Keine Jeans im Dienst, keine Krawatte auf der Hängematte!

Früher lebte der Anwalt, oder der Arzt, seinen Beruf. Er war auch außerhalb von Büro, Gericht oder Praxis immer Anwalt oder Arzt, machte im Sportverein, beim Stammtisch oder im Kirchenchor Werbung für sein Geschäft bzw. gab Freunden und Vereinskolleginnen oder -kollegen Rat. Das echte Privatleben fand höchstens in den eigenen vier Wänden oder im Urlaub statt, idealerweise außerhalb der Gemeinde oder Region, in der der Arzt oder Anwalt tätig war - denn es konnte durchaus passieren, dass am Sonntagmorgen zum Frühstück im Garten ein Patient aufkreuzte, der grade Schmerzen hatte oder dessen Verband nicht ordentlich saß.
„Blurring“ nennt sich die Vermischung von Arbeit und Privatem. Was von einigen durchaus als Chance für ein positiveres und effizienteres Arbeiten aufgefasst wird, kann für andere einen weiteren Stressfaktor darstellen. Früher waren hiervon nur sehr wenige Berufe und Personen betroffen. Es handelte sich bei diesen Personen vorwiegend um selbständig Tätige, die Einkommen und Leben grundsätzlich selbst bestimmen konnten. Zusätzlich konnten sie als Vorgesetzte bzw. Eigentümer ihrer Arztpraxis oder ihres Anwaltsbüros die Rahmenbedingungen eigenverantwortlich festsetzen. Nun gibt es aber andere Menschen - z.B. „normale“ Arbeitnehmer -, die identifizieren sich so mit ihrem Betrieb oder Arbeitsplatz, dass sie nicht mehr zwischen privat und dienstlich unterscheiden. Das kann dazu führen, dass sie ganz selbstverständlich täglich, auch am Samstag und Sonntag, ins Büro gehen. Dies kann wiederrum darauf hinauslaufen, dass sie häufig mit ganz positiven Absichten Berufliches und Privates vermengen. Dabei reden sie sich oftmals selbst ein – leider auch fälschlicherweise -, dass dies alles zum Vorteil des Betriebes geschieht.
Das Gefühl für das, was ausschließlich private Information darstellt und was im dienstlichen Bereich angemessen ist, darf nicht verloren gehen. Eine starre Trennung beider Bereiche ist immer weniger möglich - es sollte jedoch genau darüber nachgedacht werden, wie man nun Privates und Dienstliches mischt.
Freundschaftlicher Umgang oder starre Seriosität?
Privat mag jeder mit Freunden und Familie kommunizieren wie er will. Auch auf kollegialer Ebene innerhalb eines Betriebes kann sich mitunter ein lockerer Umgangston etablieren – abhängig davon, mit wem man schreibt und wie gut man sich kennt. Genauso werden sich die Meisten bewusst sein, dass bei einem externen Geschäftspartner ein entsprechend formeller Umgangston angebracht sein dürfte.
Doch durch die zunehmende Vermischung des Arbeitslebens mit der Privatsphäre wie zum Beispiel durch Mobile Working, Arbeiten von zu Hause, aus dem Urlaub, aus dem Café oder ähnlichen Orten, kommt es immer stärker zu einer Verwebung beider Sphären. Hinzu kommt, dass ein halb privater, halb dienstlicher Bereich dadurch entsteht, dass viele Unternehmen die Verbindung ihrer Beschäftigten über Plattformen wie Facebook, LinkedIn, Xing und Ähnliches nicht nur ausdrücklich wünschen, sondern sogar fördern, wenn nicht teilweise sogar vorgeben. Hierbei gehen aber häufig fatalerweise Folgen der Trennschärfe verloren. Nicht zuletzt durch WhatsApp, SMS und die starken angloamerikanischen medialen Einflüsse, sind formelle Anreden weitgehend einem formlosen und beliebigen „Hallo“ oder „Hi“ gewichen. Sehr beliebt ist auch, einfach den Vornamen „Thomas“ zu verwenden, auch wenn kein persönlicher Kontakt zum Empfänger besteht. Schlimmer ist noch, dass der deutsche Ausdruck, Kommasetzung und Rechtschreibung zunehmend weniger beachtet werden. Hinzu kommt die Autokorrektur, die Worte häufig in einen völlig falschen Wortsinn verändert. Präzise, genaue und vor allem empfängerorientierte Formulierungen bleiben auf der Strecke. Mit dem Verwischen dieser Grenzen geht schließlich auch das Bewusstsein für das, was eigentlich privat ist und privat bleiben sollte, und das was dienstlich ist und dienstlich bleiben sollte, verloren. Kann der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern vorschreiben, wie sie untereinander zu kommunizieren haben und dies kontrollieren?
