Geschäftsführer als Arbeitnehmer? Weniger Schutz für Topverdiener-Arbeitnehmer?
Im europäischen Kontext sieht man verstärkt die Tendenz, bei angestellten Geschäftsführern den Arbeitnehmerstatus anzunehmen und sie dementsprechend wie Arbeitnehmer zu schützen. Auf der anderen Seite wirken viele Arbeitsschutzvorschriften für Arbeitnehmer, die mehr als 210.000 Euro im Jahr erhalten, antiquiert.
Nach der Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2015 (Urteil vom 09. Juli 2015, Az.: C-229/14) ist ein Geschäftsführer, der zwar 50% der Anteile eines Unternehmens hält, allerdings über keine Stimmrechte verfügt, Arbeitnehmer. Sie hat uns alle etwas verwundert. Andererseits passt die Entscheidung hervorragend in den europäischen Kontext: In den Niederlanden, in Österreich und in einigen anderen europäischen Ländern werden Geschäftsführer, die keine oder nur unerhebliche Anteile am Unternehmen haben und dauerhaft auf vertraglicher Basis als Geschäftsführer tätig sind, bereits wie Arbeitnehmer behandelt. Dies gilt insbesondere für den Kündigungsschutz, aber auch für andere Arbeitnehmerschutzrechte.
In Deutschland ist die Gesetzeslage zurzeit noch anders: Ein Geschäftsführer, der als solcher eingetragen ist, ist als Organ der Gesellschaft nach wie vor unstrittigaus dem Schutzbereich vieler arbeitsrechtlicher Normen herausgenommen. So gilt beispielsweise das Kündigungsschutzgesetz nicht (vgl. § 14 Abs. 1 Ziff. 1 KSchG). Das Arbeitszeitgesetz nimmt zwar nicht expressis verbis die Geschäftsführer von seinem Geltungsbereich aus, die Ausnahme der leitenden Angestellten findet jedoch auch für Geschäftsführer Anwendung. Vom Betriebsverfassungsgesetz sind sie selbstverständlich explizit ausgenommen (vgl. § 5 Abs. 2 Ziff. 1 BetrVG). Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass Geschäftsführer wie auch Vorstände ihre Rechte vor den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit geltend machen müssen und nicht die Vorteile der Arbeitsgerichtsbarkeit nutzen können, die nicht nur ein schnelles Verfahren verspricht, sondern in der ersten Instanz auch mit einem geringen Kostenrisiko verbunden ist.
Die Diskussion ist nicht neu. Schon in den 80er Jahren gab es Stimmen (vgl. F. Georg Miller in Kommentar zum GmbHG, Meyer-Landrut/Miller/Niehus), nach denen ""angestellte"" Geschäftsführer (Fremdgeschäftsführer bzw. nicht Gesellschafter-Geschäftsführer) eher wie Arbeitnehmer zu behandeln wären. Angesichts der Tatsache, dass Geschäftsführer häufig weit weniger als 210.000 Euro (das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze) pro Jahr erhalten, keinen Kündigungsschutz genießen und sich in einer insgesamt weniger schutzintensiven Lage als viele Arbeitnehmer befinden, erscheint diese Überlegung gerechtfertigt. Als Gegenbeispiel wurde stets der Prokurist aufgeführt, der alle Handlungen - bis auf den Verkauf des Unternehmens - vornehmen darf, häufig mehr Gehalt als viele Geschäftsführer erhält und rechtlich viel besser abgesichert ist. Noch deutlicher wird der Unterschied heute, blickt man auf hochbezahlte Berater oder Vertriebsspezialisten zum Beispiel in Professional Service Firms, im Healthcare und Life Science Bereich oder im Original Equipment Manufacturer (OEM) Sektor. Ihre Vergütung liegt weit über dem Dreifachen der Beitragsbemessungsgrenze und sie genießen umfassenden Schutz, insbesondere, wenn sie – wie häufig – leitende Angestellte oder Prokuristen sind.
Ein zentraler Unterschied, der letztlich natürlich nicht wegzudiskutieren ist, liegt darin, dass Geschäftsführer als gesetzlich zur Vertretung berufene Organe die Arbeitgeberposition ausführen und als Vertreter der Gesellschaft handeln müssen. Als solche erfüllen sie eine andere Funktion als die meisten Arbeitnehmer. Andererseits unterliegen Geschäftsführer arbeitnehmerähnlich dem Weisungsrecht der Gesellschafter (vgl. § 37 Abs. 1 GmbHG) und können – anders als Vorstände nach dem Aktiengesetz – durch die Gesellschafterversammlung jederzeit problemlos abberufen werden. Damit stehen sie hinsichtlich ihrer Handlungsmöglichkeiten in vielen Unternehmen kaum anders da als ein mit Generalvollmacht oder Prokura ausgestatteter Arbeitnehmer.
