Selbständige als Risiko?
Seit 17. Februar 2016 liegt der zweite Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vor. Neben dem Thema Zeitarbeit steht vor allem das Thema Scheinwerkverträge und die Abgrenzung zwischen Selbständigen und Arbeitnehmern im Mittelpunkt. Gleichzeitig wird das Thema Freelancer/Soloselbständige im Grünbuch des Ministeriums für Arbeit und Soziales als relevant ausgemacht.
Grundsätzlich enthält der Gesetzesentwurf keine Überraschungen. Vieles ist bereits durch die Rechtsprechung der Sozialgerichte, Strafgerichte (§ 266a StGB), Arbeitsgerichte und Steuer- und Finanzgerichte etabliert: Insbesondere die Sozialgerichte verlangen zur Abgrenzung zwischen Scheinselbständigen und Arbeitnehmern neben den klassischen Kriterien, dass der selbständige Unternehmer bei seinen Handlungen von Weisungen frei sein muss und nicht in den Betrieb des Auftraggebers integriert sein darf, darüber hinausgehende unternehmerische Faktoren. Der Selbständige muss werbend am Markt tätig sein (eigener Marktauftritt). Er muss eine Reihe von verschiedenen Kunden haben und unternehmerisches Risiko tragen, d.h. über den als Dienstwagen genutzten Privatwagen, das Notebook und das Handy hinaus weitere betriebliche Assets einsetzen. Idealerweise beschäftigt er eigene Arbeitnehmer und verfügt über eine eigene Corporate Identity. Ein ganz wesentliches Kriterium für die Übernahme unternehmerischen Risikos liegt darin, dass der Unternehmer für seine eigene Schlechtleistung haftet und Nacharbeiten auf eigenes Risiko erbringt.
Genau diese Anforderungen zu erfüllen ist aber für viele ""kleine"" Selbständige, die entweder soloselbständig sind oder maximal noch sog. Minijobber oder ähnliches beschäftigen, sehr schwierig, insbesondere bei der Existenzgründung und -entwicklung: Gerade im Beratungsbereich ist es eine Herausforderung, wenn man sich als IT-, Marketingberater, Coach oder in ähnlichen Berufen selbständig machen möchte und die Selbständigkeit zunächst einmal hauptsächlich mit dem eigenen Know-how und den eigenen Kontakten wagt. Natürlich kann man die gesetzliche Haftung nach Schlechtleistung und Nacharbeiten etc. im unternehmerischen Sinne akzeptieren, indem man nichts anderes verhandelt. Viele andere der genannten Aspekte sind aber nicht so einfach darzustellen. Insbesondere benötigt ein Berater zum Beispiel keine Maschinen oder sonstigen Anlagegüter. Nicht einmal ein eigenes Büro ist erforderlich, weil der soloselbständige Berater in der Regel beim Kunden arbeitet oder, wenn dies nicht der Fall sein sollte, ein Arbeitszimmer ohne Publikumsverkehr ausreichend ist. Ganz im Gegenteil – in den Zeiten von mobilem Arbeiten und Co-Working Spaces ist das private Home Office auf dem Rückzug. Vielmehr geht der Trend zum flexiblen Arbeiten und weg von einem eigenen ""Ladengeschäft"", das Soloselbständige insbesondere zu Beginn einer selbständigen Beratungstätigkeit nicht brauchen.
Das Grundproblem liegt im Gesetz selbst: Der § 7 Abs. 1 SGB IV sagt kurz ""Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers"". Ähnlich lautet auch der neue § 611a BGB in seiner aktuellen Entwurfsfassung. Dieser enthält allerdings noch die Ergänzung ""Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen."" Dies entspricht der Rechtsprechung der für diese Frage relevanten Arbeits-, Sozial-, Steuer- und ordentlichen Gerichten (in Strafsachen).
All diese Rechtsgebiete sind betroffen, wenn Unternehmen Soloselbständige beschäftigen: Zum einen wäre ein solcher Arbeitnehmer entsprechend zu vergüten. Zudem hätte er alle Arbeitnehmerschutzrechte. Zum zweiten ist der dann beschäftigende Arbeitgeber verpflichtet, Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen, und zwar Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag zuzüglich Zinsen und eventueller (Straf-)Zuschläge. Das summiert sich auf mehr als 40% der Vergütung, die an den Soloselbständigen geflossen ist. Eine solche Nachzahlung, gerade, wenn es viele Fälle von Soloselbständigkeit betrifft, kann ein Unternehmen sehr viel Geld kosten. Diese Rückzahlungspflichten gelten beschränkt für vier Jahre, bei Vorsatz sogar für 30 Jahre. Zu beachten ist auch, dass vorangegangene Prüfungen der Sozialversicherungsbehörden keinen Schutz vor Nachforderungen bieten.