Grundsätzlich sind Vorgaben für und eine Überwachung des dienstlichen E-Mailverkehrs möglich. Für solche Maßnahmen gibt es genaue Richtlinien. Vorgaben müssen deshalb Bezug haben; Kontrollen müssen konkret und anlassbezogen sein. Vorher müssen die betroffenen Angestellten von der Möglichkeit einer Überwachung informiert sein, und zwar was Zeitrahmen, Art und Ausmaß angeht. Die Privatsphäre der Mitarbeiter muss dabei so weit wie möglich respektiert werden. Für eine langfristige Überwachung von Gesprächsinhalten müssen schwerwiegende Gründe vorliegen. Bei der einfachen Kommunikation zwischen Mitarbeitern untereinander dürfte dies abzulehnen sein – regelmäßig beeinflussen diese nicht deren Arbeitsweise, sodass der Arbeitgeber hieran auch kein berechtigtes Interesse haben dürfte. Anders sieht es aus, wenn ein nicht unbeachtlicher Teil der Arbeitszeit für private Gespräche genutzt wird und die eigene Produktivität eingeschränkt wird. Dabei würde allerdings kaum der Umgangston produktivitätsmindernd wirken, sondern vielmehr die rege Kommunikation an sich.
Es stellt sich außerdem die Frage, ob ein lockerer Umgang unter Mitarbeitern zu einer angenehmeren Arbeitsatmosphäre beiträgt oder Gegenteiliges bewirkt. Als Vorbild betrachten insbesondere viele junge Unternehmen und Startups den Umgangston, wie er in den USA vorgelebt wird, bei dem Anreden mit Vornamen und Nichtnennung etwaiger Doktortitel als Norm gelten - Arbeitnehmer und Chef sind sich „per Du“, am Kaffeeautomaten redet man über Themen wie Familie und Freizeit und nach der Arbeit trifft man sich noch mit dem kompletten Team auf ein Feierabendbier oder mehr. Ein derart lockerer Umgang kann zu einer Verbesserung der Arbeitsatmosphäre beitragen und für eine motivierte Stimmung sorgen. Es ist verständlich, dass sich viele Arbeitnehmer wünschen, an ihrem Arbeitsplatz eine Art zweite Familie vorzufinden, der sie alles anvertrauen können.
Dennoch muss man sich bewusst werden, dass eine vermeintlich lockere Arbeitsatmosphäre auch Schattenseiten hat. Flache Hierarchien bedeuten schließlich nicht, dass sie gänzlich wegfallen. Sie sind noch immer vorhanden, unter Umständen nur undurchsichtiger und schwer einzuschätzen. Dies kann zu erheblichen Unsicherheiten im Umgang miteinander führen. Zwar klingt ein freundschaftlicher Umgang der Arbeitskollegen untereinander zunächst wünschenswert, doch auch hier verbergen sich gewisse Gefahren. Nicht immer sind private Gespräche untereinander freundlich und herzlich. Ein Gespräch unter Arbeitskollegen kann schnell in eine Lästerei über andere Kollegen ausarten. Je nach Tratschfreudigkeit des Gesprächspartners bleiben private Themen plötzlich nicht mehr ganz so privat. Sollten im Rahmen eines feierabendlichen Umtrunks pikante Informationen preisgegeben werden, die die persönliche Schamgrenze im Nachhinein doch übersteigt, kann dies schnell von den eigenen Kollegen gegen einen verwendet werden, sollte man sich einmal unbeliebt machen. Dann liegt plötzlich Mobbing oder sexuelle Belästigung als Vorwurf in der Luft. Man befindet sich schnell in einer Zwickmühle: Ist man zu sehr auf die Arbeit fixiert und schottet sich von jeglichen sozialen Kontakten auf der Arbeit ab, macht man sich bei seinen Arbeitskollegen unbeliebt und riskiert, zu einem schlechten Betriebsklima beizutragen. Fixiert man sich dagegen zu sehr auf den sozialen Aspekt, besteht die Gefahr, dass die eigene Effizienz nachlässt, was zu schlechten Karriereaussichten führen kann.
Mit T-Shirt und Flip-Flops zur Arbeit?
Eine ähnlich immer lockerer werdende Einstellung lässt sich auch in Bezug auf die Bürokleidung feststellen. Dadurch, dass die Krawatte im Büro immer mehr zur Mangelware wird, und man im Home Office und Co-Working-Space ohnehin nur Jeans trägt, setzt sich in den Köpfen vieler Menschen der Gedanke fest, man könne dies im Büro dann auch tun. Schlabberlook und Flip Flops sind sowieso bequemer als Budapester und gebügelte Hosen und Hemden, also wird hier einfach vermischt. Bekleidung wird mehr und mehr egalisiert. Dennoch bestimmt unsere Kleidung noch immer, wie wir von der Außenwelt wahrgenommen werden und wie wir unseren Betrieb mitsamt Kollegen wertschätzen. Hierbei gilt, dass ein professionelles Auftreten mit einer gewissen Seriosität verbunden wird. Bereits auf dem Weg zur Arbeit werden wir von unseren Mitmenschen wahrgenommen und erfüllen eine repräsentative Funktion. Sobald wir das Bürogebäude oder den Betrieb betreten oder den Aufzug sichtbar auf einer bestimmten Etage verlassen, werden wir von Außenstehenden mit einem bestimmten Unternehmen assoziiert. Unsere Bürokollegen sehen, dass wir uns mit unserem Auftreten Mühe geben und dadurch auch ihnen gegenüber Respekt zeigen.
