Arbeitsrecht

Internal Investigation – Hexenjagd im 21. Jahrhundert

Thomas Hey
Thomas Hey © Bird & Bird LLP

Unternehmen und ihre Arbeitnehmer müssen geltendes Recht selbstverständlich einhalten. Wenn der Verdacht eines Rechtsbruchs besteht, muss diesem Verdacht nachgegangen werden. Dabei sind verschiedene Interessen so zu berücksichtigen, dass die richtige Balance geschaffen wird zwischen „zu viel Porzellan zerschlagen“ und zu wenig Hilfe für potenzielle Opfer. Die Frage ist folglich, wann und wie muss gehandelt werden, wenn interne Untersuchungen angezeigt sind.

Beispiele

Stellen Sie sich vor, Sie sind Geschäftsführer eines Unternehmens. An Sie wird herangetragen, dass ein Betriebsleiter sehr lange Gespräche mit jungen, meist attraktiven Arbeitnehmerinnen führt. Mit männlichen Arbeitnehmern sowie älteren Arbeitnehmerinnen fallen Gespräche deutlich kürzer aus. Wenn Sie sich jetzt zu aggressiven Nachforschungen gegen den Betriebsleiter entscheiden, zerstören Sie unter Umständen dessen Ehe, Karriere und weitere Teile seines Lebens, obwohl sich der Verdacht gegen ihn möglicherweise letztlich nicht erhärtet und tatsächlich nur Gespräche stattfinden. Gleichzeitig müssen Sie die jungen Arbeitnehmerinnen vor potenziellen Übergriffen schützen.

Ein anderes Szenario: In Ihrem Unternehmen verbreitet sich das Gerücht, dass ein gerade von Ihnen aufgekauftes IT-Startup gegen ein Software-Embargo verstößt. Einerseits müssen Sie diesem Verdacht nachgehen, auch um den Rest des Unternehmens zu schützen. Anderseits ist das Startup – und damit auch Ihr Unternehmen - möglicherweise verbrannt, selbst wenn sich die Vorwürfe als falsch herausstellen.

Als Unternehmen in solchen Fällen die richtigen Entscheidungen zu treffen und interessengerechte Maßnahmen einzuleiten, kann sich als sehr schwierig gestalten.

 

Rechtliche Beurteilung

Grundsätzlich sind Unternehmen weder verpflichtet, sich selbst anzuzeigen, noch mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Dies bedeutet aber nicht, dass bei internen Unregelmäßigkeiten keine Aufklärung veranlasst werden muss bzw. entsprechende Untersuchungen durchzuführen sind. Die Verpflichtung zum Tätigwerden, also das „ob“, wird aus der Leistungsverantwortung sowie den Sorgfaltspflichten gegenüber der Allgemeinheit abgeleitet und trifft – je nach Gesellschaftsform – den Vorstand, den Aufsichtsrat, die Gesellschafter oder den/die Geschäftsführer. Für das „wie“ des Tätigwerdens gilt hingegen keine allgemeingültige Verpflichtung. Vielmehr ergeben sich mögliche Handlungspflichten aus einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls und des Unternehmens. Daneben handelt gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG ordnungswidrig, wer „[…] Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist […]“. Daraus folgt die Pflicht zum Tätigwerden; der Umfang der Pflicht wird jedoch nicht bestimmt.

 

Bei Internal Investigations – mit dem Ziel sexuelle Belästigungen aufzudecken – kommt zusätzlich die Pflicht des Arbeitgebers, seine Arbeitnehmer vor sexueller Belästigung zu schützen aus § 12 AGG hinzu. Auch § 12 Abs. 1 AGG schreibt lediglich die Pflicht zum Tätigwerden vor. Das „Wie“ definiert das Gesetz wiederum nicht. Gleichzeitig trifft den Arbeitgeber jedoch auch eine Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber dem beschuldigten Arbeitnehmer. Werden Maßnahmen getroffen, die gegenüber dem Beschuldigten unverhältnismäßig sind, hat dieser aus § 15 AGG einen Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens.