Gerade in Konzernen sind Geschäftsführer heute häufig nur Titulargeschäftsführer, die bestellt werden, um die Position zu besetzen. Hier spielen eher von Funktionen abgeleitete Titel wie ""President"", ""Vice President"", ""Director"" oder ähnliche die entscheidende Rolle. Diese werden aber nach Position des jeweiligen Beschäftigten in der Organisation vergeben und nicht abhängig von der gesellschaftsrechtlichen Situation, ob sie Geschäftsführer, Prokurist oder Vorstandsmitglied sind. Zusätzlich dürfen solche Geschäftsführer ohnehin in der Regel nur gemeinsam unterzeichnen und dies meistens auch nur nach entsprechender Freigabe durch den in der Matrixorganisation zuständigen ""President"" oder ""Vice President"". Auch das entwertet in diesen Strukturen die Position des Geschäftsführers und seine Funktion als den ehemals mächtigen gesetzlichen Vertreter des Unternehmens.
Es stellt sich die Frage, ob und wie man diese Diskrepanz lösen kann. Der § 5 Abs. 4 Ziff. 4 BetrVG lässt dabei Raum für eine Idee: Wer als Arbeitnehmer mehr als das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze (zurzeit 70.000 Euro pro Jahr; dementsprechend mehr als 210.000 Euro) erhält, für den vermutet das Gesetz, dass er leitender Angestellter sei. Legt man diesen Gedanken zugrunde und fragt sich, ob Beschäftigte mit Einkommen dieser Größenordnung dafür auch mehr arbeiten können und ggf. nur ein verringertes Schutzniveau benötigen, könnte man überlegen, diese Größe als Abgrenzungskriterium zum Arbeitnehmerstatus einzuführen.
Auch das Kündigungsschutzgesetz enthält im § 14 Abs. 2 eine Regelung, nach der der Kündigungsschutz für bestimmte Personengruppen, die als besondere Führungskräfte angesehen werden, reduziert wird: Hier wird zwar auf Kündigungsschutz nicht völlig verzichtet, der Arbeitgeber kann aber auch ohne Kündigungsgrund einen Auflösungsantrag stellen; damit wird sein Risiko aus den Gehaltszahlungen zuzüglich Gehaltsnebenkosten während der Kündigungsfrist auf maximal 18 Monatsverdienste begrenzt. Andererseits könnte ein derart gut verdienender Arbeitnehmer, der in der Regel auch an exponierter Stelle tätig ist, damit sicher sein, dass er, wenn kein Kündigungsgrund vorliegt, eine Abfindung zwischen üblicherweise sechs und 18 Bruttomonatsverdiensten erhielte. Dazu käme regelmäßig seine vermutlich bei ca. sechs Monaten liegende Kündigungsfrist. Dies brächte beiden Seiten verlässliche ""Leitplanken"" für den Fall einer eventuellen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Entsprechend könnte man überlegen, bestimmte Regelungen des Arbeitszeitgesetzes für derart gut verdienende Menschen abzuschwächen: Hier gibt es in den EU-Richtlinien die Opt-Out-Regelung, durch die eine Arbeitszeit von maximal bis zu 13 Stunden pro Tag an sechs Tagen in der Woche zulässig ist. Auch wenn diese nicht ausgeschöpft werden müssen, so mutet es doch etwas merkwürdig an, einem Arbeitnehmer, der über 210.000 Euro im Jahr verdient, zu verbieten, an Sonntagen zu arbeiten und zu verlangen, nicht mehr als durchschnittlich 9,6 Stunden an fünf Tagen in der Woche zu arbeiten. Jeder Tarifangestellte, der 35 Stunden in der Woche arbeitet, wird Unverständnis dafür zeigen, dass jemand, der so viel Geld verdient, nicht zum Beispiel 60 Stunden die Woche arbeiten darf. Die Thematik ist insofern besonders relevant, da in 98% der Fälle die Ausnahme von der Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes wegen der Widerlegbarkeit der Vermutung, eine Person als leitenden Angestellten zu qualifizieren, nicht greifen dürfte (§ 18 Abs. 1, 1. Var. ArbZG i.V.m. § 5 Abs. 3, 4 BetrVG).
Zusammengefasst gäbe es also für bestimmte Personengruppen eine Fülle von Möglichkeiten, den Arbeitsschutz und die arbeitsrechtlichen Vorschriften abzuschwächen. Auf der anderen Seite macht es Sinn, für die Vielzahl an Geschäftsführern in Deutschland, die wenig Vergütung erhalten und keinen Schutz haben, etwas zu tun. Es ist aus europäischer Sicht ohnehin zu befürchten, dass hier entweder eine Entscheidung des EuGH oder eine entsprechende Richtlinie kommen wird. Daher wäre es aus Sicht des deutschen Gesetzgebers sinnvoll, mit der Zeit zu gehen und auf die Veränderung von Beschäftigung und vor allem von Beschäftigungsformen zu achten.
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