Arbeitsrecht

Das Ende der Boni?

Banker wissen es aus leidvoller Erfahrung am besten: Vergütung ist in Deutschland inzwischen eins der am weitestgehend regulierten Rechtsgebiete überhaupt. Die Vertragsfreiheit diesbezüglich wurde in den letzten Jahren deutlich eingeschränkt. Neben der Institutsvergütungsverordnung (IVV) für Banken und Finanzdienstleister sind aber auch das Mindestlohngesetz, das Antidiskriminierungsgesetz und andere Regeln aufgestellt worden, die Leitlinien geben, wie Vergütung auszusehen hat. Dies betrifft auch die Gestaltung von variabler Vergütung: Boni, Tantieme, Gratifikationen und ähnliche Leistungen. Allerdings hat insbesondere die Rechtsprechung in den letzten Jahren viel dazu beigetragen, Arbeitgebern die Ausgestaltung variabler Vergütung zu erschweren. An dieser Stelle werden beispielhaft neue Entwicklungen dargestellt, die zu der ohnehin schon langen Liste von Vorgaben hinzugekommen sind.

Am umfangreichsten wird die Vergütung von Vorständen und Führungskräften, insbesondere die der sogenannten Risikoträger (Risk Taker), bei Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistern reguliert. Neben einer Streckung eines erheblichen Teils der variablen Vergütung über mindestens fünf Jahre (sog. Zurückbehaltungszeitraum) sollen Institute nach der IVV 3.0, die am 1. März 2017 in Kraft getreten ist, auch die Möglichkeit der Rückforderung variabler Vergütung (sog. Clawback) mit den Risk Takern vereinbaren. Der Clawback soll den Risk Taker für sog. negative Erfolgsbeiträge ""bestrafen"", beispielsweise wenn er für eine erhebliche Verlustsituation der Bank mit verantwortlich ist. Eine solche Rückforderung (auch bereits ausgezahlter) variabler Vergütung soll nach der BaFin bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Ablauf des Zurückbehaltungszeitraums (und damit auch nach Beendigung der Anstellung) für das jeweilige Bonusjahr möglich sein. Der Risk Taker kann damit gegebenenfalls erst sieben Jahre nach dem jeweiligen Bonusjahr sicher sein, dass die variable Vergütung endgültig bei ihm verbleibt. Ungeachtet regulatorischer Erwägungen, die die BaFin zur Regelung des weitreichenden Rückforderungsrechts bewogen haben, ist die arbeitsrechtliche Durchsetzbarkeit eines Clawbacks unklar. Angesichts der klaren regulatorischen Vorgaben sind die Banken jedoch einstweilen gehalten, mit ihren Risk Takern entsprechende Clawback-Vereinbarungen zu schließen.

Die Rechtsprechung unterscheidet bei variabler Vergütung zunächst einmal zwischen Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter, die an die Erreichung persönlicher Ziele des Arbeitnehmers und/oder den Unternehmenserfolg anknüpfen, und reinen Gratifikationsleistungen, d. h. der Vergütung von Betriebstreue. Die Rechtsprechung hat den Anwendungsbereich reiner Gratifikationsleistungen, bei denen der Arbeitgeber hinsichtlich der Ausgestaltung und auch der späteren Einstellung größere Flexibilität hat, in den vergangenen Jahren erheblich eingeschränkt. An dieser Stelle ein erster Hinweis an Arbeitgeber: Will der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für seine Betriebstreue belohnen, muss die Leistung ausdrücklich als eine Gratifikation bezeichnet werden. Knüpft der Arbeitgeber die Zahlung an keine Voraussetzungen (oder aber an die Erreichung von persönlichen oder wirtschaftlichen Zielen), handelt es sich um eine Sonderzahlung mit Entgeltcharakter. Auch die Höhe der Zahlung ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts entscheidend: Eine Leistung kann dann keine Gratifikation sein, wenn sie einen wesentlichen Anteil an der Gesamtvergütung des Arbeitnehmers ausmacht. Dies kann bereits dann angenommen werden, wenn die Zahlung etwa 15% der Gesamtvergütung für das betreffende Kalenderjahr ausmacht.