Zwar gibt kaum Unternehmen mit starrem Dresscode, dennoch sind fast alle Unternehmen an einem angemessenen Auftritt ihrer Beschäftigten interessiert. Der Arbeitnehmer wiederum möchte seine Persönlichkeit frei entfalten und dies durch das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken ausdrücken. Hierbei entsteht der Konflikt zwischen den Interessen des Arbeitgebers und dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Das Stichwort heißt hier „gegenseitige Rücksichtnahme und Würdigung“. Der Arbeitgeber sollte seinen Arbeitnehmern einen gewissen Grad an freier Entfaltung einräumen. Gleichzeit hat der Arbeitnehmer darauf zu achten, sich dem Unternehmen und der Situation angemessen zu kleiden.
Richtlinien aus der Rechtsprechung
Die Rechtsprechung hat dazu Folgendes festgelegt: Strikte Vorgaben bezüglich der Arbeitskleidung von Seiten des Arbeitgebers sind laut Bundesarbeitsgericht nur dann gerechtfertigt, wenn ein berechtigtes und überwiegendes betriebliches Interesse besteht. So kann von einem Arbeitnehmer durchaus verlangt werden, dass er branchenübliche Kleidung trägt, wie beispielsweise der weiße Kittel beim Arzt oder die Uniform beim Piloten. Hierfür bedarf es keiner ausdrücklichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, weil den Mitarbeiter diesbezüglich eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht trifft. Zu den Nebenpflichten eines Arbeitnehmers gehört auch die Loyalitätspflicht, das heißt er ist verpflichtet, die Interessen seines Arbeitgebers zu wahren – und der Arbeitgeber hat ein berechtigtes Interesse daran, dass sich die äußere Erscheinung eines Arbeitnehmers in das betriebliche Umfeld einfügt. Ansonsten kann der Arbeitgeber einen Dresscode nur vorgeben, wenn davon auszugehen ist, dass seine Kunden ein gewisses Auftreten erwarten. Dem Arbeitnehmer muss dabei jedoch immer noch Raum für Individualismus gelassen werden. Der Arbeitgeber kann die Kleiderordnung im Unternehmen beispielsweise als „Business Casual“ festsetzen, nicht jedoch bestimmen, ob eine Frau eine Hose oder ein Kostüm tragen muss.
Außerhalb seiner Arbeitszeit treffen den Arbeitnehmer grundsätzlich keine Kleidungsvorschriften. Eine gewisse Vorsicht ist jedoch immer dann geboten, wenn Außenstehende den Mitarbeiter durch seine Kleidung als zu einem bestimmten Unternehmen zugehörig identifizieren, wie durch das Tragen von Oberteilen mit dem Namen des Unternehmens als Aufdruck. Was hierbei als angemessen gilt, ist stark einzelfallabhängig. Der Arbeitnehmer muss sich fragen „Wie wird das Unternehmen durch mein Auftreten von der Außenwelt wahrgenommen? Wie nehmen meine Kollegen mich wahr?“. So wird es sicherlich nicht schaden, wenn man bei einem abendlichen Besuch im Fitnessstudio ein Oberteil mit dem Namen des Unternehmens trägt. Anders sieht es selbstverständlich aus, wenn man sich dazu entscheidet, bei einer durchzechten Partynacht ein solches Oberteil zu tragen und im schlimmsten Fall unvorteilhafte Bilder mitsamt dieser Kleidung im Netz publik gemacht werden.
Persönliches Fazit
Ich möchte das Bewusstsein für einen überlegteren Umgang mit diesem Thema schärfen: Selbstverständlich dürfen im Betrieb persönliche Themen angesprochen werden, auch freundschaftliche Kontakte dürfen geknüpft und gepflegt werden - jedoch sollte man sich genau fragen, welche und wie viele Details aus dem eigenen Privatleben man seinen Kollegen preisgeben möchte. Eine allgemein gültige Richtlinie, was bei welchen Kollegen nun gesagt werden sollte, gibt es nicht. Das wird individuell abhängig davon sein, wie lange man den Kollegen kennt, auf welchen beruflichen Ebenen man jeweils steht und wie man allgemein miteinander zurechtkommt. Um das Bewusstsein hierfür zu stärken, können Betriebe Schulungen durchführen, strikte Vorgaben sind jedoch kaum durchsetzbar. Privat mag jeder tun und lassen was er mag. Frau oder Mann sollte aber z.B. überlegen, ob die Urlaubsbuchung mit dem neuen Geliebten auf den Malediven vielleicht lieber doch nicht über den Company Account getätigt wird. Dann braucht der Arbeitgeber auch nicht zu denken, dass der Arbeitnehmer auf dem Absprung ist, wenn er sein eigenes Mobiltelefon auf dem Büroschreibtisch liegen hat und etwas Privates erledigt.
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