Risiko Scheinselbstständigkeit und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung

Die Anzahl der selbstständig Tätigen hat in Deutschland dramatisch zugenommen. Ursachen hierfür sind unter anderem mangelnder Bindungswille an feste Arbeitsverträge mit Unternehmen, großer Fachkräftemangel, bessere Verdienstmöglichkeiten, interessantere Steuergestaltungen sowie Einsparungen von sozialversicherungsrechtlichen Abgaben. Deshalb versuchen Unternehmen durch den Einsatz von ""Selbstständigen"" (Freelancern) beispielsweise im sogenannten holländischen Modell am Personalbestand zu sparen oder Arbeitnehmer durch Leiharbeitskräfte im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zu ersetzen. Diese Handhabung birgt unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung und den Plänen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), zur Vermeidung der Scheinselbstständigkeit eine Gesetzesänderung zu veranlassen, erhebliche Risiken für Unternehmen, so PLATOW-Kolumnist und Clifford-Partner Thomas Hey.

Der Einsatz von Selbstständigen im Rahmen von Werk- und Dienstverträgen mit Personaldienstleistern kann problematisch werden, wenn diese nach objektiven Maßstäben nicht eigenständig arbeiten, sondern wegen der Weisungsgebundenheit oder Einbindung in das Unternehmen als Arbeitnehmer eingeordnet werden können beziehungsweise vom Sozialversicherungsträger als abhängig Beschäftigte im Sinne des § 7 SGB IV angesehen werden. Vielen Unternehmen ist nicht bewusst, dass dieses Vorgehen zu nachteiligen sozialversicherungsrechtlichen, arbeitsrechtlichen, steuerrechtlichen sowie strafrechtlichen Konsequenzen führen kann. (Sobald die Deutsche Rentenversicherung oder die Steuerfahndung auf derartige Praktiken aufmerksam wird, ist es jedoch zum Handeln oft bereits zu spät.)

Haftungsrisiken beim Einsatz von Scheinselbstständigen

Folgen von Scheinselbstständigkeit und Verstößen gegen das AÜG können sein:

  • Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen (auch Unfallversicherungsbeiträge) für die Zeit des Bestehens des Arbeitsverhältnisses (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil)
  • Säumniszuschläge bzw. Strafzins
  • Bußgelder nach SGB IV
  • Lohnsteuer- und Umsatzsteuernachzahlungen
  • Möglichkeit von Selbstständigen sich als Arbeitnehmer in das Unternehmen einzuklagen
  • Straftatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO
  • Straftatbestand des Sozialversicherungsbetruges nach § 266a StGB
  • Verstöße gegen §§ 30, 130 OWiG

Risikobehaftete Beschäftigungsmodelle, insbesondere Einsatz von Freelancern

Problematisch kann zum einen die direkte Beschäftigung von externen Selbstständigen auf der Grundlage eines Werk- oder Dienstvertrages sein, wenn der Externe objektiv in den Betrieb eingegliedert ist, etwa durch Arbeiten in einem Gemeinschaftsbüro zusammen mit den Arbeitnehmern des Unternehmens ohne räumliche Abgrenzung, und den Weisungen des Unternehmens unterliegt. Die Abgrenzung erfolgt anhand einer Reihe schwer fassbarer Kriterien, die von Rechtsprechung und Sozialversicherungsträgern, entwickelt wurden.

Weiterhin sehr problematisch ist die Beschäftigung von Freelancern im sogenannten ""holländischen Modell"".

Hierbei vereinbaren ein Unternehmen (""Auftraggeber"") und ein anderes Unternehmen (""Auftragnehmer"") einen sogenannten Rahmenwerkvertrag, auf Basis dessen ein ""Selbstständiger"" oder Erfüllungsgehilfe des Auftragnehmers Leistungen für den Auftraggeber erbringen soll. Der Auftragnehmer verfügt über eine Arbeitnehmerüberlassungs-Erlaubnis auf Vorrat, um so, sofern sich später herausstellt, dass der Vertrag als Scheinwerkvertrag einzuordnen ist, diesen als einen wirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nach dem AÜG einordnen zu können. In diesen Fällen handelt es sich dann um eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung.