Vor praktischen Schwierigkeiten stehen die Arbeitgeber insbesondere auch bei ""gemischten"" Bonusregelungen, also solchen, die zugleich an die Erreichung persönlicher Ziele und den Unternehmenserfolg anknüpfen. In Verlustsituationen wird der Arbeitgeber verständlicherweise keinen Bonus oder allenfalls einen Teil des Bonustopfs auszahlen wollen. Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, dass auch ein Unternehmen, das konkret Verluste über 600 Millionen Euro zu verzeichnen hatte, den Bonus nicht auf Null kürzen konnte, weil der Arbeitnehmer die ihm gesetzten persönlichen Ziele erreicht hatte. Hier also ein zweiter Hinweis an Arbeitgeber: Ein Unternehmensverlust rechtfertigt grundsätzlich kein Entfallen des Bonus, wenn der Arbeitnehmer seine persönlichen Ziele erreicht hat. Anders ausgedrückt: Die Zahlung eines Bonus setzt nicht zwingend ein positives Unternehmensergebnis voraus, wovon man eigentlich betriebswirtschaftlich ausgehen würde. Anderes gilt nach der Rechtsprechung ausschließlich in unternehmensbedrohenden Krisenszenarien, etwa einem Unternehmensverlust in Höhe mehrerer Milliarden. Arbeitgeber sind nach unserer Einschätzung jedoch auch in solchen Fällen sehr negativer Unternehmensergebnisse nicht berechtigt, die Verlustsituation generell bei der Bonushöhe zu berücksichtigen. Ob die Rechtsprechung auch diesen Weg versperren wird bzw. welche Grenzen gesetzt werden, bleibt abzuwarten.

Ein weiteres Mittel zur Reduzierung der Boni war in der Vergangenheit für viele Arbeitgeber, jedes Jahr eine neue variable Vergütungsregelung aufzulegen, um so zu vermeiden, dass eine betriebliche Übung entstand. Das Unternehmen sollte jedes Jahr wieder die Möglichkeit haben, Höhe und Kriterien einer variablen Vergütung neu zu definieren. Dazu unser dritter Hinweis an Arbeitgeber: Unabhängig davon, dass dieser gute Vorsatz bei vielen Unternehmen ohnehin meist damit endet, die Regelung aus dem Vorjahr wieder 1:1 unter neuem Datum zu veröffentlichen, können Zahlungen in unterschiedlicher Höhe keine betriebliche Übung mehr verhindern. Die Rechtsprechung ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat das Entstehen eines dauerhaften Anspruchs auf Zahlung unabhängig davon gemacht, ob ein sog. ""kollektiver Bezug"" vorliegt. Wenn ein einzelner Arbeitnehmer also drei Jahre hintereinander eine variable Vergütung nach einem bestimmten Schema erhält, kann er diese auch im vierten Jahr geltend machen. Auch hier ist also Vorsicht geboten.

