen. „Juristisch würde man mit derartigen Klagen nicht unbedingt Neuland betreten. Dabei kann es zum Beispiel schlicht um Täuschung, Betrug oder Untreue gehen, wie schon in verschiedenen Skandalen der vergangenen Jahre vom Compliance-Fall Siemens über den Dieselskandal bei Volkswagen bis hin zum Greenwashing-Verdacht gegen DWS“, erklärt Markus Rieder, Prozessspezialist bei Gibson Dunn & Crutcher.

Entscheidend ist, ob sich diese Fälle mit einem Sachverhalt ausfüllen lassen, der die deutschen Substantiierungsmaßstäbe erfüllt. NGOs und auch Prozessfinanzierer, die eine Beteiligung an den massenhaften Schadenersatzzahlungen für Kunden oder Anleger im Auge haben, stehen schon bereit.

Investoren in den Startlöchern

Für Investoren, die mit größeren Anteilspaketen auf Hauptversammlungen auftreten, bieten sich noch ganz andere Möglichkeiten, die „strategisch interessant sein können, etwa Sonderprüfungen zur Geschäftsführung“, meint Philipp Hardung von der Prozesskanzlei Hausfeld. Für Schadenersatzforderungen bei Greenwashing durch börsennotierte Unternehmen oder Emittenten von Finanzprodukten stünden schließlich praxiserprobte Instrumente zur Verfügung, von der Prospekthaftung bis zur Marktmissbrauchsverordnung.

„Die Frage ist nicht ob, sondern wann wir vermehrt Investorenklagen wegen Greenwashing in Europa sehen werden“, prophezeit Julia Grothaus, Prozessführungs-Partnerin bei Linklaters. Dazu könnte demnächst auch die zunehmende Flut von Nachhaltigkeitsinformationen beitragen, die Unternehmen an die Öffentlichkeit geben, ob freiwillig oder gesetzlich verpflichtet wie durch die kommenden Berichtspflichten nach der europäischen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). „Die CSRD ist Fluch und Segen zugleich“, meint Grothaus. Zwar ist die Standardisierung von Nachhaltigkeitsinformationen grundsätzlich im Interesse aller Marktteilnehmer. Die neuen Berichtspflichten sind allerdings sehr umfangreich und teils noch gar nicht genau ausdefiniert, teils passen sie auch nicht zu den bisher verwendeten Methodiken. „Bis hier Konsistenz und Verlässlichkeit hergestellt sind, wird es eine Weile dauern. Für Unternehmen sind damit natürlich Risiken verbunden“, so Grothaus.

Erster Schritt: Bestandsaufnahme

Um sich dagegen zu wappnen, schlägt die Anwältin zunächst eine Bestandsaufnahme vor. „Was wurde bisher berichtet bzw. verlautet? Was war die Basis für einen bestimmten Nachhaltigkeits-Claim?“ Und nach vorne gerichtet: „Was kann, muss, will man künftig offenlegen? Wie kann ich dies belegen?“ All diese Überlegungen, so Grothaus, sollten die Betroffenen sorgfältig dokumentieren.

Auch wenn es um die noch vagen, weiter entfernten Risiken von Klimaklagen auf internationaler Bühne geht, sieht Pinsent Masons-Partnerin Weißbach die Bestandsaufnahme als logischen ersten Schritt. „Argumente und Strategien der Kläger und Aktivisten sind extrem unterschiedlich, die Sicht der Justiz je nach Staat und Gericht ebenfalls. Umfassendes, detailliertes Monitoring der internationalen Rechtsprechung und Regulierung ist darum das Gebot der Stunde.“

Eine neue Front entsteht unterdessen dort, wo Privatpersonen Forderungen aus Greenwashing-artigen Aussagen ableiten könnten. Die Verbindung zum Kaufrecht, gibt Gibson Dunn-Partner Rieder zu bedenken, dürfte bald spannend werden. Seit 2022 könnten sich Konsumenten „nicht nur auf konkrete Zusicherungen zu den Produkteigenschaften, sondern gegebenenfalls auch auf bestimmte ‚öffentliche Äußerungen‘ des Verkäufers oder Herstellers berufen“. Sollten die Gerichte darunter auch Nachhaltigkeitsthemen fassen, könnten allzu vollmundige Versprechen, etwa zur CO2-Kompensation, für manche Unternehmen bald teuer werden. np

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