Bisher konnte dieses Modell, auch ""Fallschirm-Modell"" genannt, den Auftraggeber vor den Risiken schützen. Allerdings deuten die jüngste Rechtsprechung und politische Entwicklungen darauf hin, dass dieses Sicherheits- bzw. Auffangmodel bald nicht mehr anwendbar sein könnte.  

Aktuelle Rechtsprechung und politische Entwicklung

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat jüngst entschieden (4 Sa 41/14), dass das ""holländische Modell"" in bestimmten Fällen nicht als Auffangmodell greifen kann. Im Falle eines Scheinwerkvertrages beziehungsweise einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung kann sich der Auftraggeberunter Umständen wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB nicht auf eine bestehende Vorratserlaubnis nach dem AÜG berufen, sodass dann ein Arbeitsverhältnis zwischen ""Scheinselbstständigen"" und Auftraggeber besteht. Sofern der Auftraggeber und Auftragnehmer zum Nachteil des Arbeitnehmers die Arbeitnehmerüberlassung bewusst verschleiern, sollen diese sich nicht auf eine Vorratserlaubnis berufen können. Ob der Scheinselbstständige dann daneben auch als sozialversicherungsrechtlich abhängig Beschäftiger im Sinne des § 7 SGB IV anzusehen ist, bleibt abzuwarten. Entscheidend ist vor allem, ob das Urteil des Landesarbeitsgericht im derzeit anhängigen Revisionsverfahren beim Bundesarbeitsgericht (9 AZR 51/15) bestätigt wird. (Das Urteil des BAG soll voraussichtlich im 1. Quartal 2016 ergehen.) Sofern dies geschieht wird die Beschäftigung nach dem ""holländischen Modell"" nicht mehr durchgeführt werden können.

Das Thema hat zusätzlich Brisanz, weil das BMAS ein Gesetz zur Scheinwerkvertragsproblematik plant. Der Entwurf zur Gesetzesänderung ist noch für dieses Jahr vorgesehen und soll unter anderem Änderungen des AÜG und ein Gesetz zur Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen enthalten.

Empfehlungen

Auch wenn die Beschäftigung selbstständiger Externer erhebliche Anreize mit sich bringt, sollten sich Unternehmen schützen und genau analysieren, welche Risiken bei der Art der freien Beschäftigung auf sie zukommen.

Eine vollständige Haftungsvermeidung beim Einsatz von Selbstständigen wird leider nicht zu erreichen sein, sodass dieZusammenarbeit mit natürlichen Personen grundsätzlich im Rahmen eines Arbeitsvertrages oder der Zeitarbeit beziehungsweise Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG erfolgen sollte. Alle weiteren Konstellationen müssen im Einzelfall bewertet werden.

Folgende Empfehlungen zur Reduzierung des Haftungsrisikos beim Einsatz von Freelancern sollten beachtet werden:

  • Vor Abschluss neuer Dienst-/Werkverträge oder eines ""holländischen Modells"" sollten Unternehmen zunächst das Risiko einer Scheinselbstständigkeit oder eines Scheinwerkvertrages prüfen und gegebenenfalls ein Statusverfahren zur Feststellung der sozialversicherungsrechtlichen Stellung des Selbstständigen gemäß § 7a I, S. 1 SGB IV durchführen (dies kann auch während laufender Vertragsbeziehungen eingeleitet werden).
  • Bei kritischen Verträgen sollte vor Abschluss neuer oder Verlängerung bestehender Verträge eine Änderung des Vertragsmodells (z.B.: befristeter Arbeitsvertrag bei Neueinstellungen, Umwandlung in Arbeitsvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung) überlegt werden.
  • Zur Erlangung von Strafbefreiung wegen Steuerhinterziehung kann sich im Einzelfall eine Selbstanzeige bei den Finanzbehörden empfehlen.
  • Führungskräfte sollten zum richtigen Umgang mit Selbstständigen geschult werden (z.B. keine Weisungen wie bei Arbeitnehmern erteilen).

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