 

Rechtspolitische Beurteilung

Dass Whistleblower geschützt werden müssen, steht außer Frage. Allerdings ist die Situation bei nur vermeintlichen Whistleblowern nicht so eindeutig. Der Vorwurf einer sexuellen Belästigung hat schon so einige Karrieren gekostet. Wird ein solcher Vorwurf bewusst wahrheitswidrig - beispielsweise kurz vor einer wichtigen Personalentscheidung - bekannt, so ist nicht das Opfer der erfundenen Belästigung schützenswert, sondern vielmehr das Opfer der falschen Beschuldigung. Menschen, die solche falschen Beschuldigungen zu ihren Gunsten nutzen, machen nicht nur tatsächliche Opfer verächtlich, sondern nehmen auch die Zerstörung eines anderen Lebens bewusst in Kauf. In § 164 StGB ist die „Falsche Verdächtigung“ unter Strafe gestellt. Ein vergleichbarer Tatbestand ist im Rahmen von Internal Investigation erforderlich. Den richtigen Rahmen hierfür zu schaffen, stellt den Gesetzgeber vor eine große Herausforderung. Einerseits sollen Opfer nicht gehindert werden, von ihren Erfahrungen zu berichten. Andererseits sollen bewusste Falschaussagen nicht ohne Konsequenzen bleiben.

 

Handlungsmaßstab

Die Intensität, der Inhalt und Umfang der Internal Investigation hat sich nach der Schwere, dem Inhalt und Umfang der vermuteten Rechtsverletzung zu richten. Es sollte also nicht mit „Kanonen auf Spatzen geschossen werden“. Dieser grundsätzliche Maßstab ist bei den Maßnahmen zur Aufdeckung von Straftaten zu beachten. Auf der einen Seite muss beispielsweise berücksichtigt werden, dass Mitarbeiterbefragungen zu bestimmten Vorwürfen für das Unternehmen sehr ergiebig sein können, auf der anderen Seite für den verdächtigten Arbeitnehmer äußerst belastend sind. Auch muss die Internal Investigation im rechtlich zulässigen Bereich ablaufen. Als zulässig betrachtet werden beispielsweise die Durchsuchung des Arbeitsplatzes, die Einsichtnahme in die Personalakte sowie die Sichtung von nicht-privater Korrespondenz, Unterlagen und Akten. Unter Umständen muss der Betriebsrat bei bestimmten Maßnahmen einbezogen werden. Weiterhin sind diverse Vorschriften zu berücksichtigen, beispielsweise die DSGVO oder das TKG. Empfohlen wird zudem, dem Befragten einen (Rechts-)Beistand zur Seite zu Stellen.

 

Vorgehen und Handlungsempfehlungen

  • Erfassen des an Sie herangetragenen Sachverhalts
  • Feststellung von möglichen Handlungspflichten
  • Prüfung von Art, Umfang und Intensität des Vorwurfs
  • Ermitteln der beteiligten Personen
  • Erkennen der beeinträchtigten Interessen
  • Unter Umständen Heranziehung von externen Beratern bzw. Rechtsanwälten
  • Abwägung der beeinträchtigten Interessen
  • Sammeln von erfolgsversprechenden Maßnahmen
  • Ranking der Eingriffsintensität der Maßnahme
  • Erforschung des Sachverhalts

 

Fazit

Fakt ist: Wird ein Vorwurf gegen einen Arbeitnehmer laut, muss das Unternehmen handeln. Für das richtige Maß für Umfang und Intensität des Aktivwerdens gibt es keine pauschale Antwort. Die wichtigste – und anspruchsvollste – Aufgabe in diesem Zusammenhang ist, alle relevanten Interessen gleichermaßen zu berücksichtigen und den Compliance-Maßstab und die daran anknüpfenden Maßnahmen an die jeweilige Situation anzupassen. Wie so oft ist ein genaues Augenmaß für diese Abwägung maßgeblich.

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