Natürlich ist es der Wunsch eines jeden Arbeitgebers, bei der Regelung von variabler Vergütung so frei zu sein wie möglich. Am besten ist es, wenn die variable Vergütung ""fully discretionary"" ist und der Arbeitgeber zum gewünschten Zeitpunkt frei entscheiden kann, wer, in welcher Höhe und für welche Leistung eine zusätzliche Vergütung erhält. Als Flexibilisierungsinstrument kann sich für Arbeitgeber insbesondere der sog. Ermessensbonus anbieten. Der Arbeitgeber räumt dem Arbeitnehmer hier – im Unterschied zum Freiwilligkeitsvorbehalt – dem Grund nach einen Anspruch auf den Bonus ein. Die Höhe des Bonus ist jedoch nicht bestimmt, d.h. sie steht im Ermessen des Arbeitgebers. Hier unser vierter Hinweis für alle Arbeitgeber: Der Arbeitgeber ist nicht völlig frei in der Bestimmung der Höhe eines solchen Bonus. Die Rechtsprechung hat in jüngster Zeit wiederholt betont, dass die Festsetzung der Bonushöhe für den einzelnen Arbeitnehmer sog. billigem Ermessen entsprechen müsse. Die Bonusentscheidung des Arbeitgebers ist durch die Arbeitsgerichte voll überprüfbar und gegebenenfalls, so das Bundesarbeitsgericht weiter, ist eine etwaige ""Unschärfe der gerichtlichen Schätzung"" bei unzureichendem Sachvortrag des Arbeitgebers hinzunehmen. Konkret bedeutet dies, dass der Arbeitgeber vollumfänglich darlegen muss, auf welche Grundsätze und Kriterien er seine Billigkeitsentscheidung für die Bestimmung des Ermessensbonus stützt. Dies dürfte Arbeitgeber vor nicht unerhebliche praktische Schwierigkeiten stellen, und zwar auch im Hinblick darauf, welche ""Unternehmensinterna"" tatsächlich zur Verteidigung gegen die Bonusklage des Arbeitnehmers vorgetragen werden soll(t)en. Daher stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht lieber von vornherein konkrete Ziele vorgibt und in dieser Hinsicht auf einen ""Teil des Ermessens"" verzichtet.

Fazit: Die wachsende Zahl gesetzlicher Regelungen ist immer weniger überschaubar, wenn es um die Gestaltung des Arbeits- oder Dienstvertrags und insbesondere der Vergütung geht. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung Arbeitgebern durch eine Vielzahl von Einzelentscheidungen die rechtssichere Ausgestaltung von Bonusvereinbarungen erheblich erschwert. Im Ergebnis erhöht dies die Chance des Arbeitnehmers auf Zahlung eines Bonus, insbesondere bei klageweiser Geltendmachung.

Da bleibt nur ein Rechtsanwaltskollege zu zitieren, der es nach eigenen Worten aufgegeben habe, Mandanten bei der Bonusgestaltung zu beraten. Zum einen würden sie ohnehin regeln, was sie inhaltlich nach ihrem Verständnis für richtig hielten. Zum anderen wäre dies nach der Rechtsprechung, die sich dazu noch ständig ändere, ohnehin immer falsch oder zumindest unzureichend. Er würde sich im Zweifel darauf konzentrieren, im Rechtsstreit zu verhindern, dass der Arbeitgeber den gesamten Bonuswunsch des Arbeitnehmers erfüllen müsse. Zudem würden ohnehin nur ausscheidende Arbeitnehmer gegen die Bonusfestlegung des Arbeitgebers klagen, bei allen anderen gäbe es mit der Regelung des Arbeitgebers keine Schwierigkeiten.

Da ist zwar etwas dran, aber ganz so einfach ist es leider nicht: Arbeit wird zeitlich, inhaltlich und örtlich infolge der Digitalisierung zunehmend flexibilisiert. Daher besteht für Arbeitgeber das Bedürfnis, durch variable Vergütungen auf den Umstand zu regieren, dass eine direkte Überprüfung der Leistung des Arbeitnehmers zunehmend schwieriger wird. Sie sind auf eine Steuerung der Beschäftigten durch Ziele und Vorgaben angewiesen. Die Rechtsprechung steht diesem Flexibilisierungswunsch entgegen. Dabei wäre sie besser beraten, klare Grundsätze aufzustellen mit dem Ziel, dass Arbeitgeber ohne großen administrativen Aufwand gerichtsfeste Regelungen zur variablen Vergütung vereinbaren können, die bei einem negativen Unternehmenserfolg auch wegfallen darf. Andernfalls – und dies können wir bereits beobachten – schwindet der Anteil variabler Vergütung an der Gesamtjahresvergütung der Arbeitnehmer. Eine Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die klare und für Arbeitgeber umsetzbare Leitlinien festlegt, wäre an der Zeit und sehr hilfreich. Bis dahin gilt es für Arbeitgeber, die trotzdem weiterhin eine variable Vergütung vereinbaren wollen, sich auf der Suche nach einer möglichst rechtssicheren Gestaltung mit juristischer Hilfe durch den Gesetzes- und vor allem Entscheidungswald zu kämpfen.

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