Weiterhin sind Steuern zu berichtigen: War der Soloselbständige tatsächlich Arbeitnehmer, hätte der Arbeitgeber Lohnsteuer einbehalten und abführen müssen, in der Umsatzsteuererklärung wäre zu Unrecht Vorsteuer geltend gemacht.
Schließlich wäre bei Vorsatz § 266a StGB verwirklicht; wenn nur Fahrlässigkeit vorgelegen hat, droht § 130 OWiG. Auch hier drohen neben der Strafbarkeit erhebliche Ordnungswidrigkeitsgelder, die die betroffenen Unternehmensführer persönlich treffen.
Daneben können weitere unangenehme Folgen wie zum Beispiel die Verletzung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und illegale Arbeitnehmerüberlassung vorliegen.
Zusammengefasst ist das Beschäftigen von Scheinselbständigen/Soloselbständigen hochsanktioniert und hat weitreichende Folgen.
Nun ist es aber nicht so, dass die zuständigen Behörden und Gerichte tatsächlich alle denkbaren und in jedem Fall heranzuziehenden Kriterien zusammen betrachten und dann nach einer Art Mehrheitsentscheidung vorgehen. Vielmehr zeigt gerade die Erfahrung, dass die Sozialgerichte, die hier meistens die entscheidenden für die wichtigen Themen Sozialversicherung, Steuer- und Strafrecht sind, sich im Wesentlichen auf die Prüfung des Vorliegens unternehmerischen Handelns (s.o.) beschränken.
Aber gerade diese sind schwer für neue Soloselbständige zu erfüllen, so dass sich die Frage stellt, ob beginnende Soloselbständigkeit nicht durch eine Abschwächung entsprechender Kriterien zu fördern ist.
Fazit: Grundsätzlich ist die in Deutschland getroffene Entscheidung richtig, eine verpflichtende gesetzliche Sozialversicherung zu haben, um Scheinselbständigkeitskonstruktionen und Umgehung der Sozialversicherungspflicht zu verhindern. Dies sollte allerdings weder dazu führen, dass es gar keine Soloselbständigkeit mehr gibt noch – und dies ist viel wichtiger –, dass sich neu entwickelnde Selbständigkeit hierdurch erstickt wird. Die meisten Selbständigen, insbesondere in betriebsmittelarmen Branchen, beginnen mit wenigen Betriebsmitteln, ohne Angestellte oder einer sehr geringen Zahl an Angestellten. Die Rechtsprechung sollte aber Unternehmensgründer, neue Selbständige und Mutige, die neue Ideen haben, fördern. Zumindest sollte es ihnen nicht unnötig schwer gemacht werden.
Unsere Forderung ist es daher, zumindest eine Phase von zum Beispiel vier Jahren für neue Selbständige zu schaffen, wie sie sich auch in einigen anderen Gesetzen findet, in der neu gegründete Unternehmen unterstützt werden und ein Selbständigenstatus auch sozialversicherungsrechtlich erleichtert wird.
Dies würde eine sozialversicherungsrechtliche Lösung erfordern und keine arbeitsrechtliche in § 611a BGB. Schwierig ist dabei allerdings, dass man im Gesetz keine Basis findet, um Erleichterungen für die ersten vier Jahre zu schaffen. Der früher einmal existierende Kriterienkatalog des § 7 SGB IV wurde schon vor geraumer Zeit gestrichen. Der Versuch, einen entsprechenden Katalog in § 611a BGB im ersten Entwurf aus dem Jahr 2015 aufzustellen, wurde gestoppt. Es besteht die Herausforderung, hier eine Regelung im Sozialgesetzbuch zu treffen. Erst dann wird man Unternehmensgründer fördern, sich entwickelnde Selbständigkeit motivieren und Menschen, die wirtschaftlich gestalten und entwickeln wollen, unterstützen. Die bekanntermaßen wenig erfolgreiche Ich-AG war ein Beispiel für einen solchen Ansatz.
Aus unserer Sicht muss eine sozialversicherungsrechtliche Lösung entwickelt werden, die vom Gesetzgeber kommen muss und zumindest für einen Zeitraum von vier Jahren Neugründungen und damit auch Unternehmen schützt, die mit neu gegründeten Formen der Selbständigkeit Verträge schließen wollen.
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